Verfassungsschutz Berlin: Nicht weit gekommen
Verfahren gegen früheren V-Mann eingestellt. Er soll für einen Jugendlichen eine Reise zu Dschihadisten organisiert haben.
Die Grünen sprechen von einem Skandal. Für die Linkspartei bestätigt der Fall aufs Neue, dass der Verfassungsschutz abgeschafft gehört: Ein Berliner V-Mann soll für einen 16-Jährigen im August 2015 eine Reise zur Dschihadistenmiliz „Islamischer Staat“ (IS) in Syrien organisiert haben. Das hatte das ZDF-Magazin „Frontal 21“ am Dienstag enthüllt. Allein: Der Fall ist komplizierter, als in der Sendung dargestellt. Wie Justizsprecher Martin Steltner am Mittwoch auf taz-Nachfrage erklärte, hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren, das gegen den V-Mann wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat anhängig war, eingestellt.
Bei der nächsten Sitzung des Verfassungsschutzes am 10. Oktober wollen Benedikt Lux (Grüne) und Niklas Schrader (Linke) über den Fall sprechen. Lux hat einen langen Fragenkatalog vorbereitet. Insbesondere interessiert ihn, wer beim Verfassungsschutz ab welchem Zeitpunkt von den Bemühungen der V-Person wusste, einen Jugendlichen bei der Ausreise nach Syrien zu unterstützen.
Der heute 28-jährige Emanuel P. war nach Informationen der taz vom Mai 2013 bis September 2015 V-Person des Berliner Verfassungsschutzes. Als solcher war er in der Islamistenszene und im Umfeld des späteren Attentäters vom Breitscheidplatz, Anis Amri, eingesetzt. Aus internen Unterlagen, in die die taz Einblick nehmen konnte, geht hervor, dass P. im August 2015 am Flughafen Tegel ein Ticket nach Istanbul für den 16-Jährigen gekauft hat. Außerdem hat er für den Jugendlichen Geld gewechselt, weil das für diesen ohne erwachsene Begleitung nicht möglich gewesen wäre. Ferner soll P. versucht haben, ihm ein Quartier in Istanbul zu verschaffen. Und er soll die SIM-Karte des Jugendlichen in einem anderen Handy aktiviert haben, damit dessen Vater nicht auffällt, dass der Junge nicht mehr erreichbar ist.
Am 17. August 2015 soll der V-Mann ihn dann zum Flughafen Tegel gebracht haben. Der Junge kam aber nicht weit. An der syrischen Grenze wurde er von türkischen Behörden gestoppt und nach Berlin abgeschoben. Im September 2015 wurde der V-Mann vom Verfassungsschutz abgeschaltet – so steht es in den der taz vorliegenden Unterlagen. Aus Sicherheitskreisen verlautete am Mittwoch auf Nachfrage: Man sehe auf Seiten des Verfassungsschutzes kein Fehlverhalten. Quellen, die in strafrechtliche Dinge verstrickt seien, habe die Behörde abzuschalten. Das sei in diesem Fall erfolgt.
Wann das Strafverfahren gegen P. wegen des Vorwurfs der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat eingestellt wurde, vermochte Steltner nicht zu sagen. P. stehe derzeit lediglich wegen gewerbsmäßigen Computerbetrugs vor Gericht, bestätigte Justizsprecherin Lisa Jani. Innensenatssprecher Martin Palgen verwies darauf, dass Rot-Rot-Grün einen Staatssekretärs-Vorhalt beim Einsatz von V-Leuten eingeführt hat. Das heißt, der Staatssekretär muss vorher zustimmen.
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