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Vereinschef über Bundesliga und Ultras„Wir wollen ein echter Verein sein“

Der Vorsitzende des FSV Mainz, Johannes Kaluza, warnt vor Raubtierkapitalismus und gilt als Ultras-Versteher. Zurzeit lehnt er Pyrotechnik ab.

Dynamo-Fans am 14. August Foto: imago/Team 2
David Joram
Interview von David Joram

Herr Kaluza, die Mainzer Ul­tras haben Sie mit zum Vereinsvorsitzenden gewählt. Ihr Hannoveraner Kollege Martin Kind hat das kritisiert. Er hat auch gesagt: „Wir brauchen die Ul­tras nicht.“ Sie offenbar schon. Oder nur aus wahltaktischen Gründen?

Johannes Kaluza: Ich bin von der Mehrheit der Mitglieder gewählt worden. Darüber hinaus geht Mainz 05 einen anderen Weg als die meisten Profiklubs. Wir sind ein eingetragener Verein. Deshalb bin ich froh, dass der Bundesgerichtshof den e.V. bestätigt hat. Das Urteil besagt, dass Vereine Unternehmen führen können, die zu ihrem ideellen Zweck passen.

Sprich: Wenn der e.V. ein mil­lio­nenschweres Bundesligateam hat und damit entsprechende Umsätze erzielt, muss er das Team nicht in eine Kapitalgesellschaft ausgliedern.

Genau. Der klassische e. V., der lange auf dem Rückzug war, ist damit nicht länger in der Defensive. Wir dürfen e. V. bleiben.

Was hat das mit den Ultras zu tun?

Wir wollen den e. V. nicht nur auf dem Papier, sondern ein echter Verein sein. Das heißt, wir probieren alle Gruppierungen und Fans zu inkludieren, dazu gehört auch die aktive Fanszene.

Wie reagieren Sie, falls die Ultras beim Rhein-Main-Derby am 10. Spieltag gegen Frankfurt Pyrotechnik abfackeln und für Randale sorgen?

Wir wollen eine Abgrenzung zwischen Fankultur und Fangewalt. Da müssen wir mit den Fans immer wieder in den Dialog gehen, sie ernst nehmen. Es gibt berechtigte Interessen – und unrechtmäßiges Verhalten, darüber muss man sprechen.

Ist das Abbrennen von Pyrotechnik ein berechtigtes Interesse?

Das ist ein schwieriges Thema. Aktuell gilt, dass Pyrotechnik im Stadion verboten ist. Ich kann zwar verstehen, dass es zur Ultrakultur dazugehört, lehne Pyro derzeit aber auch ab. Die Sicherheitsbedenken sind mir zu groß. Zu einem verantwortungsbewussten Dialog bin ich trotzdem bereit.

Und nehmen direkt Martin Kind mit? Sie treffen ihn ja am 1. Spieltag im Stadion.

Sein Büro hat mir leider abgesagt, private Veranstaltung.

Verfolgen Sie die Debatten in Hannover? Die Kind-Opposition bemängelt, sie hätte kein Mitspracherecht bei der Aufhebung der 50+1-Regel.

Wir verfolgen mit Interesse, was in Hannover passiert, auch wenn wir von einem anderen Weg überzeugt sind. Der e. V. kann für den Profisport die richtige Organisationsform sein, sofern die Strukturen stimmen. Also mit einem starken Aufsichtsrat, mit einem Vorstand, der kontrolliert wird. Klar ist: Ein Verein muss hochprofessionell arbeiten, da gibt es kein Vertun.

Was raten Sie 96?

Im Interview: Johannes Kaluza

62, ist seit dem 25. Juni Nachfolger von Harald Strutz als FSV-Vorsitzender. Der Jurist galt als Favorit der Mainzer Ultras. Ob Kaluzas mittelständische Essigfabrik jährlich 109,5 Millionen Euro umsetzt, wie das zuletzt der FSV tat, ist nicht bekannt.

Ich verteile keine Ratschläge. Bei uns ist klar geregelt, dass ein Verein seiner Satzung verpflichtet ist. Bei uns müsste eine Ausgliederung mit 75-prozentiger Mehrheit der Mitglieder beschlossen werden. Bei einem Anteilsverkauf gälte das auch.

Wo liegen die Vorzüge des e. V.?

Ein Unternehmen verfolgt immer ein Eigeninteresse, das in einer Gewinnabsicht besteht. Der e. V. will wirtschaftlich auch erfolgreich sein, aber nicht zum Vorteil des Einzelnen. Das sieht der BGH ja auch so. Er erlaubt uns, im Sinne der Sache erfolgreich zu wirtschaften.

