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Verhandlungen in NahostNicht mehr als eine Pause

Die Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas für einen Deal zur Waffenruhe und zur Freilassung der Geiseln stocken. Auch, weil zentrale Punkte immer noch ungelöst sind.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu (Mitte) zu Besuch in den USA Anfang der Woche Foto: Evelyn Hockstein/reuters

Berlin taz | Zwischen Hoffnung und Angst“ – so beschreibt eine Autorin aus dem Gazastreifen ihre Gefühlslage über den Waffenruhe-Geisel-Deal, der derzeit verhandelt wird. Am vergangenen Samstag hatte US-Präsident Donald Trump noch vollmundig verkündet: Es bestehe eine „gute Chance“, dass man „noch in dieser Woche“ einen solchen Deal mit der Hamas erreichen werde.

Nun ist die ­Woche beinahe vorbei – und ein Abkommen weiterhin nur in Aussicht. Verschiedene Meldungen ließen in den vergangenen Tagen die Hoffnungen wachsen – nicht nur bei Zivilistinnen und Zivilisten im Gazastreifen, sondern auch bei den Angehörigen der dort verbliebenen Geiseln – und dann wieder die Angst.

Drei Problemstellen der Verhandlungen wurden im Laufe der Woche bekannt: So bestand die Hamas auf eine Rückkehr des alten Verteilmechanismus für humanitäre Güter über die Vereinten Nationen und etablierte Hilfsorganisationen, nicht über die Gaza Humanitarian Foundation.

Diese Stiftung gilt als von Israel selbst initiiert. Sie wird von vielen Seiten kritisiert, etwa weil die Zusammenstellung der Güterpakete mangelernährten Menschen nicht gerecht wird, und weil immer wieder – mit hoher Wahrscheinlichkeit seitens der i­sraelischen Armee – auf Menschen auf dem Weg zu den Verteilzentren geschossen wird. Das Problem des Verteilmechanismus scheint sich aber am ehesten lösen zu lassen. So vermeldete die katarische Zeitung Al-Araby Al-Jadeed eine Annäherung.

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Beim zweiten Knackpunkt scheinen die Verhandlungen schon komplizierter: Laut den Forderungen der Hamas soll ­Israel seine Bodentruppen auf die Positionen zurückziehen, die es vor dem Ende der Waffenruhe im März hielt. Vor allem den Morag-Korridor soll das Militär nach Berichten israelischer Medien jedoch beibehalten wollen. Dieser verläuft zwischen der südlichsten Stadt Rafah und der davon nördlich gelegenen Stadt Chan Junis. Die Verhandlungen dazu, ob die israelische Armee sich aus dem Korridor und weiteren strategisch relevanten Orten im Gaza­streifen zurückziehen soll, halten an.

Sind alle Akteure bereit zu Verhandlungen?

Bleibt der letzte Punkt der Uneinigkeit: die Dauer der Waffenruhe. Derzeit wird über einen Waffenstillstand von sechzig Tagen verhandelt. Insgesamt sollen in den sechzig Tagen Waffenruhe zehn Geiseln freigelassen werden, die Hälfte der 20 im Gaza­streifen verbliebenen: acht am ersten Tag, zwei am fünfzigsten Tag. Von den 27 toten Geiseln sollen fünf am siebten Tag der Waffenruhe übergeben werden, fünf weitere nach dreißig Tagen und acht am letzten Tag.

Laut New York Times soll Teil der Verhandlungen sein, dass die Hamas keine Zeremonien zur Übergabe der Geiseln oder ihrer Leichen im Gazastreifen abhält. Das hatte sie in der vergangenen Waffenruhe im Frühling dieses Jahres getan. Die Bilder davon hatten weltweit für Entrüstung und Anteilnahme gesorgt, etwa als die Särge der aus Israel entführten Bibas-Familie überführt wurden.

Aber was passiert, wenn sich die sechzig Tage dem Ende zuneigen?

