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Verfolgung von NaziverbrechenFrühere KZ-Sekretärin Irmgard F. ist tot

Als 96-Jährige kam Irmgard F. wegen Beihilfe zum Massenmord im KZ Stutthof vor Gericht. Das Urteil gegen sie war vergangenes Jahr rechtskräftig geworden.

Die frühere KZ-Sekretärin Irmgard F., am 20. 12. 2022 noch im Sitzungssaal des Landgerichts Itzehoe, ist tot

Itzehoe dpa | Die wegen Beihilfe zum Massenmord verurteilte frühere KZ-Sekretärin Irmgard F. ist tot. Sie sei am 14. Januar im Alter von 99 Jahren gestorben, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Itzehoe. Mehrere Medien hatten zuvor über ihren Tod berichtet.

Das Landgericht Itzehoe hatte F. am 20. Dezember 2022 wegen Beihilfe zum Mord in 10.505 Fällen sowie zum versuchten Mord in fünf Fällen zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Der Bundesgerichtshof bestätigte das Urteil am 20. August vergangenen Jahres.

Im Herbst 2021 hatte sich der Prozessbeginn gegen F. verzögert, weil sie vor dem ersten Termin von ihrem Seniorenheim nach Hamburg geflüchtet war. Das Gericht ließ die damals 96-Jährige für fünf Tage in Untersuchungshaft nehmen.

Schreibtischarbeit als Beihilfe

Irmgard F. war als 18- bis 19-jährige Frau zwischen Juni 1943 und April 1945 als Stenotypistin in der Kommandantur des Konzentrationslagers bei Danzig beschäftigt. Fast die gesamte Korrespondenz des Lagers ging nach Überzeugung der Gerichte über ihren Schreibtisch. Sie war eine enge Vertraute des Lagerkommandanten Paul Werner Hoppe.

Der Sekretärin wurde die Tötung von Häftlingen durch die lebensfeindlichen Bedingungen in dem Lager, bei Todestransporten sowie in einer Gaskammer angelastet. Im KZ Stutthof und seinen 39 Außenlagern waren nach Angaben des Dokumentationszentrums Arolsen Archives zwischen 1939 und 1945 etwa 110.000 Menschen aus 28 Ländern inhaftiert. Fast 65.000 überlebten nicht.

F. wusste über das Geschehen im Lager Bescheid

Durch ihre Arbeit habe sie den Verantwortlichen des Konzentrationslagers bei der systematischen Tötung von Inhaftierten Hilfe geleistet. Auch unterstützende Tätigkeiten könnten rechtlich als Beihilfe zum Mord angesehen werden. Irmgard F. habe durch ihre Dienstbereitschaft sowohl physische als auch psychische Beihilfe geleitet, erklärte der Bundesgerichtshof.

Die Bundesrichter gingen aufgrund der Feststellungen des Landgerichts Itzehoe davon aus, dass Irmgard F. sehr genau über das Geschehen im Lager Bescheid wusste. Sie blickte demnach von ihrem Arbeitsplatz über einen Teil des Geländes, sah den Schornstein des Krematoriums, wusste um den elenden Zustand der Gefangenen.

Keine neutrale Arbeit als Sekretärin

Die Sekretärin habe zudem von Beginn ihrer Tätigkeit an erkannt, dass die Haupttäter um Lagerkommandant Hoppe verbrecherisch handelten. Durch ihre treuen Dienste habe sie sich mit ihnen solidarisiert, so dass ihre Handlungen nicht mehr neutral gewesen seien.

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6 Kommentare

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  • Wenn man bedenkt, wer hier alles zum Aufstieg und zur Umsetzung des Nationalsozialismus beigetragen hat und anschließend zur Umsetzung der Endlösung.



    Und dann nicht verfolgt und bestraft wurde, sondern geschont und wiedereingesetzt wurde in Amt und Würden, weiter verdienen konnte.



    Kein Verbrechen zu groß, um nicht ignoriert zu werden, um nicht bei Inhaftierung Fürsprecher, aller Parteien!, zu finden, die die Freilassung forderten, bis sie dann geschah.

