Verbot von Plastiktüten in Indien: Krieg den Tüten
Chefinspektorin Sunita Joshi und ihre Männer suchen hinter jeder Ladentheke nach Tüten. Wie man in Mumbai dem Plastik zu Leibe rückt.
Die Beamten gehen nicht zum Gebet, sondern ihrer Routine nach: kontrollieren, wer hier noch Plastiktüten benutzt. Seit einem Jahr ist im Bundesstaat Maharashtra deren Verkauf und Gebrauch verboten. Darunter fallen dünne Tüten, Mini-Getränkeflaschen, Einweggeschirr und Deko-Styropor. Erlaubt sind nur noch Plastiktüten, die dicker als 0,05 Millimeter sind. Zudem müssen sie mindestens aus 20 Prozent recyceltem Material bestehen und mit entsprechendem Stempel zertifiziert sein.
Darüber klärt eine Broschüre auf, mit der das Team von Joshi arbeitet. An diesem Dienstag inspizieren sie knapp ein Dutzend Stände im Elefantengott-Tempel. Die BesucherInnen schlängeln sich an den kleinen Buden vorbei. Manche bleiben an den Vitrinen mit Süßigkeiten stehen. Oberhalb davon hängen gelb-orange Blumenkränze. Gläubige finden hier alles, was sie für ihre Zeremonie benötigen.
Joshi beobachtet ihre MitarbeiterInnen, wie sie in alle Richtungen ausschwärmen. Doch dieses Mal werden sie nicht fündig. Bei keinem Verkäufer lassen sich hinter der Ladentheke die verbotenen Beutel finden.
Ein Bußgeld für jeden Plastik-Verkäufer
Im September sah das noch anders aus, als der Umweltminister zur Inspektion vorbeikam. An sechs Läden verhängte er persönlich das Bußgeld. Selbst die Gläubigen tragen mittlerweile ihre Opfergaben in einer Schale, die sie beim Verlassen des Tempels wieder abgeben. Alles, was dort nicht zu Ehren der Götter verweilt, kommt am Ende in eine Tüte, die aus Zeitungspapier gefaltet und an den Seiten getackert ist.
Jeden Monat besuchen mehr als eine Million Menschen die Gebetsstätte. Er ist einer der vielfrequentierten Orte Mumbais, dem Zuhause von über 20 Millionen Menschen. Das Plastikverbot, auf das auf dem Eingangstor des Tempelgeländes hingewiesen wird, hat nicht nur hier Auswirkungen. Langsam verringert sich Kunststoffmüll auf den Straßen, Bahngleisen, in den Gebüschen und am Strand. Die Küstenstadt ist darum bemüht, die Tütenflut in Schach zu halten, da sie in der im Sommer beginnenden Regenzeit die Abflussrinnen verstopfen.
Vor 14 Jahren hatte das verheerende Auswirkungen: Bei Überschwemmungen ertranken 500 Menschen. Im darauf folgenden Jahr wurde ein neues Gesetz verabschiedet, bemerkbar machte es sich aber kaum. Dagegen helfen soll nun das Einwegplastikverbot. Wer ertappt wird, muss umgerechnet 62 Euro bezahlen, viel Geld für die allermeisten Inder. Wiederholungstätern droht sogar Haft. Doch so weit sei es noch nicht gekommen, sagt Inspektorin Joshi.
Seit Ende Juni 2018 haben die Behörden über 52 Tonnen Plastik konfisziert und Strafen in Höhe von 360.000 Euro verhängt, sagt der stellvertretende Stadtkommissar Vijay Balamwar. Die dreimonatige Übergangsphase, in der Handelslizenzen für Plastikhersteller entzogen wurden und Aufklärungsarbeit in Schulen stattfand, waren noch straffrei.
