Verbot der Pop-up-Radwege: Autokratie statt Demokratie
Berlins Pop-up-Radwege sollen verschwinden, obwohl eine breite Mehrheit sie wünscht und RadfahrerInnen sie feiern. Ein echter Irrsinn.
E s ist eine der wenigen positiven Nebenerscheinungen von Corona: Die Pop-up-Radwege, die innerhalb von kurzer Zeit an zahlreichen Berliner Hauptverkehrsstraßen entstanden sind. Um den pandemiebedingt stark gewachsenen Radverkehr aufnehmen zu können, wurde jeweils eine Autospur zur Radspur umgewidmet und mit Verkehrsbaken gegen das Befahren durch Autos geschützt.
Doch diese Umverteilung des Straßenraums störte nicht nur die AfD, die dagegen klagte. Sondern auch das Berliner Verwaltungsgericht, das einem Eilantrag in erster Instanz recht gab und die neuen Radspuren für unrechtmäßig erklärte – mit der Begründung, dass diese nur eingerichtet werden dürften, wenn zuvor eine besondere Gefahr für Radfahrende auf der entsprechenden Straße nachgewiesen worden sei.
Keine Frage: Auch die Verwaltung muss sich an Gesetze halten, und jeder hat das Recht, vor Gericht überprüfen zu lassen, ob sie es tut. Doch wenn diese Entscheidung auch in der Hauptsache und der nächsten Instanz bestätigt werden sollte, zeigt sie ein sehr grundsätzliches Problem der deutschen Verkehrspolitik und der Gesetze, auf denen sie beruht: Das Auto ist noch immer das Maß aller Dinge. Den Platz, den es in den Städten beansprucht, darf die demokratisch legitimierte Politik nicht einfach so reduzieren, nein, sie muss das ausführlich begründen.
Dass mehr Menschen Fahrrad fahren, langt dabei nicht als Grund. Dass noch mehr Menschen das Fahrradfahren ermöglicht werden soll, erst recht nicht. Nein, eine echte Gefahr muss erwiesen sein, bevor eine Kommune tätig werden darf – am besten durch gut dokumentierte Unfälle. Wer radfahren will, muss erst mal leiden.
Diese Beschränkung der kommunalen Gestaltungsmöglichkeit durch die Vorgaben der Straßenverkehrsordnung ist absurd – und undemokratisch. In vielen Städten wächst der Wunsch, den Straßenraum menschenfreundlich umzuverteilen. In Berlin hat ein Volksentscheid in Rekordzeit die notwendigen Unterschriften dafür gesammelt, dass alle Hauptverkehrsstraßen mit sicheren Radwegen ausgestattet werden, und der Senat hat ein entsprechendes Gesetz verabschiedet.
Jetzt endlich wird unter dem Eindruck von Corona an der Umsetzung solcher sinnvollen Pläne gearbeitet. Dass dies an überkommenen und bürokratischen Vorgaben des Bunds scheitert, sollten sich die Kommunen nicht mehr länger gefallen lassen. Das Zeitalter der Autokratie ist vorbei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Im Gespräch Gretchen Dutschke-Klotz
„Jesus hat wirklich sozialistische Sachen gesagt“