Verdrängung linker Freiräume: Raus aus dem einstudierten Ritual
Um linke Freiräume zu erhalten, braucht es neue Aktionsformen. Die Besetzung im Weidenweg 63 ist da ein guter Anfang.
D ie linke Szene gibt sich gern kämpferisch, so auch bei der Liebig34-Demo am vergangenen Samstag. Mit schwarzer Kleidung, radikalen Parolen und massenweise Pyrotechnik demonstrierten über 1.000 Menschen für den Erhalt des queer-feministischen Hausprojekts in Friedrichshain. Vieles erinnerte an die Rigaer94-Demo vor zwei Jahren, die in straßenschlachtähnlichen Zuständen endete. Sogar Startzeit und Demoroute waren identisch. Es ist davon auszugehen, dass die Situation im Vorfeld der Räumung der Liebig weiter eskalieren wird.
Es wirkt fast schon wie ein einstudiertes Ritual: Ein linkes Projekt ist von Verdrängung bedroht, Militanz und Polizeirepression schaukeln sich gegenseitig hoch, Politiker, Anwohner*innen und Medien sind empört, schließlich wird in den meisten Fällen geräumt, und dann ist kurz wieder Ruhe. Bis zum nächsten Haus.
Für die linke Szene wird es überlebenswichtig werden, aus diesem Ritual auszubrechen. Durch die explodierenden Mietpreise steigt der Verdrängungsdruck besonders auf linke Projekte. Neben der Liebig34 sind derzeit auch das Jugendzentrum Potse & Drugstore sowie die Kneipen Meuterei und Syndikat räumungsbedroht.
Um linke Freiräume zu erhalten, die auch zur Identität dieser Stadt gehören, ist es eher kontraproduktiv, alle Jahre wieder ein paar Luxuskarren abzufackeln. Die Parole „Jede Räumung hat ihren Preis“ schreckt weder Investoren noch Politiker ab, sondern ist ein Ausdruck von Handlungsunfähigkeit.
Umso wichtiger ist es, über neue Aktionsformen nachzudenken und damit neue Freiräume zu erkämpfen. Die Besetzung im Weidenweg 63, mittlerweile die dritte Aktion im „Herbst der Besetzungen“, ist da ein guter Anfang. Die Politik gerät zunehmend unter Druck, denn selbst der bürgerlichen Mitte wird es schwerer zu vermitteln, warum friedliche Aktivisten*innen aus leer stehenden Häusern geprügelt werden.
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