Verbot von Kinderehen: Experten zerreißen Gesetzentwurf
„Man darf hier nicht alle über einen Kamm scheren“: Der Vorschlag aus dem Justizministerium stößt bei einer Kommission auf heftige Kritik.
Der Gesetzentwurf sieht vor, Ehen von unter 16-Jährigen künftig pauschal für nichtig zu erklären – nach deutschen Recht hätte die Ehe dann nie existiert. Bei 16- und 17-Jährigen sollen Familiengerichte die jungen Eheleute anhören und dann ein Urteil fällen. In besonderen Ausnahmefällen könnte die Ehe fortgeführt werden. Das betrifft vor allem anerkannte Flüchtlinge und Zuwanderer, laut Ausländerzentralregister gelten 1.500 Minderjährige als verheiratet.
Die Expertenmeinungen gehen auseinander. So sei das eben, sagt Prof. Thomas Pfeiffer: „Wenn man Juristen befragt, heißt es meist: Es kommt drauf an. So ist es auch in diesem Fall.“ Der Rechtswissenschaftler von der Universität Heidelberg ist einer von acht GutachterInnen, denen der Gesetzentwurf zur Prüfung vorgelegen worden war. Erst im April war der Entwurf vom Bundestag gebilligt worden.
Er bestätigt die geltende Rechtslage, die eine Eheschließung erst ab dem 18. Lebensjahr erlaubt. Nur in Ausnahmefällen gestatten Gerichte derzeit die Ehe unter Minderjährigen kurz vor deren Volljährigkeit. Das passiert aber nur äußerst selten. In den aktuellsten Erhebungen aus dem Jahr 2015 zählte das Statistische Bundesamt nur einen Fall, in dem die Ehefrau jünger als 16 Jahre war, in 87 Fällen waren die Frauen zwischen 16 und 17 Jahre alt. Im selben Alter haben nur vier junge Männer geheiratet.
Gesetzesentwurf widerspricht Genfer Flüchtlingskonvention
Zwar begrüßen die Experten unisono die Bemühungen der Bundesregierung um besseren Kinderschutz. Doch der Gesetzesentwurf lasse sich nur schwer in der Praxis umsetzen. Etwa weil es, wie Thomas Pfeiffer sagt, sehr unterschiedliche Gründe für eine Eheschließung geben kann. „Man darf hier nicht alle über einen Kamm scheren.“ Zudem verweist er darauf, dass die im Gesetzentwurf stehende „Nichtigkeitslösung“ der Genfer Flüchtlingskonvention widerspricht. Diese sieht vor, alle in der Heimat geschlossenen Ehen anzuerkennen.
Meike Riebau, Rechtsreferentin für Migration von der Nichtregierungsorganisation „Save the Children“, meint, es sei „nicht immer im Interesse der Minderjährigen, die Ehe aufzulösen“. Sie spricht sich gegen eine „Per-se-Nichtigkeitserklärung“ aus. Grund für Ehen zwischen Minderjährigen sei meist die finanzielle und soziale Absicherung in patriarchalen Gesellschaften. Riebau ist der Auffassung, dass Justizminister Maas' Gesetzesentwurf gegen die UN-Kinderrechtskonvention verstößt.
Monika Michell von der Menschenrechtsorganisation „Terre des Femmes“ plädiert hingegen für die Nichtigkeitslösung. Bei jungen Frauen, die auf der Flucht oder in ihrer Heimat verheiratet wurden, sei es schwierig, die Hintergründe nachzuvollziehen. Ihre Organisation kümmert sich um Mädchen, die – häufig unter dem enormen Druck ihrer Familien – jung heiraten. Um nicht von den Angehörigen verstoßen zu werden, würden sie vor Gericht „mit aller Überzeugungskraft“ aussagen, dass sie ihre Ehe freiwillig eingegangen seien. Michell plädiert dafür, Kinderehen generell als kindeswohlgefährdend einzustufen und zu verbieten.
Brigitte Meyer-Wehage vom Deutschen Juristinnenbund e.V. wiederum verweist auf den Unterschied zwischen Kinder- und Zwangsehen. Für Letztere gilt ein eigenes strafrechtliches Prozedere. Außerdem sieht Meyer-Wehage massive Probleme bei der Umsetzung des vorliegenden Gesetzesentwurfs. Die Feststellung des Alters vieler Flüchtlinge sei schon im Asylverfahren äußerst schwierig: „Viele geben sich als minderjährig aus, obwohl sie älter als 18 sind.“ Wenn dann noch ein deutsches Familiengericht klären müsste, ob die Ehe mit der zugewanderten Frau rechtens sei, wäre das eine massive Zusatzbelastung für das ohnehin überlastete Rechtswesen.
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