Verhaltensnote in der Schule: Mohammed ist ein Urteil

Wenn sich Schüler mit Migrationshintergrund auffällig verhalten, dann steckt oft mehr dahinter als ein schlechter Wille.

Namen von Schülern auf einer Tafel

Der Name einer Schülerin oder eines Schülers reicht aus, um Ressentiments zu wecken Foto: fotototo/imago

Hätte ich bei der Notenkonferenz letztes Jahr ein Trinkspiel gespielt, bei dem ich bei jedem nicht österreichisch klingenden Bubennamen, dem eine schlechte Verhaltensnote eingetragen wurde, einen Schluck genommen hätte – man hätte mich nach Hause tragen müssen.

Wobei ich nach der Erkenntnis, dass alle Burschen mit Migrationshintergrund anscheinend nur negativ im Unterricht auffallen, einen Drink gebrauchen könnte. „Kevin ist kein Name, Kevin ist eine Diagnose“, heißt es in Deutschland. „Mohammed ist kein Name, Mohammed ist ein Urteil“, könnte es in Österreich lauten. „Der Lobenswerte“ bedeutet der Name „Mohammed“ auf Arabisch, auf Österreichisch bedeutet er genau das Gegenteil.

Schüler mit Migrationshintergrund gelten überproportional oft als Störenfriede, Mobber, Lehrerschreck. Vor Klassen, in denen überwiegend Burschen mit Migrationshintergrund sitzen, haben alle Angst. Ihnen eilt ein Ruf voraus, man wird gewarnt, bevor man die Klasse betritt. Und natürlich geht die sich selbst erfüllende Prophezeiung auf: Lehrer*innen gehen vorurteilsbehaftet in die Klasse und wundern sich, dass sie bestätigt wieder herauskommen.

Auch ich musste mich schon intensiver mit Schülern mit Migrationshintergrund beschäftigen. Sich mit jungen Menschen auseinanderzusetzen, gehört zum Job als Pädagogin. In Gesprächen mit ihnen stellte sich schnell heraus, woher ihr Verhalten rührt.

Mit ihm statt über ihn sprechen

Daheim gibt es kein Geld, sie müssen die Eltern auf Amtswege begleiten und übersetzen, manchmal über die Geschwister wachen, bekommen selbst aber nirgends Unterstützung. Sie glauben, ein veraltetes Männlichkeitsbild aufrechterhalten zu müssen, und werden gleichzeitig von der Mehrheitsgesellschaft dafür verachtet. Menschen setzen sich in der U-Bahn von ihnen weg, Politik und Medien haben sie längst abgeschrieben. Wie sollen sie in der Schule brave Kinder sein, wenn sie nie eine Kindheit hatten?

Sie treffen oft auf Lehrpersonen, die ihre Lebenswelt nicht kennen, weil sie selbst bürgerlich behütet aufgewachsen sind und ihr Verhalten persönlich nehmen. Weil sich diese Burschen so pseudomännlich verhalten, vergessen viele Lehrer*innen, dass da keine erwachsenen Männer, sondern junge Burschen hinter der Fassade stecken.

Burschen aus Familien, in denen psychische Erkrankungen oft ein Tabu sind. Die Eltern gehen mit ihren Söhnen nicht zur Psychotherapie, wenn die sich auffällig verhalten. Wie viele von diesen „problematischen“ Burschen womöglich ADHS, ein Burnout oder eine posttraumatische Belastungsstörung haben, die unbehandelt bleibt? Das sollten Lehrer*innen berücksichtigen, wenn sie sich über Mohammeds Verhalten im Lehrerzimmer echauffieren.

Statt über ihn zu sprechen, sollten sie lieber mit ihm und der Sozialarbeiterin oder Schulpsychologin reden. Der harten Art der Burschen mit Härte zu begegnen, erhöht lediglich das Eskalationspotenzial.

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Autorin "Generation haram", Journalistin, ehemalige Lehrerin, lebt in Wien

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