Zerschlagung von Gruner + Jahr: Jeden Tropfen ausgewrungen
RTL will zahlreiche Magazine von Gruner + Jahr einstellen oder verkaufen. Die Ursachen für den Zustand des Verlagshauses reichen weit zurück.
Verena Carls neue Spezialität sind Abschiedsfeiern. Sie war quasi auf Partyhopping: von Brigitte über Barbara bis Eltern – sämtliche Zeitschriften aus dem Gruner- + Jahr-Verlag, die eingestellt werden, versammelten sich ein letztes Mal und stießen auf ihr Ende an. Getränke mussten teilweise selbst bezahlt werden. Der Barbara reichte das Budget nur für einige Brezeln und eine Runde Sekt.
Seit 2006 schrieb Verena Carl für 7 der 23 nun eingestellten Magazine, die beim Verlag Gruner + Jahr (G+J) erschienen. Anfang des Jahres wurde bekannt, dass die Sendergruppe RTL, die 2021 G+J übernahm, sich von einem großen Teil ihrer Magazine verabschieden will. Beide Unternehmen gehören mehrheitlich dem Medienkonzern Bertelsmann.
Freiberufliche Journalist:innen wie Verena Carl traf die Zerschlagung von G+J durch RTL hart. Sie erhalten keine Abfindungen. All die Kreativen und Neugierigen, die da bei den Abschiedspartys zusammenstehen, lassen Verena Carl ratlos zurück: „Dass man die einfach vor den Bus kippt, statt zu schauen, ob man vielleicht anderweitig Verwendung für sie hat.“
Hunderte Stellen gehen verloren
Um die 700 der 1.900 Stellen will der G+J-Eigentümer RTL abbauen und dafür zahlreiche Magazinableger einstellen und andere verkaufen.
Wie kam es zur Zerschlagung des einst führenden Verlages Deutschlands und Europas, der bis vor rund zehn Jahren mit Stern, Brigitte, Capital, Geo und vielen anderen Magazinen Milliarden umsetzte? War sie wirtschaftlich notwendig, um den Rest am Leben zu erhalten – wie es Bertelsmann-Chef Thomas Rabe darstellt?
Oder folgte sie einer langfristigen Strategie? Beteiligte sagen, Rabe wollte schon lange raus aus dem Zeitschriftengeschäft. Er betrachte es wie einst Buchclubs als schwindendes Geschäft mit abnehmenden Erträgen und wolle Milliarden lieber in andere Bereiche investieren.
Im März zog Rabe für RTL Bilanz. Auf den Vorwurf, er habe die Zahlen bei G+J schlecht gerechnet, um die Zerschlagung zu rechtfertigen, sagte er: „Ich wünschte, die Performance von G+J wäre besser.“ Am Tag davor hatte das Handelsblatt berichtet, dass er Kosten bei G+J verrechnete, Gewinne jedoch Bertelsmann zuschlug. Dazu Rabe: „Die Zahlen sind eindeutig und nicht hingerechnet. Ich wüsste nicht, was meine Motivation sein sollte, ein Geschäft von G+J schlecht zu reden.“ Ziel der Einsparungen durch Magazin-Einstellungen und Verkäufe sei, sichere Arbeitsplätze zu schaffen.
Schrumpfende Gewinne in Krisenzeiten
Im Jahr vor der Übernahme durch RTL 2021 habe G+J noch 134 Millionen Euro Gewinn abgeworfen. Aber ohne Unternehmensbeteiligungen, die G+J beispielsweise an Spiegel hatte, habe G+J mit seinem eigenen Kerngeschäft mit seinen Magazinen jedoch nur 40 Millionen erwirtschaftet. Diese 40 Millionen seien 2022 auf 1 Million geschrumpft; für 2023 erwartet Rabe ein Minus von 26 Millionen. Grund für diese Lage seien fehlende Werbeerlöse und erhöhte Kosten in Krisenzeiten.
Daher ist der Konzern nun auf Sparkurs und baut Stellen ab. Bis 2025 sollen insgesamt 70 Millionen an Kosten eingespart werden. Dementgegen sollen etwa 80 Millionen in die Kernmarken von G+J und neue Räumlichkeiten investiert werden. Allein an Stern sollen davon 30 Millionen gehen.
Zudem soll eine neue Stern-Plus-App noch 2023 lanciert werden, wie ebenso eine überarbeitete RTL-plus-App. Mit der Strategie sollen die starken Hefte, die das Kerngeschäft getragen haben, erhalten bleiben und somit auch 70 Prozent des Umsatzes von G+J.
Fehlentwicklung reicht weiter zurück
Für viele Beobachter ist die Zerschlagung die Konsequenz einer Fehlentwicklung, die 2021 begann, als RTL G+J übernahm. Tatsächlich reichen die Ursachen weiter zurück, wie Gespräche mit Mitarbeitenden von G+J, RTL und Bertelsmann ergeben.
