Verlage im NS: Mäßige Aufarbeitung
Bertelsmann hat eine 20 Jahre alte Untersuchung über seine Rolle im NS veröffentlicht – online. Das sagt viel aus über den Aufarbeitungswillen.
Medienunternehmen müssen dynamisch sein und sich nach vorne bewegen. Schon weil die Medien so wahnsinnig dynamisch und nach vorne sind. Springer verscherbelt seine Inhalte deshalb demnächst an OpenAI. Das ZDF hat uns zu Weihnachten den Quellcode für sein Empfehlungsmanagement geschenkt. Genauer gesagt öffentlich gemacht. Nur bei den ollen Bertelsmännern in Gütersloh gelten andere Regeln.
Ende November hatte der Medienkonzern seine 20 Jahre alte Untersuchung über seine Rolle im Nationalsozialismus ins Internet gekippt. Und sich wahnsinnig einen drauf beweihräuchert, auch wegen der tollen Transparenz. Ja, Bertelsmann war eines der ersten großen Unternehmen, das seine alles andere als rühmliche Geschichte aufarbeiten ließ. Ganz freiwillig war die Aufarbeitung allerdings nicht, weil sie vorher so dreist gelogen hatten, dass sich die Balken des Gründerfachwerkhauses in Ostwestfalen bogen.
1998 wollte der Konzern die überwiegend in jüdischem Besitz befindliche US-Verlagsgruppe Random House kaufen. Die waren skeptisch, schließlich ist der Tod ein Verleger aus Deutschland. Deshalb gab sich Bertelsmann als christliche Traktätchenbude aus, die 1944 im Widerstand war und deshalb verboten worden sei. Kam gut an: Der Deal ging durch und Penguin-Random House ist heute nach weiteren Zukäufen der größte Buchverlag der westlichen Welt.
Konzerneigene Dynamik
Was keener wissen wollte, dass der Laden unter Adolf Nazi an Wehrmachtsliteratur und NS-Erbauungsheftchen verdammt gut verdient hatte und Oberbertelsmann Heinrich Mohn SS-Fördermitglied war. Doch schon bald tauchten Zweifel und Belege auf, nach denen Bertelsmann alles andere als widerständig war, sondern wegen Schiebereien mit dem kriegswichtigen Papier Stress mit den Nazis hatte.
Nur wegen dieses Drucks setzte der Konzern eine Historikerkommission (yes, Männer only) ein. Die nannte 2002 die „herausragende Stellung“ von Bertelsmann im NS-Regime „überraschend in dieser Dimension“. Doch die natürlich bei Bertelsmann erschienene Schwarte hatte über 1.400 Seiten und war nicht gerade zum Taschenbuchpreis zu haben. Der Konzern konnte sich sicher sein, dass nicht allzu viele im Detail mitlesen. Das Ganze „schon“ 20 Jahre später ins Netz zu kippen, spricht Bände.
Dazu passt, dass Bertelsmann Mitte Dezember nach nur 40 Jahren die Originale der gefälschten Hitler-Tagebücher ans Bundesarchiv gab. Die hatte der Stern anno 1983 als Weltsensation veröffentlicht, worauf der Stern von Herausgeber Henri Nannen empfindlich sank. Nannens Rolle im Dritten Reich lässt Bertelsmann auch gerade untersuchen. Weil auch hier die konzerneigene Dynamik greift, werden wir bald ganz dynamisch die Ergebnisse kennen und uns geduldig nach vorn bewegen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles
Israels Brüche der Waffenruhe
Die USA sind kein neutraler Partner