Verbandschef über Genossenschaften: „Wir warten nicht auf den Staat“

Genossenschaften könnten Probleme schrumpfender Regionen lösen, sagt Ralf W. Barkey, Vorstandschef des Genossenschaftsverbandes.

in luftiger Höhe wird der Rotor eines Windrad montiert

Unabhängige Stromversorgung: Aufbau eines Windrads im Windpark Feldheim in Brandenburg Foto: Paul Langrock

taz: Herr Barkey, wann ist die Genossenschaft die beste Rechtsform für ein Unternehmen?

Ralf W. Barkey: Das ist natürlich eine Fangfrage. Sie werden verstehen, dass ich die genossenschaftliche Rechtsform prinzipiell für die beste Rechtsform halte.

Geht klar. Aber was ist so gut an einer Genossenschaft?

Die Genossenschaft als Rechtsform ist urdemokratisch. Bei Abstimmungen hat jedes Mitglied immer eine Stimme, egal wie viele Anteile es hat. Wenn Sie als Mitglied also etwas durchsetzen wollen, müssen Sie Ihre Mitgenossen überzeugen, Sie können sie nicht dominieren. Zugleich ist sie juristisch die am einfachsten handelbare: Sie brauchen nur zwei Mitstreiter, die sich zusammenschließen. Sie brauchen keinen Notar, wenn Sie ein- oder austreten; wenn Sie austreten, können Sie Ihre Anteile wieder mitnehmen.

In der Diskussion um mangelnde Perspektiven für den ländlichen Raum müssen Genossenschaften immer wieder als Problemlöser herhalten. Können sie das leisten?

Der Genossenschaftsgedanke ist ja aus einer solchen Notsituation heraus entstanden. Und wir stellen fest, dass dieser Gedanke sehr modern ist. Dort, wo wir gesellschaftliche, wirtschaftliche oder soziale Problemlagen haben, sagen Menschen immer wieder, wir warten nicht auf den Staat, wir ergreifen selbst die Initiative und gründen Genossenschaften. Wenn Kommunen Schulen, Schwimmbäder, Kitas nicht mehr führen können, engagieren sich Bürger und übernehmen sie in Genossenschaften.

Und dann sind diese Einrichtungen wieder finanzierbar?

Ich habe in meiner näheren Umgebung eine Eissporthalle, die die Kommune vor einigen Jahren hochdefizitär an eine Genossenschaft übergeben hat. Die schreibt heute schwarze Zahlen, weil sich die Menschen dort ehrenamtlich engagieren und weil sie etwa die Öffnungszeiten nicht auf die Bedürfnisse des öffentlichen Dienstes, sondern auf die ihrer Mitglieder abgestimmt haben. Sie öffnet nun vor allem am Wochenende, wenn die meisten Zeit haben.

Wenn der Staat nicht kann, kommt die Stunde der Genossenschaften?

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Wir sagen nicht, wir brauchen keinen Staat. Der Staat steht schon in der Verantwortung und muss die Mindestinfrastruktur bereitstellen. Aber bei Zusatzangeboten sind Genossenschaften manchmal die bessere Lösung. Oder wo der Staat zu langsam ist.

Was meinen Sie damit?

Thema Breitband. In vielen ländlichen Regionen wollen Bürger und mittelständische Wirtschaft nicht auf das Angebot der Telekom warten. In NRW haben deshalb die ersten Genossenschaften die Versorgung übernommen. Die gehen auf zwei Architekten zurück, die ihre Angebote mangels schnellem Internet nicht elektronisch abgeben konnten und entscheiden mussten, ob sie zumachen oder wegziehen. Sie wählten den dritten Weg. Inzwischen steht die Entwicklung der ländlichen Räume übrigens als Ziel in jedem Koalitionsvertrag. Da fragen die Ministerpräsidenten bei uns an: Wie machen wir das? Wie kriegen wir die Verkehrsversorgung hin, wie Freizeitmöglichkeiten?

Genossenschaften werden aber doch nicht von oben gegründet!

Aber manchmal kommen schon die Kommunen mit Investitionsbedarf und fragen uns, wie sie an Geld kommen. Und dann gibt es ganz schlaue Kämmerer, die sagen, wir wandeln unser Elektrizitätswerk in eine Genossenschaft um und behalten 51 Prozent, damit wir das Sagen haben. Da müssen wir natürlich entgegnen, dass eine Genossenschaft keine Kapitalsammelstelle ist, sondern eine Unternehmensrechtsform mit demokratischen Strukturen, in der niemand über einen Mehrheitsanteil verfügt. Wenn sie aber bereit sind, sich auf diesen Gedanken einzulassen, kann die Initiative auch von der Kommune ausgehen. In der Regel werden Genossenschaften aber natürlich von Bürgerinnen und Bürgern initiiert.

Die Genossenschaftsidee ist ein Modell der Selbsthilfe, Selbstverwaltung sowie Selbstverantwortung. Die unternehmerische Rechtsform in Deutschland ist die eG. Zur Gründung einer eG sind mindestens drei Menschen notwendig. Durch den Erwerb von Genossenschaftsanteilen werden alle Mitglieder zu Miteigentümern, die – unabhängig von der Zahl ihrer Anteile – jeweils eine Stimme bekommen, mit der sie aktiv mitgestalten können. Der Förderzweck der Genossenschaft wird in der Satzung festgeschrieben. Eine jährliche Prüfung von Vermögenslage und Geschäftsführung durch einen Prüfungsverband ist vorgeschrieben.

