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Verfassungsschutz bespitzelt JournalistenEin Amt gerät ins Visier

Missliebige Journalisten, politische Gegner: Seit Jahren beobachtet Niedersachsens Verfassungsschutz die Falschen. Wird jetzt reformiert?

„Für die Beobachtung ist es nicht relevant, ob jemand Journalist ist oder einer anderen beruflichen Tätigkeit nachgeht.“ Wirklich? Bild: Andreas Berheide / photocase.com

BERLIN/HAMBURG taz | Man will diesmal hoffen, dass diese Sozialdemokraten es ernst meinen. Dass es nicht nur ein Wahlkampfmanöver ist. Dass sie wirklich Hand anlegen wollen an diese Behörde. Es steht viel auf dem Spiel beim Landesamt für Verfassungsschutz in Niedersachsen.

Es war am Mittwoch, als der niedersächsische SPD-Innenminister Boris Pistorius in einem bemerkenswerten Akt vor die Presse getreten ist, um einen Skandal seiner eigenen Behörde bekannt zu geben: Seine Verfassungsschützer haben – natürlich nur vor seiner Amtszeit – Akten über Journalisten angelegt, haben gelogen und gelöscht. Seitdem ist die Aufregung groß: Journalistenverbände und Bürgerrechtler sind empört, und die Regierungsfraktionen von SPD und Grünen versprechen hoch und heilig eine Gesetzesnovelle zur Reform der Behörde. Die ist auch überfällig.

Denn die niedersächsischen Verfassungsschützer fallen seit Jahren immer wieder dadurch auf, rechtlich fragwürdig zu agieren. Besonders im Fokus stehen dabei Journalisten.

Nachdem bereits 2007 dem taz-Redakteur Felix Lee eine Akkreditierung für den G-8-Gipfel in Heiligendamm verwehrt werden sollte, stellte sich heraus: Es waren die Niedersachsen, die Lee zuvor jahrelang beobachtet hatten. Unter anderem dokumentierten sie seine Besuche bei Anti-Castor-Demonstrationen, Teilnahmen an Uni-Seminaren oder Pressetermine beim Taubenzuchtverein. Der Fall ging durch die Medien – Lerneffekte? Offenbar keine.

Viele betroffene Journalisten

Vier Jahre später, 2011, wurde bekannt, dass auch der Göttinger Hörfunkjournalist Kai Budler – Schwerpunkt Rechtsextremismus – im Fokus der sogenannten Verfassungsschützer stand. Budler klagt deswegen noch gegen das Land Niedersachsen. Lerneffekte? Keine.

Denn erst in dieser Woche wurde publik, dass viele weitere Journalisten erfasst wurden. Mindestens sieben sind betroffen – unter ihnen die taz-Autorin Andrea Röpke. Auf ihr Auskunftsersuchen 2012 hin wurde geleugnet, dass sie im Fokus stand. Wie viele weitere betroffen sein könnten, soll jetzt ermittelt werden. Alle 9.000 personenbezogenen Datensätze will die Behördenleitung auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüfen.

Nicht nur Journalisten, auch der politische Gegner stand unter dem vorherigen CDU-Innenminister Schünemann fest im Visier: Die Linkspartei ließ er von seinem Amtsantritt 2003 an überwachen. 2012 wurde dann bekannt, dass auch Grüne unter Beobachtung standen, etwa der Grünen-Landtagskandidat und Landesparteiratsmitglied Jan Wienken oder der damalige Fraktionsmitarbeiter Steffen Mallast.

Unter Extremismusverdacht geriet in der Ära Schünemann außerdem die Anti-Castor-Initiative „WiderSetzen“, eine Gruppe, die bekannt ist, weil ihre AktivistInnen mit bunten Klamotten gern stundenlang auf Straßen sitzen und singen. Alles Extremisten?

Grüne knicken ein

Entsprechend zerrüttet ist das Verhältnis vieler Grüner in Niedersachsen zum Verfassungsschutz. In ihrem Landtagswahlprogramm vom Frühjahr forderte die Partei noch „die vollständige Auflösung dieser Behörde“. Nach dem Wahlerfolg verständigte sich Rot-Grün dann im Koalitionsvertrag auf eine Verfassungsschutzreform. Als Erstes hob der neue sozialdemokratische Innenminister dann die frühere Verfassungsschutzsprecherin Maren Brandenburger, eine Frau mit SPD-Parteibuch, an die Spitze der Behörde.

