Verfassungsbeschwerde von Papierlosem: Angst vorm Arztbesuch
Ein papierloser Kosovare klagt auf medizinische Versorgung. Bisher führen Anträge auf Kostenübernahme zur Abschiebung – das könnte sich ändern.

Der Mann aus dem Kosovo kam 1993 als junger Mann nach Deutschland, arbeitete auf dem Bau und in der Landwirtschaft. Er heiratete und wurde geschieden. Eigentlich hätte er Anspruch auf festen Aufenthalt, ja sogar auf eine Einbürgerung gehabt.
Doch dann versäumte er, seine Aufenthaltserlaubnis verlängern zu lassen, und teilte der Ausländerbehörde auch einen Umzug nicht mit. Plötzlich hatte er kein Aufenthaltsrecht mehr und wurde 2017 abgeschoben. Da er aber im Kosovo keine Familie und Freunde mehr hatte, war er bald wieder in Deutschland und stellte einen Asylantrag, der abgelehnt wurde. Seitdem lebt und arbeitet er illegal in Deutschland.
Im Vorjahr erlitt der Kosovare bei der Arbeit einen Herzinfarkt und wurde notoperiert. Vermutlich ist noch eine Bypassoperation notwendig. Dafür bräuchte er aber vom Sozialamt in Frankfurt am Main einen Behandlungsschein, da er keine Rücklagen hat, um den medizinischen Eingriff selbst zu bezahlen. Das Sozialamt müsste ihn jedoch laut Gesetz beim Ausländeramt melden, und er würde dann abgeschoben.
Meldepflicht zur Abschiebung
Dass alle Behörden illegalisierte Personen dem Ausländeramt melden müssen, wurde 1990 eingeführt. Seit 2011 gibt es immerhin eine Ausnahme für Schulen und Kindergärten. Die Meldepflicht für Sozialämter blieb aber bestehen. Nur bei Eilfällen am Feierabend oder am Wochenende können Ärzte und Kliniken die Kosten mit dem Sozialamt abrechnen, ohne dass eine Meldepflicht ausgelöst wird.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde will der Kosovare nun gegen die Meldepflicht in Paragraf 87 des Aufenthaltsgesetzes vorgehen. Die Meldepflicht verstoße gegen sein Grundrecht auf das „gesundheitliche Existenzminimum“, einen Unterfall der Menschenwürde. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die die Klage unterstützt, sieht gute Erfolgsaussichten. Schon 2012 entschied das Bundesverfassungsgericht: „Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.“
Außerdem stützt sich der Kosovare auf das Grundrecht auf Datenschutz („informationelle Selbstbestimmung“). Die Weitergabe seiner Daten an das Ausländeramt sei ein unverhältnismäßiger Eingriff und schon im Ansatz ungeeignet. Da Illegale aufgrund der Meldepflicht so gut wie nie beim Sozialamt Behandlungsscheine beantragen, werden so auch keine Illegalen entdeckt; die Meldepflicht diene nur der Schikane und Abschreckung.
Bisherige Klagen des Kosovaren wurden von den hessischen Verwaltungsgerichten allerdings ohne jede Prüfung seiner Argumente abgewiesen. Grund: Der Kosovare will weder Name noch ladungsfähige Adresse angeben, denn auch Gerichte seien zur Meldung von Illegalen verpflichtet. In seiner Verfassungsbeschwerde beruft sich der Mann deshalb auch auf das „Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz“.
Außerdem hat er in Karlsruhe einen Antrag auf eine einstweilige Anordnung gestellt. Zumindest mit einer vorläufigen Entscheidung dürfte also schon in wenigen Wochen zu rechnen sein.
Denkbar ist auch noch eine politische Lösung. So heißt es im Ampel-Koalitionsvertrag: „Die Meldepflichten von Menschen ohne Papiere wollen wir überarbeiten, damit Kranke nicht davon abgehalten werden, sich behandeln zu lassen.“ Zuständig ist Innenministerin Nancy Faeser (SPD). Bisher hat sie aber noch keinen Gesetzentwurf vorgelegt.
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