In Deutschland gibt es rund 8.000 Genossenschaften, damit ist ihr Anteil an den rund 3,3 Millionen Unternehmen in Deutschland verschwindend klein. Auf der anderen Seite haben sie insgesamt 23 Millionen Mitglieder. Tätig sind Genossenschaften in den Bereichen Banken, Landwirtschaft und Ernährung, Gewerbe, Waren, Dienstleistungen, Wohnungsbau, Energie und Konsum. Die Genossenschaftsbanken kamen Ende 2017 auf ein addiertes Bilanzvolumen von rund 900 Milliarden Euro.

Die „Idee und Praxis der Organisation von gemeinsamen Interessen in Genossenschaften“ ist seit 2014 Teil des immateriellen Weltkulturerbes der Unesco.

Ein beliebtes Feld für Genossenschaften war in den vergangenen Jahren die Energiewende. Da scheint der Boom aber inzwischen nachzulassen. Woran liegt das?

Energiegenossenschaften sind seit 15 Jahren das große Thema, 50 Prozent aller alternativ erzeugten Energien in Deutschland sind inzwischen sogenannte Bürgerenergie. Das ist ein klares Bekenntnis der Menschen vor Ort, selbst entscheiden zu wollen, wir wollen für unser Dorf Windkraft nutzen, wir holen aber keinen Investor, der uns den Strom dann teuer verkauft. Wir wollen regionale Wertschöpfung, wollen selbst etwas davon haben, über die Mitglieder steuern, wie groß etwa die Anlage sein und wie weit weg vom Ortskern sie stehen soll.

Das klingt, als ließen sich damit viele der bekannten Konflikte der Windenergie mit dem Naturschutz oder mit Lärmschutz von vornherein vermeiden. Aber noch mal: Woran hakt es im Moment?

Es ist nicht so, dass das Thema die Menschen nicht mehr interessiert. In NRW haben wir 120 Millionen Euro Investitionskapital auf Halde liegen, die Genossenschaften für neue Wind- und Photovoltaikanlagen einsetzen würden. Aber die Bundesländer – und hier ist NRW vorn dabei – sind dabei, über Landesentwicklungspläne so viel zu regulieren, dass kaum noch etwas geht. Allein das Abstandsgebot von 1.500 Metern – in dichtbesiedelten Ländern wie NRW bekommen Sie da keine neuen Anlagen mehr genehmigt. Wir sind doch keine Freunde davon, Anlagen gegen den Bürgerwillen durchzusetzen. Dann kämen auch gar keine Genossenschaften zustande.

Wie groß sind denn die Energiegenossenschaften?

Im Schnitt haben wir dort 400 Mitglieder. Das ist in vielen Fällen schon ein großer Teil der Dorfgemeinschaft. Wenn die dann sagen, 800 Meter Abstand ist in Ordnung, das ist der ideale Platz – warum muss die Politik das mit Zwangsbeglückung kaputtmachen?

Sie fordern also generell mehr Flexibilität – oder eine Sonderrolle für Genossenschaften?

Genossenschaften spielen eine besondere Rolle bei der Umsetzung der Energiewende. Und die sollte berücksichtigt werden. In der Realität ist aber oft das Gegenteil der Fall.

Was meinen Sie?

Genossenschaften werden oft gar nicht mitgedacht. Das fängt an bei der Beratung, wenn Sie eine Existenz gründen wollen. Dann werden Ihnen die klassischen Rechtsformen erklärt, Einzelgesellschaften, GmbH, GmbH und Co KG. Die Genossenschaft kommt nicht vor. Und das geht bei der Gründungsförderung weiter, wo es auf Landes- und Bundesebene ein sehr reiches Instrumentarium gibt. Wenn Sie sich selbstständig machen wollen, können Sie die Programme in Anspruch nehmen, nicht jedoch als genossenschaftlicher Gründer.

Warum nicht?

Wenn wir mit Politikern reden, heißt es oft: Ja, stimmt, haben wir vergessen. Da müssen wir also ran und die Politik sensibilisieren.

Allerdings gibt es auch bei den Genossenschaften schwarze Schafe. Wie Eventus, eine Wohnungsbaugenossenschaft, die knapp 10 Millionen Euro Genossenschaftsanteile sammelte, die dann plötzlich weg waren.

Ralf W. Barkey

58, ist Rechtsanwalt und Vorstandsvorsitzender des Genossenschaftsverbandes – Verband der Regionen e. V., der rund 2.600 Mitgliedsgenossenschaften aus Kreditwirtschaft, Landwirtschaft, Handel, Gewerbe und Dienstleistungen mit rund acht Millionen Mitgliedern in Deutschland betreut.

Ja, es gab ein paar wenige Fälle, in denen unter dem plakativ hervorgehobenen Begriff Genossenschaft Kapital eingesammelt und veruntreut worden ist. Das sind am ehesten Immobilien-Genossenschaften, weil da viel Geld zu holen ist.

Aber Eventus war eine eingetragene Genossenschaft. Wie kann so etwas passieren?

Da hat jemand kriminell agiert und leider ist auch nicht adäquat geprüft worden. Jede Genossenschaft muss Mitglied in einem Prüfungsverband sein, wie wir einer sind. Sie kann diesen Verband aber frei wählen und lässt sich vielleicht vom Preis blenden. Aber wenn die Prüfung wenig kostet, fällt sie womöglich auch oberflächlich aus und stellt solche Fehlentwicklungen nicht fest.

Wie lässt sich das ändern?

Hier ist der Staat gefordert. Er hat die Aufsicht für die Prüfungsverbände und muss dafür sorgen, dass die auch die entsprechende Leistung erbringen. Auch im Interesse der genossenschaftlichen Idee und der über 23 Millionen Genossenschaftsmitglieder in Deutschland.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.