Sie macht nun die Aufräumerin. Dabei muss sie auch gegen ihre eigenen Aussagen aus der Vergangenheit ankämpfen: Im Fall Budler sagte sie 2011 noch in laufende Kameras: „Für die Beobachtung ist es nicht relevant, ob jemand Journalist ist oder einer anderen beruflichen Tätigkeit nachgeht.“

Ach, wirklich? Das ist so ein Satz, mit dem auch die Verfassungsschutzämter in Bayern und Nordrhein-Westfalen in dieser Woche rasch so taten, als gäbe es bei ihnen nichts zu suchen.

Doch auch wenn Brandenburger, wofür einiges spricht, nun ernst macht: Wie kann es eigentlich gelingen, die ganze Dimension von illegalen Datenerhebungen nachzuzeichnen, wenn es in der Behörde zum Prinzip gehörte, entsprechende Daten bei kritischen Nachfragen umgehend zu löschen?

Das sind so die Fragen, die in den kommenden Wochen nicht nur in Niedersachsen gestellt werden. Wer sie ernsthaft stellt, könnte möglicherweise in einigen Monaten eine Behörde vorfinden, die sich selbst nicht wiedererkennt. Das klingt wie ein spannendes Experiment: Ein Verfassungsschutz, der richtig reformiert wird – aber geht das überhaupt?

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13 Kommentare

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  • Darf uns das alles noch überraschen?...Es ist eine Farce nur noch......Für mich ist Datenschutz das "Unwort" des Jahres bzw. Der Witz des 21.Jahrhunderts....

    Meinungsfreiheit eine gut gemeinte Sache.. Aber in der Realität nur ein Illusion ...

     

    http://www.change.org/de/Petitionen/heben-sie-edward-snowden-in-den-status-eines-fl%C3%BCchtlings

  • R
    Reiner

    Nichts Neues!

     

    Zudem ist seit den 70er Jahren allgemein (?) bekannt, dass fast jeder vierte politische Journalist für den Verfassungsschutz (BfV) bzw. Bundesnachrichtendienst (BND) arbeitet.

     

    Nur mal bei P. Merseburger nachfragen!

  • E
    Entschleunigter

    Der sog. Verfassungsschutz wurde nach dem Krieg aus den Trümmern der Gestapo aufgebaut, mit demselben Personal, weil kein anderes verfügbar war. Eines muß jedem klar sein: Weder SPD noch Grüne werden den Verfassungschutz ernsthaft antasten, allenfalls ein paar kosmetische Operationen sind da zu erwarten. Als erstes müßten SPD und Grüne sich klar gegen die Überwachung der Linken aussprechen. Man hätte in Bundestag und Bundesrat zusammen mit der Linken durchaus schon während der jetzt auslaufenden Legislaturperiode Gelegenheit gehabt, den Verfassungsschutz in die Mangel zu nehmen. Sich auf die Oppositionsrolle herauszureden, ist der glatte Hohn.

  • R
    Ruhender

    Wer schützt die Verfassung eigentlich vor dem Verfassunsgschutz? Seien wir doch mal ehrlich: Diese Istitution führt doch längst ein undurchschaubares Eigenleben, ist der brüchtigte Staat im Staat, führt das modernisierte Erbe von Gestapo und Stasi. Abschaffen!

  • G
    Gast

    Herr, laß Hirn vom Himmel regnen.

     

    Wo hat sich denn all die kritische Journaille versteckt, die es sich lohnen würde, zu observieren?

     

    Es ist doch alles nur noch Mainstream und die Daten von 2007 in die Vergangenheit. Lustig.

     

    Ach, war es mal schön, als Journalisten noch einen eigenen Kopf hatten. Alles Geschichte.

     

    Heute sind sie nur noch Hofberichterstatter.

     

    Verfassungsschutz....

    In welcher Verfassung sind wir denn.

    Lustig, lustig, trallala.

  • B
    Blechstein

    Einfach widerlich, wie der Verfassungsschutz benutzt wurde um politische Gegner und kritische Journalisten zu obervieren.