Keiner will Fisch ohne Plastiktüte kaufen
Auf dem Fischmarkt in Dadar, zehn Gehminuten vom Tempel entfernt, sind die Strafen kein großes Thema. Die Fischverkäuferin Sena Khan hat im letzten Jahr davon gelesen und daraufhin auf Zeitungspapier umgestellt. „Doch keiner wollte den Fisch kaufen, wenn ich keine Plastiktüte angeboten habe“, sagt die 54-Jährige, die aus einem Korb ein dunkles Tütchen kramt. Seit 40 Jahren verkauft sie schon Fisch. Sie ist dreimal in der Woche auf dem kleinen Markt. „Als wir jung waren, gab es kein Plastik“, erzählt sie, doch das habe sich in den letzten zehn Jahren extrem verändert. Sie findet das Verbot gut, doch für sie ist es schlecht fürs Geschäft.
Khan trägt ein pinkfarbenes Top, das Bestandteil ihres gleichfarbigen Saris ist. Ihre Verkaufstheke besteht aus einem Brett, das auf Styroporboxen liegt, in denen sie den Fisch zum Markt transportiert. Ein Sonnenschirm über ihrem Verkaufstisch wirft ein bisschen Schatten. Dort sind Garnelen, Makrelen und Krabben ausgebreitet. Auch wenn sie Kunden mit Tragetaschen besuchen, die Plastiktüte ist für viele obligatorisch. Wie sollte man sonst den nassen Fisch nach Hause bringen? Die wenigsten kommt mit ihrem eigenen Behälter. Deshalb benutzt sie auch weiterhin Plastiktüten, wenn die Kunden dies wünschen.
Mit Bequemlichkeit argumentieren viele Händler. Doch das Verbot findet Anklang: Das Postamt nimmt keine Plastikpäckchen mehr an, in den Supermärkten gibt es nur noch Papier- oder Stofftaschen und die Lieferservice-Unternehmen verpacken ihre Waren in braune Papiertüten. Die Veränderung bemerkt auch die Haushälterin Maria. Sie geht fast täglich zum Markt. Heute hat sie ihre Leinentasche dabei, die mit Gurken, Paprika, Limetten und Zwiebeln gefüllt ist. Die grüne Paprika ist in Papier eingewickelt. Wenn sie einmal etwas vergessen hat, dann schickt sie den Hausangestellten zum Markt, der dann mit vollen Plastiktüten zurückkäme.
„Wir sind es nicht gewöhnt, einen Beutel zum Einkauf mitzunehmen“, sagt die 50-Jährige Maria lächelnd. Das müsse man erst wieder lernen. Um den Hals trägt sie einen Anhänger mit dem Erzengel Michael, die Haare sind nach hinten gesteckt. Maria erinnert sich noch an die Zeiten, in denen Milch in Glasflaschen verkauft wurde. Doch die sind längst durch Plastikbeutelchen ersetzt worden. „Die Veränderung ist gut. Wenn man sich umsieht, landet zu viel Plastik im Meer, in den Abflussrinnen oder in Kuhmägen.“ Das ist Maria bewusst geworden. Ihren hellen Leinenbeutel hat sie deshalb immer häufiger dabei.
Die Regelung betrifft alle: Auch McDonald's musste zahlen
Bereits 2006 wurde erfolglos versucht, den Plastikverbrauch einzuschränken. Doch den Behörden habe der Handlungsspielraum gefehlt, sagt Chefinspektorin Sunita Joshi. „Davor war es sehr schwer, Plastik zu konfiszieren“, sagt sie. Um die Verwendung von billigen und leicht erhältlichen Plastiktüten zu verhindern, hat die Regierung eine 50-Mikron-Plastiktüte eingeführt. Sie kostet im Durchschnitt 20 Prozent mehr. So, das hoffen die Behörden, würden sie weniger häufig kostenlos ausgegeben.
Auch an große Unternehmen wie McDonald’s oder Starbucks wurden schon Strafen verteilt. Das Bußgeld hatte für diese Gastronomen eine eher symbolische Bedeutung, im Gegensatz zu den Straßenhändlern oder Kioskbesitzern, für die das schon mal ein halber Monatslohn Verlust heißen kann. Doch die Signalwirkung ist da: Die Regelung betrifft alle.
