Verhandlung in Karlsruhe: Wissen, woher man kommt
Das Bundesverfassungsgericht klärt, ob mögliche Väter zum Gentest gezwungen werden können. Geklagt hat eine 65-jährige Frau.
Die Jugend von Inge Lohmann verlief tragisch. Ihre Mutter war zunächst alleinerziehend, dann heiratete sie einen Alkoholiker, der die kleine Inge missbrauchte und die Mutter schlug. Als der Säufer wieder einmal auf seine Ehefrau los ging, rief die elfjährige Inge ihren Bruder zu Hilfe, der den Stiefvater erstach.
Für dieses Schicksal macht Lohmann indirekt auch einen Mann verantwortlich, der sich nicht um sie gekümmert hat: ihren leiblichen Vater, beziehungsweise den Mann, von dem ihre Mutter sagte, er sei der Vater. Doch dieser Mann, ein Maler, bestreitet die Vaterschaft. Er beruft sich auf ein Urteil aus dem Jahr 1955. Damals hatte die Mutter bereits eine Vaterschaftsklage gegen ihn eingereicht, aber ohne Erfolg. Das Landgericht Krefeld lehnte die Klage ab, eine Abstammung sei ausgeschlossen.
Schutz vor Störmanövern
Jahrzehnte später hat Inge Lohmann allerdings erfahren, dass es der Künstler war, der ihre Geburt 1950 bei den Behörden meldete. Nun war sie sicher, dass er ihr Vater sein musste. Doch sie wollte Sicherheit haben.
Um eine Abstammung zu klären, gibt es zwei juristische Möglichkeiten. Klassisch ist die Vaterschaftsklage, bei der am Ende der rechtliche Status festgestellt wird. Dieser Weg ist in Lohmanns Fall versperrt, weil das Urteil von 1955 rechtskräftig ist.
Seit einigen Jahren gibt es aber noch eine zweite Möglichkeit, bei der nur die biologische Vaterschaft geklärt wird, ohne die rechtliche Verwandtschaft zu ändern. Mit diesem Verfahren können zum Beispiel Ehemänner prüfen lassen, ob die in der Ehe geborenen Kinder wirklich von ihnen sind, ohne dabei die rechtliche Vaterschaft und damit Verantwortung für die Kinder in Frage zu stellen.
Biologische Väter können nach diesem Verfahren weder klagen noch verklagt werden. Damit wollte der Gesetzgeber eigentlich funktionierende Familie vor Störmanövern von außen schützen. Umgekehrt kann nun aber auch Inge Lohmann ihren mutmaßlichen biologischen Vater nicht zum Gentest zwingen.
Ergebnisse aus den 1950-ern verlässlich
Das Bundesverfassungsgericht muss jetzt entscheiden, ob diese rechtliche Lücke den Anspruch Lohmanns auf Kenntnis ihrer Abstammung verletzt. Gut möglich, dass Karlsruhe Lohmanns Beschwerde abweist, weil die Indizien, die für eine Vaterschaft des Malers sprechen, doch nicht so stark sind. So kam in der Verhandlung heraus, dass die Mutter im Jahr 1950 bereits einen anderen Mann als Vater von Inge benannt hatte. Thomas Meysen vom Deutschen Institut für Jugendhilfe und Familienrecht warnte davor, die Untersuchungsmethoden der 50er-Jahre zu unterschätzen. „Wenn damals eine Vaterschaft ausgeschlossen wurde, war das bis auf wenige Sonderfälle durchaus verlässlich.“
Sollte die Klage Lohmanns aber doch Erfolg haben, würden die Richter wohl zunächst den Bundestag beauftragen, das Gesetz zu ändern und dabei die Interessen aller Beteiligten zu berücksichtigen. Immerhin geht es bei einem solchen Test ja um die Folgen (angeblicher) früherer Sexualkontakte, also um intime Informationen.
Justizstaatssekretärin Stefanie Hubig (SPD) betonte, dass ihr Ministerium schon Anfang 2015 eine Kommission zur Prüfung des Abstammungsrechts eingesetzt hat. Dort geht es zwar vor allem um die komplizierten Verwandtschaftsverhältnisse, die durch Samenspenden und Leihmutterschaften entstehen, aber auch um die Frage, wer wann von wem einen Gentest zur Klärung der Abstammung verlangen kann.
Das Bundesverfassungsgericht wird sein Urteil über die Klage von Inge Lohmann erst in einigen Monaten verkünden.
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