Verfassungsbeschwerde gegen § 219a: Vorentscheidung bei 219a-Klage?
Über das Verbot der Abtreibungsinformation wird in Karlsruhe nicht der liberale Erste Senat, sondern der konservative Zweite Senat entscheiden.
Gaber wurde vom Amtsgericht Berlin-Tiergarten im Juni 2019 zu einer Geldstrafe von 2.000 Euro verurteilt. Sie hatte auf ihrer Webseite mitgeteilt, mit welcher Methode sie Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Dies ist nach Paragraf 219a Strafgesetzbuch immer noch strafbar.
Seit März 2019 ist lediglich erlaubt, dass ÄrztInnen darüber informieren, ob sie Abtreibungen durchführen oder nicht. Gegen die Verurteilung erhob Gaber Verfassungsbeschwerde. Damit greift sie indirekt auch den novellierten Paragrafen 219a an.
Mit Spannung wurde erwartet, welcher Senat des Bundesverfassungsgerichts sich der Sache annimmt. Die Zuordnung gilt als vorentscheidend. Denn der Erste Senat hat bereits mehrfach zugunsten von Abtreibungsärzten entschieden.
Der Zweite Senat hat dagegen schon zweimal Liberalisierungen im Abtreibungsrecht verhindert. So kippte er 1975 die Fristenregelung und 1993 die ursprüngliche Beratungslösung. Für den Ersten Senat sprach seine Zuständigkeit für die Berufsfreiheit. Der Zweite Senat ist dagegen für das Strafrecht zuständig. Beides würde passen.
Inzwischen ist klar, dass die Sache beim Zweiten Senat liegt. Der Fall hat das Aktenzeichen 2 BvR 290/20. Federführende Richterin ist die einst von der CDU nominierte Christine Langenfeld. Die Einigung über die Zuordnung erfolgte informell zwischen den RichterInnen. Der für Zweifelsfragen zuständige Ausschuss aus sechs VerfassungsrichterInnen musste nicht einberufen werden.
Zwar sind die Senate heute personell ganz anders besetzt als bei früheren Abtreibungsurteilen. Der Erste Senat ist gesellschaftspolitisch aber immer noch deutlich liberaler als der Zweite Senat unter Präsident Andreas Voßkuhle.
Aktuelles Beispiel: Nachdem der Erste Senat 2015 generelle Kopftuchverbote für Lehrerinnen als Verletzung der Religionsfreiheit wertete, hat der Zweite Senat vorige Woche Kopftuchverbote für Richterinnen akzeptiert.
Allerdings ist der Zweite Senat inzwischen auch für Überraschungen gut. So hat er vorige Woche das Verbot der geschäftsmäßigen Suizidhilfe (§ 217) gekippt. Auch dort wollte der Gesetzgeber mit Strafrecht verhindern, dass eine bestimmte Dienstleistung in der Gesellschaft als „normal“ angesehen wird. Bettina Gaber kann also doch noch hoffen, dass ihre Klage den Paragrafen 219a beseitigt.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!