Und es gibt Pläne, die Regelungen weiter zu verschärfen. Jeden Tag fallen in Mumbai immer noch 500 Kubikmeter Plastikmüll an. Die Stadtverwaltung kann zwar Erfolge verzeichnen, denn die Menge an täglichem Abfall hat sich in den letzten vier Jahren von 9.500 auf 7.200 Tonnen reduziert. Wie viel davon Plastik ist, darüber gibt es keine Statistik.
Vieles von dem, was sich in den unzähligen Kiosken, in kleinen und kleinsten Päckchen von Salz, Gewürzen bis zu Chips finden lässt, graben Chinu Kwatra und seine Strandschützer wieder aus. Auch sie haben dem Plastik den Kampf angesagt. Am Wochenende ist Kwatra an einem der zahlreichen Strände Mumbais in Dadar, Juhu oder Cuff Parade anzutreffen.
Chinu Kwatra kämpf gegen die Müllschwemme im Meer
Seit September 2017 organisiert der 29-Jährige die Aufräumaktionen, bei denen sein 35-köpfiges Team aus Freiwilligen und zusätzlichen spontanen HelferInnen angespülte Plastikteile aufsammeln. Deshalb steht der bärtige Mann mit tätowierten Armen samstags und sonntags schon um fünf Uhr morgens auf und fährt vom Vorort Thane in die Stadt. Im Gepäck hat er sein T-Shirt, Schippen und ein paar blaue Handschuhe. Als ehemaliger Marketing-Manager weiß er, wie er mit Leuten sprechen muss, um sie von seiner Mission zu überzeugen.
Umweltaktivisten wie Chinu Kwatra bemängeln, dass vor allem Großkonzerne nicht in die Verantwortung genommen werden. Er schätzt, dass seit der Einführung des Gesetzes der Plastikmüll um fünf bis zehn Prozent zurückgegangen ist. Doch das ist ihm nicht genug. Am Strand lassen sich noch Plastiktüten in Mengen finden. „Das Gesetz ist gut, doch es wird nicht streng genug umgesetzt. Die Leute sind schlau und suchen nach Schlupflöchern.“
Nach sieben Uhr am Abend, wenn die Inspektoren ihre Arbeit getan hätten, würden die Tüten wieder an den Marktständen hervorgekramt werden, sagt er. „Ich glaube nicht, dass Slumbewohner, die sich Shampoo für ein paar Cent kaufen, wissen, wie sehr sie die Natur damit schädigen“, sagt Kwatra. Großkonzerne wie Hindustan Unilever hingegen müssten sich darüber im Klaren sein, welchen Schaden sie anrichten.
Neben den Verstopfungen von Leitungen ist der Kunststoff, der sich in den Böden und im Wasser in winzige Partikel zersetzt, ein Problem, denn so gelangt das Plastik in den natürlichen Lebenskreislauf. Da hilft es auch nicht viel, dass in Indien im globalen Vergleich relativ wenig Kunststoff verbraucht wird. Im Durchschnitt sind es in elf Kilogramm pro Kopf und Jahr, in den USA dagegen 109 und in Deutschland 144 Kilogramm. Dazu kommt, dass Industrienationen wie Deutschland Kunststoffabfälle nach Indien verschiffen. Im letzten Jahr waren es 70.000 Tonnen. Durch eine EU-Richtlinie soll auch der Plastikverbrauch in Deutschland eingeschränkt werden. Bis Ende 2019 will man den Konsum auf maximal 90 Tüten pro Kopf und Jahr reduzieren.
Verdächtige Packung bei Kokosnussverkäufer Shakeel Shaban
In die kleine Küstenstadt Murud, 160 Kilometer von Mumbai entfernt, kommen indische Touristen gerne zum Baden, denn dort ist es sauberer als in der Landeshauptstadt. An einem der Sandstrände steht Shakeel Shaban und verkauft Kokosnusswasser. Obwohl er nach eigener Aussage 35 Jahre alt ist, wirkt er fast ein Jahrzehnt älter. Seine Haut ist von der Sonne gebräunt. Jeden Tag bietet Shakeel Shaban Erfrischungen an.