    Da wundert es nicht, dass es jetzt Staatsanwaltschaften und Gerichte gibt, die mit 80 Jahren Abstand, den Mut finden, die, damals jüngsten und kleinsten, Rädchen im Getriebe, noch vor Ende ihres Lebens vor Gericht zu bringen.

    Der Erbärmlichkeit des Versagens im Angesicht des Verbrechens, folgt die Erbärmlichkeit der Übergriffigkeit.

    Norbert Blüm sagte einmal, ein jeder Wehrmachtssoldat hat mit seinem Handeln, zur Endlösung beigetragen. Das ist die bittere Wahrheit.

  • Der Marine-Richter Filbinger verurteilt in den letzten Kriegstage Matrosen zum Tode (und lässt diese vollstrecken). Wenige Jahre später darf er, unbestraft, MP in BW sein.

  • In Deutschland haben massig viele Firmen am Holocaust verdient. Deren Eigner hat man mit dem wackelnden Finger ermahnt und sie durften Reichtum behalten und vergrößern als Belohnung.



    Und hier freut man sich weil man eine Greisin die Sekretärin war verurteilt hat und verschließt vor den anderen die Augen.

  • Nach dem Ende des (zum Glück) nicht „ tausendjährigem Reiches“ verhalf man zu Hauf schlimmsten Richtern, Ärzten, Politikern und anderen Tätern zu unglaublichen Karrieren und satten Pensionen und Macht.



    Und jetzt liefert die Politik dieses Land wieder den falschen Kräften aus, da sie keine Mittel gegen die Brandstifter suchen und finden (wollen?).



    Was sollte da die Pseudo-Aufarbeitungs-Veranstaltung eines Prozesses gegen eine damalige Jugendliche und heutige Greisin?



    Trauerspiel !

    • @snowgoose:

      Dem ist nur zuzustimmen. Die Grundrechenarten genügen:



      2025 war sie 99 Jahre alt, d.h geboren 1926, d.h zum Machtantritt Hitlers, den sie ganz bestimmt nicht verursacht hat war sie sieben Jahre alt. Damals gab es nur 7 Jahre Schulpflicht, d.h. mindesten 6 Jahre nationalsozialistische Gehirnwäsche in der Schule durch Lehrer die ganz bestimmt nicht bestraft wurden. Von ihrem siebten bis zu ihrem neunzehnten Lebensjahr war sie der nationalsozialistischen Gehirnwäsche und Hetze ausgesetzt. Der Nazi-Richter Rehse wurde nie verurteilt, dank bundesdeutscher Richter. Man kann das Urteil gegen diese Frau nur als Schandurteil bezeichnen. Ach ja, und heute darf nach höchstrichterlichem Urteil im Namen der Pressefreiheit wieder nationalsozialistische Hetze verbreitet werden.

      • @Manfred Peter:

        Aus sz.de



        "Ich erlebte das Unvorstellbare, die Hölle"



        Auch z. KZ Stutthof



        "Die grauenhaften Schilderungen der ..."



        "Dem Angeklagten waren sämtliche Tötungsmethoden in Stutthof bekannt, sie wurden auch ermöglicht durch seine Arbeit", sagte Brendel, der in Dortmund die "Zentralstelle im Lande Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen" leitet.



        Brendel verliest 16 Minuten lang die Anklageschrift. Die Details sind nur schwer zu ertragen. R. blickt starr geradeaus. Auch an der Stelle, wo Brendel über die Genickschüsse spricht. Häftlinge, die als nicht mehr "arbeitsfähig" eingestuft worden waren, wurden unter dem Vorwand einer ärztlichen Untersuchung - "immer vormittags zwischen zehn und elf Uhr" - in einen Nebenraum des Krematoriums gebracht. Sie sollten vermessen werden, sagte ihnen SS-Männer, die sich weiße Arztkittel zur Tarnung übergezogen hatten. Die Häftlinge stellten sich zu dem Zweck der Vermessung an eine Messlatte, auf Höhe des Genicks war eine kleine Öffnung zum Nebenraum und eine Auflage für eine schallgedämpfte Pistole angebracht. Aus dem Nebenzimmer wurden so Hunderte Menschen erschossen und kurz danach im Ofen gegenüber verbrannt.