Bis 2014 war Bertelsmann nur Mehrheitsgesellschafter, der 75 Prozent der Anteile hielt, und musste den Minderheitsgesellschafter Jahr, mit 25 Prozent, zum möglichst günstigen Verkauf seiner Anteile bringen. Später verkaufte Bertelsmann weniger lukrative Teile von G+J mit hohen Gewinnen, vom Verlagssitz in Hamburg bis zum Auslandsgeschäft, und behielt nur die Teile, die mehr Wachstum versprachen.
Die ersten Anzeichen der Strategie, sich G+J möglichst günstig einzuverleiben, bekam der ehemalige G+J-Chef Bernd Buchholz vor mehr als zehn Jahren zu spüren, berichten Beteiligte. Er wollte damals neben dem Zeitschriftengeschäft eine zweite Säule aus digitalen Fachinformationen aufbauen und für 100 Millionen Euro das britische Markt- und Meinungsforschungsinstitut Yougov kaufen. Bertelsmann sicherte ihm damals eine Unterstützung von einer halben Milliarde Euro für solche Investments zu.
Doch als Rabe 2011 die Unternehmensführung übernahm, habe er von dieser Zusage nichts mehr wissen wollen. Rabe habe Yougov und ähnliche strategische Investmentprojekte geblockt, weil er sich solche Investments für Bertelsmann vorbehielt. Heute hat Yougov einen Börsenwert von 1 Milliarde Euro. Bertelsmann will dazu nicht Stellung nehmen.
Bertelsmann kauft 2014 G+J
Dieser Kurswechel habe G+J-Chef Buchholz damals verwunderte, heißt es. Er ahnte nicht, dass Rabe über Monate geheime Kaufverhandlungen mit Winfried Steeger, dem Geschäftsführer der Jahr-Holding, führte.
Steeger und Rabe hätten sich gut verstanden in den Verhandlungen, registrierten G+J-Manager. Anwalt Steeger arbeitete davor für die Kanzlei Freshfields, die auch für Bertelsmann und RTL tätig war, wie es in einer Unternehmensgeschichte der Kanzlei heißt. Als Buchholz aus dem Manager Magazin von den geheimen Verhandlungen, versehen mit unangenehmen Interna aus Gütersloh über sich, erfuhr, fühlte er sich verraten und ging.
Dieser Umstand erleichterte später den Verkauf. Für 100 Millionen kaufte Rabe 2014 für Bertelsmann die Anteile der Familie Jahr. Dazu übernahm der Konzern für weitere 100 Millionen die Pensionsverpflichtungen der Jahrs.
Addiert man die Gewinne, die Bertelsmann durch die Verkäufe von Unternehmensanteilen seit 2014 erzielte, zeigt sich, dass die Anteile unter ihrem Wert verkauft wurden. Ausgehend von ihrem 25-prozentigen Anteil, haben sie etwa 100 Millionen zu wenig kassiert. Der Deal hatte zudem einen weiteren Vorteil für Rabe: Die 100 Millionen für Pensionsverpflichtungen wanderten in den Trust von Bertelsmann, wo das Unternehmen sie für den Vermögensaufbau verwenden kann.
Verlag bringt lukratives Geschäft
Um mehr Kontrolle ausüben zu können, änderte Rabe die Rechtsform von G+J. Nach dem Verkauf entzog er dem Verlag immer wieder Werte.
Bertelsmann äußert sich nicht zu Gewinnen aus Verkäufen. Aber Geschäftsberichte, Veröffentlichungen und Insiderkenntnisse ergeben zum heutigen Stand folgende Schätzungen: Der Verkauf des denkmalgeschützten Verlagssitzes von G+J „Am Baumwall“ in Hamburg hat rund 300 Millionen Euro erbracht, das Frankreichgeschäft mehr als 150 Millionen. Mit dem Verkauf weiterer Beteiligungen hat Rabe schätzungsweise weit mehr als 600 Millionen Euro seit 2014 aus G+J abgezogen.
Lukrative Beteiligungen, wie Spiegel, Applike, Dresdner Verlag, Territory, teilweise bei G+J entwickelt, wanderten in den Besitz von Bertelsmann. G+J verfügte also über Werte von weit mehr als 1 Milliarde Euro, die der Verlag für Investitionen hätte nutzen können.
Warum ist das wichtig? Rabe behauptete im Spiegel-Interview im Februar, G+J wäre „in seiner heutigen Aufstellung“ in genau die gleichen Probleme der schwindenden Erträge gelaufen – mit oder ohne die Übernahme von RTL. Entscheidend sind die Worte „in seiner heutigen Aufstellung“ – und an dieser „Aufstellung“ trägt er die entscheidende Verantwortung.
