Verkehrswende hier und dort: Fietsen im Fegefeuer

Holland hat eigene Straßen, Infrastruktur, Vorfahrt für Radler. Und Oranje und die Lieblingscousine. Was in Deutschland trotzdem besser ist.

Verkehrswende: Radfahrer fahren an einer niederländischen Windmühle vorbei

Nur mit dem Wind für ihre Mühlen übertreiben die Niederländer*innen. Vor allem Richtung Westen Foto: dpa

Obwohl ich der einzige nicht-kiffende tazler bin, liebe ich unser Nachbarland im Westen. Das Pragmatisch-liberale der Niederländer, die Hagelslag-Schokosplitter und ein kompromissloser Offensivfußball haben mich immer schon für Oranje eingenommen. Dann lebt in der Gegend auch noch meine Lieblingscousine. Und so stand in diesem Sommer Fahrradfahren im Pedal-Paradies an. Und ich muss sagen: Das Königreich der Niederlande hat uns nicht enttäuscht. Schon das Verb „fietsen“ für Radfahren klingt nach fidelem Quietschen, und so ist es dann auch: Fahrradgaragen plus Reparaturservice an den Bahnhöfen. Einfache Zugänge in die Züge.

Radstraßen, wohin das Auge blickt. Eigene Radrouten entlang aller großen Straßen, mit Gegenverkehr, eigenen Ampeln und einem Leitsystem, das den Drahteselreiter mit Zahlen und „Knotenpunkten“ sicher durchs Deichland führt. Wir reden von Verkehrswende. Die Holländer machen sie einfach.

Okay, manchmal übertreiben sie es ein bisschen mit den erneuerbaren Energien für ihre Windmühlen. Vor allem wenn man wie wir den Fehler macht, in Richtung Westen zu strampeln. Aber dafür wurden wir belohnt mit einer Stadt- und Straßenplanung, bei der man denkt: Hier ist das Fahrrad nicht nur ein lästiges Nebenprodukt, das man an der Schnellstraße auf den unbefestigten Seitenstreifen quetschen kann. Nein: Da hat jemand die Infrastruktur geplant, der selbst gern durch die Gegend fietst. Als uns in Utrecht auf der Radautobahn eine Gruppe von zwei Dutzend selbstbewussten Radfahrern den Weg abschnitt, wurde es mir sogar fast ein bisschen zu viel mit den Rechten der Radlern.

Aber zum Urlaub gehören Kontraste. Daher verließen wir das Paradies und fuhren durchs Fahrrad-Fegefeuer: In NRW und Niedersachsen bekommen Radfahrer wieder gezeigt, wer in einer echten Autokratie am Lenker sitzt. Gut, in Minden stellt die Polizei vor der Wache sogar Luft und Werkzeug bereit. Aber das Fehlen von eigenen Straßen für Radfahrer, eigener Infrastruktur und eigener Vorfahrt schmerzt mindestens so sehr wie das platt gesessene Hinterteil.

Abenteuerliche Beschilderung und faustgroße Geröllbrocken

Die offiziellen Radwege führen über Nebenstraßen oder Fahrradwege, die uns auf die Bürgersteige schicken. Den ehrlichen Retro-Treter wie mich frustriert es, wenn mich am steilsten Anstieg die gut gelaunten E-Bike-Rentner mit aufmunternden Kommentaren überholen. Für die Wegweiser braucht man eine App oder eine Karte, weil immer genau die gesuchte Stadt nicht auf dem Schild steht. Und die Planer finden nichts dabei, offizielle Radstraßen wie kurz vor Göttingen über Kieswege mit faustdicken Geröllbrocken und Schlaglöchern zu schicken, in denen man einen Kleinwagenmotor unterbringen könnte.

Allerdings: Ganz großartig waren die UreinwohnerInnen in Westfalen und im Weserland. Kaum bremsten wir mal an einem Wegschild, stürmte die einheimische Bevölkerung mit gut gemeinten Tipps auf uns zu. Manchmal sparten diese Abkürzungen sogar Zeit.

Und auch das eine einmalige Erfahrung: An einem dieser 40 Grad-Hitzetage badeten wir mittags in der Weser hinter Hameln direkt am Atomkraftwerk Grohnde – am nächsten Tag wurde der Reaktor vom Netz genommen. Von solchen Erfolgserlebnissen können Radfahrer in den Niederlanden nur träumen.

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Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).

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