Vergesellschaftung in Berlin: Ein Musterbeispiel für postfaktischen Populismus
Die CDU poltert gegen das Rahmengesetz der eigenen Koalition. Das ist nicht nur billig, sondern verdeutlicht auch ein Dilemma der Konservativen.
K ennen Sie noch Schrödingers Katze? Sie wissen schon, das Gedankenexperiment aus dem Physikunterricht, bei dem ein Tier in einer Box gleichzeitig lebendig und tot ist – solange niemand genau nachschaut? Die CDU hat es sich offenbar zur Aufgabe gemacht, dieses Prinzip in die Politik zu übertragen. Nur so lässt sich jedenfalls die Doppelzüngigkeit der Konservativen verstehen, einerseits zusammen mit der SPD ein Rahmengesetz für Vergesellschaftungen auf den Weg zu bringen – und gleichzeitig heftig dagegen zu protestieren.
„Wenn es eins in Berlin nicht braucht, dann sind es Enteignungen und Klassenkampf“, polterte die Generalsekretärin der Hauptstadt-CDU, Ottilie Klein, am Samstag im Netz. Die Berliner SPD befinde sich „auf Abwegen“, sagte sie weiter – und mutmaßte, die Koalitionspartnerin biedere sich gerade „als Mehrheitsbeschafferin für einen Regierenden Bürgermeister der Linkspartei“ an. Kurz zuvor hatte bereits Bürgermeister Kai Wegner (CDU) wieder einmal sein Mantra gebetet: „Mit mir wird es keine Enteignungen geben.“
Der Grund für die konservative Schnappatmung? Einige aufgeregte Medienberichte über den kürzlich von der SPD vorgestellten Arbeitsentwurf für ein Vergesellschaftungsrahmengesetz. Dieses würde zwar keine einzige Wohnung enteignen, könnte aber immerhin eine Rechtsgrundlage schaffen, wie auf Landesebene bestimmte Wirtschaftszweige „in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft“ überführt werden könnten, wie es in Artikel 15 Grundgesetz heißt. Gerade erst hatten CDU und SPD ein Eckpunktepapier vorgelegt, in dem bekräftigt wurde, dass ein solches Gesetz bis Jahresende ins Abgeordnetenhaus eingebracht werden soll.
Protest gegen das eigene Gesetz
Im Klartext protestiert die CDU also gegen ihr eigenes Gesetz. Dass sie glaubt, damit durchkommen zu können, zeigt einen wirklich beeindruckenden Glauben an die eigene Fähigkeit, mit postfaktischem Populismus durchzukommen. Andererseits ist das Sichwinden der CDU aber auch höchst unglaubwürdig – und zeigt deshalb auch eine Sackgasse, in der sich die Partei befindet.
Die sieht so aus: Zur DNA der Kapitalpartei CDU gehört, dass mit ihr keine Vergesellschaftung zu machen sein wird. Angesichts des erfolgreichen Volksentscheids kann die Partei das aber nicht einfach so sagen, ohne undemokratisch zu wirken. Also versucht sie, über das Mitspielen beim Rahmengesetz den demokratischen Schein aufrechtzuerhalten – und gleichzeitig vor der Springerpresse das Gesicht zu wahren, die vor dem bösen Sozialismus warnt. Das Ergebnis ist der derzeit zu bewundernde Spagat: Die Partei macht beim Rahmengesetz mit und kämpft gleichzeitig dagegen an.
Profiteur dieser Situation ist ausgerechnet die SPD, die sich nun als Kämpferin für die Vergesellschaftung inszenieren kann – als würde sie den Volksentscheid nicht selbst seit 2021 verschleppen. Es wird höchste Zeit, dass sich alle Seiten ehrlich machen. Denn aktuell ist der Diskurs nur eines: eine Beleidigung für den Intellekt der Berliner:innen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!