Verfassungsschutz bespitzelt Journalisten: Ein Amt gerät ins Visier
Missliebige Journalisten, politische Gegner: Seit Jahren beobachtet Niedersachsens Verfassungsschutz die Falschen. Wird jetzt reformiert?
BERLIN/HAMBURG taz | Man will diesmal hoffen, dass diese Sozialdemokraten es ernst meinen. Dass es nicht nur ein Wahlkampfmanöver ist. Dass sie wirklich Hand anlegen wollen an diese Behörde. Es steht viel auf dem Spiel beim Landesamt für Verfassungsschutz in Niedersachsen.
Es war am Mittwoch, als der niedersächsische SPD-Innenminister Boris Pistorius in einem bemerkenswerten Akt vor die Presse getreten ist, um einen Skandal seiner eigenen Behörde bekannt zu geben: Seine Verfassungsschützer haben – natürlich nur vor seiner Amtszeit – Akten über Journalisten angelegt, haben gelogen und gelöscht. Seitdem ist die Aufregung groß: Journalistenverbände und Bürgerrechtler sind empört, und die Regierungsfraktionen von SPD und Grünen versprechen hoch und heilig eine Gesetzesnovelle zur Reform der Behörde. Die ist auch überfällig.
Denn die niedersächsischen Verfassungsschützer fallen seit Jahren immer wieder dadurch auf, rechtlich fragwürdig zu agieren. Besonders im Fokus stehen dabei Journalisten.
Nachdem bereits 2007 dem taz-Redakteur Felix Lee eine Akkreditierung für den G-8-Gipfel in Heiligendamm verwehrt werden sollte, stellte sich heraus: Es waren die Niedersachsen, die Lee zuvor jahrelang beobachtet hatten. Unter anderem dokumentierten sie seine Besuche bei Anti-Castor-Demonstrationen, Teilnahmen an Uni-Seminaren oder Pressetermine beim Taubenzuchtverein. Der Fall ging durch die Medien – Lerneffekte? Offenbar keine.
Viele betroffene Journalisten
Vier Jahre später, 2011, wurde bekannt, dass auch der Göttinger Hörfunkjournalist Kai Budler – Schwerpunkt Rechtsextremismus – im Fokus der sogenannten Verfassungsschützer stand. Budler klagt deswegen noch gegen das Land Niedersachsen. Lerneffekte? Keine.
Denn erst in dieser Woche wurde publik, dass viele weitere Journalisten erfasst wurden. Mindestens sieben sind betroffen – unter ihnen die taz-Autorin Andrea Röpke. Auf ihr Auskunftsersuchen 2012 hin wurde geleugnet, dass sie im Fokus stand. Wie viele weitere betroffen sein könnten, soll jetzt ermittelt werden. Alle 9.000 personenbezogenen Datensätze will die Behördenleitung auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüfen.
Nicht nur Journalisten, auch der politische Gegner stand unter dem vorherigen CDU-Innenminister Schünemann fest im Visier: Die Linkspartei ließ er von seinem Amtsantritt 2003 an überwachen. 2012 wurde dann bekannt, dass auch Grüne unter Beobachtung standen, etwa der Grünen-Landtagskandidat und Landesparteiratsmitglied Jan Wienken oder der damalige Fraktionsmitarbeiter Steffen Mallast.
Unter Extremismusverdacht geriet in der Ära Schünemann außerdem die Anti-Castor-Initiative „WiderSetzen“, eine Gruppe, die bekannt ist, weil ihre AktivistInnen mit bunten Klamotten gern stundenlang auf Straßen sitzen und singen. Alles Extremisten?
Grüne knicken ein
Entsprechend zerrüttet ist das Verhältnis vieler Grüner in Niedersachsen zum Verfassungsschutz. In ihrem Landtagswahlprogramm vom Frühjahr forderte die Partei noch „die vollständige Auflösung dieser Behörde“. Nach dem Wahlerfolg verständigte sich Rot-Grün dann im Koalitionsvertrag auf eine Verfassungsschutzreform. Als Erstes hob der neue sozialdemokratische Innenminister dann die frühere Verfassungsschutzsprecherin Maren Brandenburger, eine Frau mit SPD-Parteibuch, an die Spitze der Behörde.
Sie macht nun die Aufräumerin. Dabei muss sie auch gegen ihre eigenen Aussagen aus der Vergangenheit ankämpfen: Im Fall Budler sagte sie 2011 noch in laufende Kameras: „Für die Beobachtung ist es nicht relevant, ob jemand Journalist ist oder einer anderen beruflichen Tätigkeit nachgeht.“
Ach, wirklich? Das ist so ein Satz, mit dem auch die Verfassungsschutzämter in Bayern und Nordrhein-Westfalen in dieser Woche rasch so taten, als gäbe es bei ihnen nichts zu suchen.
Doch auch wenn Brandenburger, wofür einiges spricht, nun ernst macht: Wie kann es eigentlich gelingen, die ganze Dimension von illegalen Datenerhebungen nachzuzeichnen, wenn es in der Behörde zum Prinzip gehörte, entsprechende Daten bei kritischen Nachfragen umgehend zu löschen?
Das sind so die Fragen, die in den kommenden Wochen nicht nur in Niedersachsen gestellt werden. Wer sie ernsthaft stellt, könnte möglicherweise in einigen Monaten eine Behörde vorfinden, die sich selbst nicht wiedererkennt. Das klingt wie ein spannendes Experiment: Ein Verfassungsschutz, der richtig reformiert wird – aber geht das überhaupt?
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