Verbotene Beschäftigung im Schlachthof: Illegaler Schnitt
In Oldenburg stehen zwei Männer vor Gericht, die mit illegalen osteuropäischen Arbeitskräften Millionengewinne gemacht haben sollen.
Den 53- und 56-jährigen Angeklagten wird von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, Arbeiter:innen in der Fleischverarbeitung illegal beschäftigt zu haben. Es gab zwar Werkverträge, aber die Bulgar:innen seien stattdessen wie reguläre Arbeitnehmer:innen behandelt worden. Damit sollen die Angeklagten Frank D. und Johannes S. laut Anklageschrift Gewinne von jeweils 4,7 Millionen Euro erzielt haben.
Sie sollen eine Art Vermittlungsfirma zwischen dem Fleischverarbeitungsbetrieb Wiesenhof im niedersächsischen Lohne und vermutlich mehreren bulgarischen Firmen betrieben haben.Wie in diesem Bereich üblich, arbeiteten die bulgarischen Arbeiter:innen auf Werkvertragsbasis. In diesem Fall vor allem beim Filetieren und Verpacken von Fleisch.
Das Problem: Diese Werkverträge der Arbeitskräfte wurden laut Anklage „nicht gelebt“. Das heißt, dass die Arbeiter*innen wie normale Angestellte in den Betrieb von Wiesenhof eingegliedert waren. Sie seien Vorarbeiter*innen unterstellt und im Stempel- und EDV-System von Wiesenhof registriert gewesen.
Stundenlohn: drei bis vier Euro
Eigentlich wären sie mit Werkverträgen aber nur den bulgarischen Firmen, die sie beschäftigten, weisungsgebunden gewesen. Und statt wie bei Werkverträgen üblich nach dem „Werk“ – in diesem Fall also nach Kilo – bezahlt zu werden, sollen sie einen Stundensatz bekommen haben. Dieser sei erst nachträglich in einen Kilopreis umgerechnet worden. Die im Prozess geladenen Zeug:innen sprechen von Stundenlöhnen von drei bis vier Euro. Die Staatsanwaltschaft Oldenburg geht davon aus, dass eine sogenannte „Arbeitnehmerüberlassung ohne Erlaubnis“ vorlag.
Die Firma, über die die beiden Angeklagten die Arbeitskräfte an Wiesenhof vermittelten, beschäftigte offiziell selbst keine Angestellten. Sie soll die Werkverträge stattdessen an die bulgarischen Firmen weitergegeben, die Arbeitskräfte aber wiederum wie eigene Angestellte behandelt haben. Einer der Angeklagten sei formeller Geschäftsführer, der andere faktischer Geschäftsführer der Vermittlungsfirma gewesen.
Die beiden Angeklagten haben sich im Prozess bisher noch nicht geäußert. Wenn die Werkverträge nicht als solche gelebt wurden, verstieße dies gegen das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz. Als reguläre Arbeitnehmer:innen hätten die Menschen aus Bulgarien zu dieser Zeit nämlich gar nicht in Deutschland beschäftigt sein dürfen, weil die Arbeitnehmerfreizügigkeit für Bulgaren in der EU erst später in Kraft getreten ist. Das Strafmaß pro Tat liegt bei bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe oder einer Geldstrafe.
Einige Taten sind verjährt
Laut Anklageschrift wurden die Bulgar:innen in speziellen Registrierungsbüros angeworben und mussten die Reisekosten nach Deutschland selbst bezahlen. Zeug:innenaussagen bestätigen das. Vielen der Zeug:innen fällt es schwer, sich an die genauen Arbeits- und Vertragsbedingungen von damals zu erinnern. Fünf der sieben angeklagten Taten sind nach zehn Jahren bereits verjährt.
Die Anklage lag bereits 2012 beim Landgericht Oldenburg vor, verhandelt wird aber erst jetzt, mehr als sieben Jahre später. „Grund dafür ist die Überlastung der Kammer“, sagt der Pressesprecher des Landgerichts Torben Björn Tölle. Andere Haftsachen seien einem so komplexen Wirtschaftsverfahren vorgezogen worden. In einem ganz ähnlichen Prozess 2017 wurden die beiden Angeklagten wegen Verjährung der Taten freigesprochen (die taz berichtete).
Mit im Gerichtssaal sitzen auch Vertreter der „Oldenburger Geflügelspezialitäten GmbH & Co. KG“, besser bekannt unter ihrem Markennamen Wiesenhof. Sie fordern eine Einstellung des Verfahrens, unter anderem mit dem Verweis auf das Bundesverfassungsgericht. Dieses hat auf die Frage, ob die Firma auch für bereits verjährte Fälle den unrechtmäßig erzielten Gewinn abführen muss, noch keine Entscheidung getroffen.
Falls ja, müsste die Vermittlungsfirma der Angeklagten 3,6 Millionen Euro zahlen. Momentan laufen Rechtsgespräche. Falls diese nicht zu einer Einstellung des Verfahrens führen, werden weitere Zeug:innen vernommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Krieg in der Ukraine
Russland droht mit „schärfsten Reaktionen“
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Israelis wandern nach Italien aus
Das Tal, wo Frieden wohnt