Vergessene Autorinnen der Gruppe 47: Schöne Mädchen für das Fest
Dass bei der Gruppe 47 auch Autorinnen vorlasen, ist fast vergessen. Nicole Seifert erzählt von ihnen und analysiert den damaligen Literaturmachismus.
Wann stand eigentlich zuletzt nur die Kunst im Mittelpunkt? Polarisiert und politisiert ist heute nicht nur die Gesellschaft, sondern genauso die Kultur. Kaum eine kulturelle Großveranstaltung, kaum ein Festival scheint ohne Skandale auszukommen.
Mit Staunen blickt man da heute auf literarische Zusammenschlüsse wie die Gruppe 47 zurück. Mit welcher feierlichen Ernsthaftigkeit dort die Literatur und nur die Literatur in den Mittelpunkt gestellt wurde, zwei Jahre nachdem mit der Kapitulation des NS-Regimes die dunkelste Episode der deutschen Geschichte endete, wirkt beinahe grotesk.
Allerdings war dieser abrupte Bruch mit der Nazizeit, der Fokus auf die sogenannte Kahlschlagliteratur, verordnet. Hans Werner Richter, Gründer und Kopf der Gruppe 47, legte Wert darauf, dass eine politische Auseinandersetzung mit der NS-Zeit zugunsten einer literarischen Neuausrichtung nicht stattfand. Eine gewisse Unempfindlichkeit gegenüber Patriarchen muss es gewesen sein, die kaum jemanden die Alleinherrschaft Richters hat anzweifeln lassen.
Nicole Seifert: „Einige Herren sagten etwas dazu“. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2024, 352 Seiten, 24 Euro
Der Spiritus Rector bestimmte allein, wer in die zunehmend berühmtere Runde eintreten und Texte vor Schriftstellern und Kritikern vorlesen durfte. Wie die Literaturwissenschaftlerin Nicole Seifert in ihrem Buch „Einige Herren sagten etwas dazu. Die Autorinnen der Gruppe 47“ ausführt, waren Frauen nur in den seltensten Fällen darunter.
Abgesehen von Ingeborg Bachmann sind viele der Autorinnen heute vergessen. Da ist etwa Griseldis Fleming, die Hans Werner Richter Anfang der 60er Jahre in Palermo kennenlernt. Begeistert lässt er sich von Klaus Wagenbach all ihre Texte schicken, bittet ihn aber, mit niemandem darüber zu sprechen, da er Fleming bei der nächsten Tagung der Gruppe 47 als seinen „eigenen ‚Geheimtyp‘ vorführen“ wolle. Ein anderes Mal lädt Richter „einen ganzen Stoß Ehefrauen“ aus und bestellt stattdessen „schöne Mädchen von 15 bis 45 für das Fest“.
So verrückte Leute wie Schriftsteller
„Ein aufgeklärter Despot war er“, sagte ein gut gelaunter Günter Grass 2007 bei einer Gesprächsrunde zur 60 Jahre zuvor gegründeten Gruppe 47 im Berliner Ensemble und, an seinen Schriftstellerkollegen Martin Walser gewandt: „Glaubst du wirklich, dass man so verrückte Leute wie Schriftsteller mit rein demokratischen Methoden zusammenhalten kann?“ Gutmütig lachte das Publikum mit dem ausschließlich männlich besetzten Podium mit.
Wie Richter aktiv dazu beitrug, Autorinnen aus der Geschichtsschreibung der Gruppe 47 zu tilgen, zeichnet Seifert ebenfalls nach. Das erste Treffen der Gruppe fand 1947 im Haus von Ilse Schneider-Lengyel am Bannwaldsee statt. Dass diese immer wieder karge Mahlzeiten für die Gruppe bereitete, schon morgens, wenn der Rest noch schlief, auf den See fuhr, um Fische zu fangen, hat Richter in Interviews bezeugt. Dass Schneider-Lengyel ebenfalls Gedichte vortrug, unterschlägt er jedoch vollkommen.
Seifert zitiert Dabeigewesene, die sich an ihre Kolleginnen meist nur im Kontext ihres Sex-Appeals erinnern. Make-up, Frisur und Figur der wenigen vorlesenden Autorinnen nicht zu kommentieren, scheint den mitlesenden Autoren unmöglich gewesen zu sein. Seifert beschreibt, wie die Frauen Annäherungsversuche abwehrten, wie Ilse Aichinger einmal Hans Werner Richter bitten musste, einen nackten jungen Lyriker aus ihrem Bett zu entfernen.
Zum äußersten, zur Gewaltanwendung im Erlkönig’schen Sinne scheint es dabei zwar nie gekommen zu sein. Mit welcher Rücksichtslosigkeit jedoch die Persönlichkeitsrechte der Autorinnen verletzt wurden, ist brutal nachzulesen. So erzählt Hans Weigel etwa in einem Schlüsselroman die Geschichte Ingeborg Bachmanns als naive Frau aus der Provinz, die sich in den älteren Literaturkritiker, nämlich Weigel selbst, verliebt. Der gekränkte Hermann Hakel geht noch weiter und lässt sich nach einer Affäre mit Bachmann schriftlich über deren Küsse und Körperteile aus.