Auf seinem Holzwagen liegt neben den grünen, dreieckigen Früchten eine verdächtige Packung. „Die Tüten sind zugelassen“, sagt Shaban zögerlich und weist auf einen Aufdruck auf der Verpackung: „Von der Regierung genehmigt. 20 Mikron“ steht darauf. Gleiches gelte für die Halme, doch ganz sicher scheint er sich nicht zu sein. Shaban ist sich des Plastikverbots bewusst, doch mit jeder Kokosnuss, die er an seine Kunden verteilt, gibt es einen Strohhalm aus Kunststoff. Manchmal kommt noch eine Tüte dazu, wenn es „to go“ sein soll. Auf die Frage, was er von dem Verbot hält, sagt der Familienvater: „Das ist eine gute Sache, denn es ist gut für die Umwelt.“
Shaban schlägt mit dem Beil ein Stück von einer Kokosnuss ab und reicht es einer Frau. Er müsse so billig wie möglich anbieten, sagt Shaban. Eine Kokosnuss verkauft er für umgerechnet 32 Cent. Das beste Geschäft mache er an den Wochenenden, wenn die Touristen kommen. Ein einzelner Papierstrohhalm würde ihn zwei Cent kosten, eine ganze Packung mit 50 Plastikhalmen ist schon für 12 Cent erhältlich. „Wir können uns nicht für jede Kokosnuss so einen Halm leisten“, sagt er, der fürchtet, dass seine Kunden nicht mehr Geld bezahlen würden.
Dabei sind seine Nüsse fast um die Hälfte günstiger als in Mumbai. Während die Behörden in den Großstädten Händler, die Plastiktragetaschen ausgeben, ahnden, sei er in Murud nie kontrolliert worden. „Die Inspektoren kommen nicht hierher. Abgesehen von uns Verkäufern müssen auch unsere Kunden ein Einsehen haben. Ohne Plastiktüten können wir das Kokosnusswasser nicht zum Mitnehmen verpacken.“
Von der Regierung wünscht er sich, dass die genehmigten Tüten und Halme leichter verfügbar sind. Er müsse sie derzeit in Mumbai kaufen, doch das seien über sechs Stunden Autofahrt. „Wenn Alternativen auch hier erhältlich sind, werden die Leute sie auch benutzen“, sagt Shaban.
Der Kioskbesitzer flucht: Er ist erwischt worden
Weder die Tüten noch die von Shaban benutzten Halme sind erlaubt. Solche Ausreden höre sie oft, sagt Inspekteurin Sunita Joshi in Mumbai. „Die Hersteller lassen sich viel einfallen. Die kleinen Händler bemerken oft nicht, dass sie Tüten benutzen, die nicht zugelassen sind“, sagt sie. Joshi will auch gegen sie vorgehen, doch oft weiß sie nicht, woher die Tüten kommen. In den anderen indischen Bundesstaaten gilt das Verbot nicht.
Sunita Joshi, Inspekteurin
An diesem Tag werden die Kontrolleure in Mumbai doch noch fündig: Ein Kiosk, ein Sandwichladen und ein Großhändler für Herrenkleidung werden des unerlaubten Plastikbesitzes überführt. Zwei zahlen ihre Strafe gleich. Der Kioskbesitzer flucht in Marathi, der Lokalsprache. Wie allzu oft sind es die Kleinen, die bezahlen müssen. Doch Gesetz sei Gesetz, sagt Joshi. Sie hätten nicht umsonst in der Zeitung und an Bushaltestellen informiert. Ohne Kontrollen würde sich nicht viel ändern. Das habe sich schon vor zehn Jahren gezeigt, sagt die Beamtin, die seit 2007 versucht, das Plastikproblem der Stadt in den Griff zu bekommen.
Damit sich aber das Bewusstsein in der Bevölkerung verändert, brauche es mehr Bürgerinitiativen als Strafen. Sonst könne sich nicht viel ändern. Auch wenn von 250 Kontrolleuren für ganz Mumbai knapp die Hälfte ihrem Team unterstellt sind, weiß sie: „Unser Gebiet ist viel zu groß, um alle 900.000 Geschäfte und Betriebe in Mumbai zu kontrollieren.“ Trotzdem hofft sie, dass sich ihre Arbeit weiter herumspricht. „Wir sollten optimistisch sein.“
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