Gliedern andere Vereine ihre ausgegliederten Profiteams jetzt wieder ein?

Man muss das nicht komplett zurückdrehen. Solange der Verein die Mehrheit am Profiteam hält, strahlt die Gemeinnützigkeit ja auch auf den Geschäftsbetrieb aus. Das ist entscheidend, auch in der Frage, ob wir zu viel Kommerz haben. Gibt es Auswüchse? Hat Neymar alles verändert?

Was denken Sie?

Der Neymar-Deal hat vieles auf die Spitze getrieben. Wir müssen deshalb checken, ob wir die richtige Organisationsform haben – und vor allem die richtige Zielsetzung. Ein Verein hat eine andere Zielsetzung als ein Unternehmen. Der deutschen Fußballvereinskultur kann ein gemeinnütziger e. V. natürlich besser gerecht werden.

Kann Mainz 05 in Neymar-Zeiten auch erfolgreich bleiben?

Die Deutschen sind ja eine soziale Marktwirtschaft gewohnt und keinen reinen Kapitalismus. Ein rein auf Gewinnerzielung ausgerichtetes Fußballleben bedeutet Raubtierkapitalismus. Das ist eine Wirtschaftsform des 19. Jahrhunderts, wir leben aber im 21. Jahrhundert. Der Bierhoff hat nicht umsonst gewarnt, dass das Ganze gegen die Wand fährt, es irgendwann knallt. Ein rein kapitalistisches System ist nicht in der Lage, die Faszination Fußball auf Dauer zu betreiben. Ich befürworte deshalb, dass Mainz 05 und die Bundesliga einen Mittelweg zwischen Idealismus und Kapitalismus einschlagen – das ist langfristig gesünder und erfolgreicher.

Kurzfristig gedacht: Schafft Mainz 05 den Klassenerhalt?

Wir sind gut aufgestellt, weil wir schon lange gute Arbeit leisten. Deshalb bin ich zuversichtlich.

Ihr Tipp gegen Hannover?

Ich tippe nicht, sondern drücke die Daumen, dass es klappt.

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2 Kommentare

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  • Hier wird mal wieder e.V. und Gemeinnützigkeit vermengt.

     

    Ein e.V. (eingetragener Verein) muss nicht gemeinnützig sein. Ein Nicht-e.V. kann trotzdem gemeinnützig sein.

     

    Eingetragen wird am Amtsgericht, Gemeinnützigkeit bescheinigt das Finanzamt.

  • Diese permanenten "Neymar"-Bezüge hier und sonstwo verstehe ich nach wie vor nicht recht. Zunächst mal schon deshalb, weil man so etwas wie ein deutsche Äquivalent zu PSG oder ähnlichen Clubs finden müßte - das wäre wohl am ehesten RB, Hoffenheim oder ein H96 in Vollbesitz von Kind. Wolfsburg oder Leverkusen passt nicht so recht, weil da kein Willkür-Potentat dahintersteckt, sondern ein Konzern mit den ganzen Zögerlichkeiten und Beaufsichtigungen und passthiernichtundpasstda nicht. Aber selbst ein Mateschitz, ein Hopp oder ein Kind (oder ein verdeckter operierender "Mäzen" wie Kühne) hätte im Leben nicht so viel Beinfreiheit zu beliebigen Aktionen wie so ein Scheich - und im Falle Katarscheich auch nicht so eine beliebig große Geldtüte. Da die diversen Oligarchen und Scheichs sich ohnehin mehr in der EPL austoben als typische Glory Hunter und sich anhand des Mini-Oligarchen von 1866 schön ansehen können, was ihnen in D.'s "Vereinskultur" blühen würde, machen solche Willkürtypen wohl eher einen weiten Bogen um die Liga. Und selbst wenn die "Chinesen" mal kämen, dann wären sie im Marketinggebahren wohl deutscher als die deutschesten Deutschen.

     

    Der komische Katar-Emir hat seit Jahren bekanntermaßen gewollt, gefordert und bezahlt, dass PSG der spitzeste Spitzenverein mindestens der Welt wird, eigentlich des Universums. Deshalb ballert er nun seit Ewigkeiten erfolglos Unsummen in den Club. Da ihm irgendwelche Leute gesagt haben, dass er nun zum endgültigen Erfolg unbedingt weitere Fantastilliarden raushauen muss, hat er das eben getan. WAS hat das mit irgendwas zu tun????