Im derzeit auf dem Tisch liegenden Deal ist nach Medienberichten vermerkt, dass die Waffenruhe verlängert werden kann, so sich Israel und die Hamas auf ernsthafte Folgeverhandlungen einlassen. Israels Premier Netanjahu fordert, dass alle Geiseln freikommen und die militärischen und politischen Strukturen der Hamas zerstört werden sollen. Und es solle „sichergestellt werden, dass Gaza keine Bedrohung mehr für Israel darstellt“. Das bedeute, so Netanjahu, „keine Hamas“.

Der Krieg wird wohl weitergehen

Alles Entgegenkommen in den Verhandlungen kann also nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein Kernproblem weiterbesteht: Israel fordert von der Hamas die Waffen und die Kontrolle abzugeben – und von ihren Anführern, den Gaza­streifen zu verlassen. Von der Hamas scheint es dazu kaum Bereitschaft zu geben. So würde diese Waffenruhe – wenn sie denn kommt – nach gegenwärtigem Stand nur für eine Verzögerung des Krieges sorgen, nicht aber für dessen Ende. Das Szenario scheint sich nicht großartig zu unterscheiden von dem aus dem Januar: Eine temporäre Waffenruhe im Austausch gegen eine begrenzte Anzahl an Geiseln.

Wieder und wieder kehren Analysten zu denselben Schlussfolgerungen zurück: Solange Israels Regierung sich nicht auf eine Strategie einigen kann, um der Hamas auch außerhalb des Schlachtfelds zu begegnen, wird der Krieg weitergehen. Denn eine langfristige Lösung, einen umsetzbaren Plan für einen Gazastreifen post-Hamas scheint es noch immer nicht zu geben. Die Kontrolle des Küstenstreifens durch die palästinensische Autonomiebehörde, die über Teile des besetzten Westjordanlands herrscht, lehnt die israelische Regierung unter Netanjahu ab. Und der Plan von US-Präsident Trump, den Netanjahu aufgriff – dass die Palästinenser „freiwillig“ den Gazastreifen verlassen sollen –, ist völkerrechtswidrig und sorgte bereits für weltweite Gegenproteste.

Letztlich bleibt eine Erkenntnis: Selbst wenn eine Waffenruhe kommt, selbst wenn sie Jahre statt Monate hält, ist der Konflikt nicht gelöst. Die Freilassung aller israelischen Geiseln aus dem Gazastreifen wird ihn nicht lösen können. Ebenso naiv wäre es anzunehmen, dass die Hamas ein Ende der Besatzung des Westjordanlands und ein Ende des Krieges in Gaza als langfristige Friedenslösung akzeptieren würde.

Lösung ist nicht in Sicht

Für einen langfristigen Frieden ist eine Zweistaatenlösung wohl noch immer die beste Option. Um diesen Prozess auch nur zu beginnen, müssten zuerst die Führungskader der Hamas den Gazastreifen verlassen, die Miliz die Waffen abgeben. Die Geiseln müssten an Israel zurückgegeben werden; palästinensische Gefangene, gegen die es keine konkreten Vorwürfe gibt, aus israelischen Gefängnissen entlassen werden.

Israel müsste die Palästinensischen Autonomiebehörde wieder als Partner in Sicherheitsfragen anerkennen und ihr die Kontrolle über die eigene Bevölkerung – im Westjordanland wie auch im Gazastreifen – ermöglichen. Die Autonomiebehörde müsste die israelischen Sicherheitsbedenken anerkennen und ihnen aktiv entgegenwirken. Und nicht zuletzt müsste Israel die Bereitschaft zeigen, die Siedlungen im Westjordanland und Ostjerusalem in den Grenzen von 1967 aufzugeben.

All das wird nach derzeitiger Gemengelage nicht passieren. Und so ist jede Waffenruhe – wenn sie denn kommt – maximal eine Pause, nicht aber eine Lösung.

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