Menschen ohne Krankenversicherung: Keine Papiere, kein Test

Menschen ohne Krankenversicherung sind derzeit doppelt benachteiligt. Dabei gibt es Projekte, die das verhindern könnten. Doch die Politik mauert.

Ein Arzt im Gespräch mit einer Patientin

Hilfsorganisationen fordern einen anonymisierten Krankenschein Foto: Georg Wendt/dpa

HANNOVER taz | Einen akuten Coronafall hätten sie gerade nicht, sagt Lisa Palm von Medinetz Hannover. Aber möglicherweise sei das schon ein Teil des Problems: „Zu uns kommen die Leute aber natürlich oft erst, wenn es ihnen richtig schlecht geht.“

Seit 22 Jahren hilft das Netzwerk Menschen ohne Krankenversicherung. Das sind zum größten Teil Menschen ohne gültigen Aufenthaltsstatus, aber auch Zuwanderer aus EU-Staaten oder Einheimische, die ihre Beiträge nicht mehr zahlen konnten.

In der Coronakrise ist diese Hilfe noch schwieriger geworden. Viele Anlaufstellen mussten ihre Sprechstunden aufgeben, weil die überfüllten Wartezimmer sonst zu Infektionsschleudern geworden wären oder auch schlicht, weil die Institutionen, in deren Räumen man untergeschlüpft ist, den Publikumsverkehr eingestellt haben.

„Wir haben keine Alternative zu einer Schließung gesehen“, sagt Michael Lukas von der Malteser-Migranten-Medizin, die sonst eine kleine Ambulanz in den Räumen der Caritas betreibt. Schutzkleidung sei kaum zu bekommen, eine Lenkung der Patientenströme schwer möglich.

Lisa Palm,Medinetz Hannover

„Zu uns kommen die Leute oft erst, wenn es ihnen richtig schlecht geht“

Die Malteser weisen ihre Patienten nun auch auf die telefonische Beratung von Medinetz hin. Bei Medinetz gibt es keine direkte medizinische Behandlung. Dort wird entweder an Ärzte vermittelt, die Unversicherte kostenlos behandeln, oder der Papierkrieg mit den Behörden geführt, um den Betroffenen doch noch einen Zugang zum regulären Gesundheitswesen zu ermöglichen.

Die persönliche Sprechstunde von Medinetz wurde zwar eingestellt, dafür aber die Telefonberatung aufgestockt. Und trotzdem gerät der spendenfinanzierte Verein an seine Grenzen: „Durch den Wegfall der anderen Hilfseinrichtungen werden unsere Leitungen überlastet. Und unsere Finanzmittel auch“, sagt Palm. „Wenn das so weitergeht, sind wir bald pleite.“ Außerdem kommt die Angst hinzu, dass dort in einer besonders verletzlichen Gruppe, Menschen mit Corona-Infektionen unentdeckt und ungetestet bleiben – und viele weitere anstecken.

Bundesweit haben Medibüros und Medinetze deshalb Brandbriefe an die zuständigen Ministerien aufgesetzt. Sie fordern vor allem, die Meldepflicht gegenüber den Ausländerbehörden auszusetzen, die Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus so große Angst macht. Wer sich in Behandlung begibt, muss dadurch auch immer befürchten, die eigene Abschiebung einzuleiten.

In Niedersachsen und Hamburg haben die Hilfsorganisationen außerdem ihre Forderung nach der Einführung eines anonymisierten Krankenscheins erneuert.

In Niedersachsen gibt es dazu sogar ein gerade erst abgeschlossenes Pilotprojekt, das auch vom Land gefördert wurde. Man könnte also auf bestehende Erfahrungen und Strukturen zurückgreifen. Dazu versuchen Medinetz Hannover und das ­Diakonische Werk Hannover in einem offenen Brief an Gesundheitsministerin Carola Reimann, Ministerpräsident Stephan Weil (beide SPD) und den Coronakrisenstab des Landes zu drängen.

Medinetz und Diakonisches Werk wollen eine zentrale Anlaufstelle einrichten, die wie bisher auch als Clearingstelle oder Lotsin fungiert – nur mit dem Unterschied, dass die Ärzte nicht mehr kostenlos behandeln würden, sondern ihre Leistungen ordnungsgemäß abrechnen könnten.

Auf 700.000 Euro pro Jahr schätzen die Projektbeteiligten die Kosten: 60.000 Euro für eine Sozialarbeiterstelle und 600.000 Euro für die Versorgung und Behandlung der Menschen ohne Krankenversicherung. Der Rest wäre für Verwaltung, Raummiete und sonstige Kosten reserviert. Dabei gehen sie von circa 1.000 behandlungsbedürftigen Personen pro Jahr aus.

Doch die Gesundheitsministerin mauert: Der Zugang zu Coronatests und adäquater Behandlung sei organisiert und gesichert, heißt es. Die Betroffenen müssen sich dazu eben nur registrieren lassen, dann übernähmen in der Regel die Sozialämter die Kosten. Auf weitere Diskussionen will sich Reimann nicht einlassen. Eine Begründung dafür liefert ihr Ministerium auf taz-Nachfrage nicht.

Vielleicht liegen die Prioritäten gerade woanders, vielleicht beißt sich die Anonymisierung mit der Nachverfolgung der Infektionsketten oder man befürchtet, Präzedenzfälle zu schaffen – all das bleibt unklar.

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