Fusion zum Inhalte-Champion
Den Rest an G+J, der nach all den Verkäufen durch Bertelsmann übrig blieb, hat der Medienkonzern im August 2021 für 228 Millionen Euro an RTL verkauft. Mit der Zusammenführung, erzählte Rabe der Öffentlichkeit, kreiere man einen Inhalte-Champion.
Aber auch für diesen Verkauf waren vermutlich rein finanzielle Gründe ausschlaggebend. Denn Bertelsmann ist nur mit 75 Prozent an RTL beteiligt. Das bedeutet, dass Rabe so 25 Prozent der Kosten, die durch Umstrukturierung und Abfindungen bei G+J entstehen, an andere Gesellschafter weiterreichen kann.
Christoph Mohn, Aufsichtsratschef von Bertelsmann, zeigte sich mit Rabe zufrieden, wie er der Financial Times sagte. Bertelsmann „wächst stärker und ist digitaler, diverser, weniger anfällig für Wirtschaftskrisen und profitabler als vor einigen Jahren“, lobte Mohn.
Trotz der Rückschläge und gescheiterten Fusionen seien die großen Investitionen in Rabes Amtszeit erfolgreich. Rabe selbst sagte zum Rückhalt der Eigentümer-Familie Mohn: „Ich bin mit mir vollkommen im Reinen. Ich spüre umfassende Rückendeckung für alles bei Gruner + Jahr.“ Für RTL und Bertelsmann vermeldete er Rekordumsätze.
Und Verena Carl? Bekannte seien aus- oder umgestiegen in PR oder interne Kommunikation. Sie bedauert das und möchte gerne weiter im Journalismus arbeiten. Im Juni sagte sie in einem Interview mit dem Nestbeschmutzer, einer Publikation des Netzwerks Recherche: „Aktuell bin ich wieder auf der Suche, woher das Geld kommt.“ Vor wenigen Tagen ist ihr Ratgeber-Buch für Eltern von queeren Kindern erschienen. Immerhin.
Leser*innenkommentare
Philippe Ressing
Das liest sich wie aus dem Handbuch für "Finanz-Heuschrecken". Da werden lukrative Teile des Unternehmens G+J Schritt für Schritt versilbert, den Gewinn steckt Bertelsmann ein und der Verlag verliert an Wert - wird faktisch ausgeschlachtet - der Torso dicht gemacht.
rakader
Danke für diesen sehr informativen Artikel. Wenn das alles so stimmt - ich muss mir die Winkelzüge sicher ein zweites Mal durchlesen - heißt das, dass ein kerngesundes Unternehmen filetiert wurde, um einen kriselnden Fernsehsender, der für Trash-TV statt Journalismus steht, zu pampern.
Was für ein übles Stück. Es kann einem nur schlecht werden. Früher war alles besser? Hier eindeutig ja: Verleger hieß früher neben der ökonomischen Verantwortung auch eine gesellschaftliche Verantwortung zu haben. Bei RTL heißt dieser Pluralismus Bauer sucht Frau versus Bachelor.
Axel Schäfer
@rakader Die ganzen Transaktionen sind ja auch nur aufgrund einer extrem laschen und unternehmerfreundlichen Gesetzgebung möglich. Theoretisch müsste ja der Staat jetzt mal aktiv werden und im Gegenzug die gesellschaftliche Verantwortung einfordern. Praktisch wird dies natürlich nie geschehen, weil die sich diese Unternehmen durch ihre Lobbyarbeit gut abgesichert haben.
Alles arme kleine inhabergeführte Familienbetriebe, da muss man einfach Mitleid haben....
rakader
@Axel Schäfer Das ist zu pauschal und inhaltlich falsch, was Sie hier behaupten. Das Kartellrecht ist bei Medien bedeutend strenger als für andere Unternehmungen. Eben weil Medien eine gesellschaftliche Funktion zugeschrieben wird.
Stichhaltige Kritik wird doch solche Pauschalurteile entwertet.
Kabelbrand Höllenfeuer
@rakader Das zahlreiche Medien einigen wenigen superreichen Familien gehören, wirkt sich in in Krisen extrem negativ auf Modernisierungsbestrebungen aus.
rakader
@Kabelbrand Höllenfeuer Auch das ist zu pauschal. Und Sie liegen tendenziell falsch. Das Gegenteil ist der FalMedien sind heute so gut wie nicht mehr Inhabergeführt. Wohlmöglich ist das das Problem. Murdochs gibt es wenige. Und Burda ist bei uns die Ausnahme. Dieser Verlag ist extrem innovationsfreundlich - in technischer Hinsicht, nicht in journalistischer. Die meisten Verlage und Medienhäuser sind heute Beteiligungen, gesteuert durch medienfremde Akteure. Das ist das Problem. Siehe RTL.