Verkehrsberuhigung in Berlin: Mach doch rüber in die Zone
In Friedrichshain gibt es jetzt Berlins zweite verkehrsberuhigte „Schulzone“. AktivistInnen regen an, viele weitere zu schaffen.
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Kinder sind hier besonders oft unterwegs: Das knapp 100 Meter lange Straßenstück liegt vor dem Eingang zur Jane-Goodall-Grundschule und ist damit eine „Schulzone“ – nach der Singerstraße in Mitte die zweite in Berlin, die von einem Bezirk auf Dauer angelegt wurde. Darüber hinaus gab es bislang nur Verkehrsversuche, bei denen etwa für ein Unterrichtshalbjahr die Straße vor einer Schule provisorisch gesperrt wurde.
Dabei profitieren nicht nur SchülerInnen von weniger Lärm und mehr Bewegungsfreiheit: „Seit die Straße vor ein paar Wochen für den Autoverkehr gesperrt wurde, erleben wir, dass die Fläche auch nachmittags und abends gut angenommen wird“, sagt Jane-Goodall-Schulleiterin Kathrin Rohwäder. „Hier treffen sich Familien und auch Teile der Schulgemeinschaft.“ Die bezirkliche Fußverkehrsplanerin, Elisa Mattioli Lattanzi, freut sich über „Community Building“ durch Aktionen wie das gemeinsame Bepflanzen der Hochbeete.
Was jetzt noch fehle, so Mattioli Lattanzi, seien bunte Bodenmarkierungen an den Einfahrten, die auf die benachbarte Schule hinwiesen. Schließlich haben die Kinder immer noch Schulwege außerhalb der sicheren Zone, dafür soll bei Autofahrenden Aufmerksamkeit geschaffen werden. Die berüchtigten „Elterntaxis“, die morgens und nachmittags viele Straßen vor Grundschulen verstopfen, gebe es hier übrigens kaum, sagt Elternvertreterin Eva Kese Friese. Das liege daran, dass der Einzugsbereich der Schule sehr klein sei. „Hier stauen sich eher mal die Fahrräder.“
Friedrichshain-Kreuzbergs Umwelt- und Verkehrsstadträtin Annika Gerold (Grüne) weist darauf hin, dass im Bezirk weitere dauerhafte Schulzonen in Arbeit sind. Noch in diesem Jahr sollen sie vor der Evangelischen Schule Friedrichshain am Petersburger Platz und vor der Modersohnschule in der Simplonstraße umgesetzt werden. Drei weitere Standorte – zwei in Friedrichshain, einer in Kreuzberg – befinden sich im Beteiligungsverfahren.
FußgängerInnenzonen wie in der Scharnweberstraße sind aus Gerolds Sicht das Mittel der Wahl, wenn es um Schulzonen geht. Für sie wird eine sogenannte Teileinziehung durchgeführt. Sprich: Das Verbot für Kraftfahrzeuge – Ausnahmen gibt es für Einsatzfahrzeuge oder die Müllabfuhr – ist permanent und kann nicht ohne Weiteres wieder aufgehoben werden. Dadurch ergeben sich auch weitere Möglichkeiten, etwa die Entsiegelung von Teilen der Fläche. Allerdings hat eine Teileinziehung einen längeren Vorlauf mit Beteiligung von AnwohnerInnen, Gewerbetreibenden oder der Feuerwehr.
200 „rues aux écoles“ in Paris
Diese bürokratischen Hürden dürften der Grund dafür sein, dass es in Berlin immer noch so wenige Schulzonen gibt, obwohl das Konzept von MobilitätsaktivistInnen seit Jahren beworben wird und die grünen Verantwortlichen in etlichen Berliner Bezirken keine ideologischen Probleme damit haben dürften. Dagegen gibt es in NRW schon rund 40 Schulzonen, und Paris hat in weniger als drei Jahren sagenhafte 200 „rues aux écoles“ geschaffen.
Vom Senat haben die Bezirke aktuell nicht allzu viel Unterstützung zu erwarten. Oda Hassepaß, verkehrspolitische Sprecherin der Grünenfraktion, die die Bewegung seit Langem unterstützt, weist darauf hin, dass Schulzonen, die noch Teil der letzten rot-grün-roten Koalitionsvereinbarung waren, aus dem Vertrag der rot-schwarzen NachfolgerInnen verschwunden sind. Die Senatsverkehrsverwaltung teilt auf taz-Anfrage mit, dass sie einen „Konzeptentwurf zum Mobilitätsmanagement für Schulen und Kitas“ erstellt habe – der befinde sich aber noch in der Überarbeitung.
Mittlerweile haben sich allerdings einige Rahmenbedingungen geändert. Das bundesweite Aktionsbündnis Kidical Mass, dem auch der Verein Changing Cities und der Verkehrsclub VCD angehören, erläuterte kürzlich in einer Onlinekonferenz, dass die Straßenverkehrsordnung (StVO) seit ihrer Novellierung im Herbst neue Handlungsspielräume eröffnet.
Wurden Beschränkungen des fließenden Verkehrs vorher sehr restriktiv gehandhabt, können Kommunen jetzt auch verkehrsberuhigte Zonen mit dem Ziel anordnen, „angemessene Flächen für den Fahrrad- und Fußverkehr“ bereitzustellen, die dem Umwelt- und Gesundheitsschutz sowie der Stadtentwicklung dienen. Kidical Mass, das selbst lieber von „Schulstraßen“ spricht, bietet dazu ein Rechtsgutachten und einen Leitfaden an, der die notwendigen Schritte zur Umsetzung beschreibt.
Laut Steffen Brückner von Kidical Mass ist es dank der neuen StVO nun vor allem viel einfacher, temporäre Schulstraßen anzuordnen, aus denen der Kfz-Verkehr zumindest vor und nach dem Unterricht verbannt wird. Vorzuziehen, so Brückner, sei aber weiter die permanente Teileinziehung, denn Schulstraßen seien „mehr als sichere Schulwege. Sie sind Verkehrsberuhigung und lebenswerte Orte für alle Generationen“.
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