Als autobiografisch abgewertet
Während die einen Schlüsselromane mit pikanten Details schreiben, sehen die Autorinnen ihre Texte immer wieder durch die Zuschreibung „autobiografisch“ abgewertet. Gabriele Wohmann etwa fiel unter „Biografieverdacht“, schreibt Seifert. Nicht nur von der heutigen Warte aus, vom Hochsitz der Autofiktion, wirkt die tendenziöse Bewertung komisch – man gedenke nur der zahlreichen Kriegserzählungen, in denen der Protagonist eine verdächtig ähnliche Wehrmachtslaufbahn durchläuft wie sein Schöpfer.
Den schnöden Alltag aus Sicht der Frau zu beschreiben, konnte hingegen einem „Verbrechen“ gleichkommen, glaubt man Marcel Reich-Ranicki, der noch 1977 auf unvergessene Weise tobte: „Wen interessiert, was eine Frau denkt, was sie fühlt, während sie menstruiert?“
Dabei schrieben die Autorinnen der Gruppe 47 mit einer Schärfe das Politische im Privaten heraus, die erstaunt. „Ich war selbst überrascht, wie krass die Gesellschaftskritik war, die die Autorinnen in ihren Texten betrieben – und wie wenig darüber gesprochen wurde“, sagt Seifert im Gespräch mit der taz. Die Frauen seien aufgrund ihrer gesellschaftlichen Rolle wahrscheinlich auch unmittelbarer mit sozialen Problemen konfrontiert gewesen und „kamen kaum dazu, viel um sich selbst zu kreisen“.
Wie sich die Frau, auch als Körper, zur jungen wie patriarchalen Bundesrepublik verhält, wird in vielen Texten der Autorinnen verhandelt. Diese Gemeinsamkeiten zu benennen, ist wichtig. Doch die Gefahr, durch Kategorisieren die dichotome Ordnung weiterhin aufrechtzuerhalten, besteht ebenso. Von männlicher und weiblicher Themensetzung ist es meist nicht weit zum männlichen und weiblichen Schreiben. Wie also nicht in den Essentialismus abgleiten?
„Es gibt natürlich männliches und weibliches Schreiben“, sagt Seifert. Doch diese Unterschiede seien nicht biologistisch zu begründen, sondern entspringen der weiblichen Sozialisierung. In Deutschland müsse man das immer noch betonen, sagt sie, auch über 70 Jahre nachdem Simone de Beauvoir „Das andere Geschlecht“ geschrieben hat.
Frauen werden verrissen
In Frankreich hat die „écriture féminine“ sogar ihre eigene Strömung in der Philosophie. Gemäß der Schriftstellerin und Poststrukturalistin Hélène Cixous, die diese Strömung maßgeblich prägte, kreist sogenanntes weibliches Schreiben vor allem um eins: die Suche nach dem aus der Sprache Ausgeschlossenen, dem Verrückten, Entgrenzten.
Ingeborg Bachmann zählte Cixous erklärtermaßen zu ihren Vertreter:innen, doch auch andere Autorinnen der Gruppe 47 eint das kreative Herausfordern von Metapher- und Lyrikkonventionen. Griseldis Fleming etwa, Gisela Elsner oder auch Ilse Schneider-Lengyel, deren Texte von den Kritikern der Gruppe 47 größtenteils verrissen wurden.
Weibliche Autorinnen der Vergessenheit zu entreißen, hat Nicole Seifert sich zur Aufgabe gemacht. Vor drei Jahren veröffentlichte die Literaturwissenschaftlerin mit „Frauen Literatur“ ein Buch über abgewertete und vergessene Autorinnen. Zudem gibt sie seit Kurzem bei Rowohlt die Reihe Entdeckungen heraus, die eben jene vergessenen Autorinnen wieder ins Gespräch bringt. In den USA, sagt Seifert, sei schon mit dem Aufkommen der Bürgerrechtsbewegung der literarische Kanon nicht nur mit Blick auf race, sondern auch auf gender überdacht worden.
Während in den 50er Jahren die Autorinnen in der BRD gegen strukturelle Ablehnung in der Gruppe 47 ankämpfen mussten, war man in anderen Ländern schon weiter. Die Literaturwissenschaftlerin zählt auf, wie zu der Zeit Autorinnen weltweit Erfolge feierten, von Chile bis China. Allzu rosig muss man sich allerdings auch ihre Welt nicht vorstellen. Mysogyne Kritik gab es in Dänemark wie in Amerika. Und die machte nachweislich weder vor Tove Ditlevsen noch Pearl S. Buck Halt.
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