  • BC
    Benjamin C.

    Das Vertrauen in den unwürdigen Verfassungsschutz wiederherzustellen kann nur dadurch gelingen, dass die Beobachtungsbehörde in einer relevanten Anzahl von Fällen (in Relation zu den ominösen "9000") den tatsächlichen "Extremismus" der Zielpersonen überzeugend nachweist. Gelingt das nicht, wäre das ein weiterer Beweis dafür, dass der VS nur als Kriminalisierungsinstrument gegen missliebige politische Menschen missbraucht wurde und wird. Damit fiele er selbst unter die Extremismusdefinition (organisierter Machtmissbrauch im Amt)und müsste sich laut Grundgesetz selbst anzeigen, weil er nicht die Gewähr dafür bietet, jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung, sondern nur für grundgesetzwidrige Partialinteressen einzutreten. Wer für diesen Antrag ist, der hebe bitte die Hand. Frau Brandenburger, wo ist denn ihr Händchen ?!

  • VV
    vale vale

    Also wirklich in einem "postfaschistischen Land" ist diese Behörde eine absolute Schande.

    Weg damit - was soll das eingentlich?!

  • M
    MatinP

    "Seit Jahren beobachtet Niedersachsens Verfassungsschutz die Falschen."

     

    Danke taz für diese Steilvorlage!

    Das ist ganz schlechter Journalismus! So ein werte des Statement gehört nicht in einen - objektiv zu haltenden - Artikel. Und als Werbung oder "Kommentar" ist er nicht gekennzeichnet.

     

    Inhaltlich stimme ich natürlich zu: angesichts etlicher, durch linke grundgesetzfeinde zu verantwortende, Brände in Berlin hat der VS wirklich die falschen beobachtet!

  • Schünemann ließ jeden und alles beobachten, was nicht CDU war. Woher will man auch wissen, ob man da die "Falschen" oder die "Richtigen" beobachtet, wenn man sie nicht alle beobachtet - gell?

    Ob das jetzt Journalisten, oder Blödköppe waren, spielt nun wirklich keine Rolle. Das Erschütternde ist allerdings die völlige Ergebnislosigkeit dieser Beobachtungen. Entweder war da von vorneherein gar nix, oder man hat es dann vor lauter Beobachtung doch wieder übersehen.

    Ob man einen Verfassungsschutz reformieren kann? Klares Nein. Hau weg den Scheiß!

  • Auch mich als ehemaligen Richter und langjährigen Rechtsprofessor bespitzelt der Verfassungsschutz seit Jahren, teilte mir indes auf meine Anfrage mit Schreiben vom 23. Mai 2011 ausdrücklich mit, weder eine Akte zu führen noch Dateien zu speichern. Da offensichtlich selbst mein Telefon abgehört und meine E-Mails gelesen wurden, habe ich beim Parlamentarischen Kontrollgremium interveniert und um Nachprüfung gebeten - freilich blieb auch dies ohne Erfolg. Geheimgerichte scheint es daher nicht nur in den USA zu geben, widerständiges Denken schon fast ein Staatsdelikt zu sein.

    • 0
      001001110
      @Bernd Klees:

      Das kenne ich. Ich werde seit langer Zeit von der intergalaktischen Regierung überwacht und komplett abgehört, inklusive meiner Gedanken.

      Die Bundesregierung stellte das auf Anfrage nicht ab, teilte mir auch nicht mit, welche Daten erfasst wurden, ja sie verneinte sogar dreist die Existenz der intergalaktischen Regierung!

       

      Es ist offensichtlich, dass das ganze geschieht, da ich als Experte für Raum-Zeit-Verschiebungen und Entdecker der Technologie für das ewige Leben den Mächtigen im Universum gefährlich scheine.

      Geheimgerichte gibt es, heutzutage angeblich sogar schon geheime Regierungen! Dabei weiß jeder, dass sie auf Jupiters Mond Europa tagt und unsere Regierungen nur Lakaien sind!

  • L
    Linksextremisten

    Seit Jahren beobachtet Niedersachsens Verfassungsschutz Linksextremisten. Wird jetzt deshalb reformiert?