Verantwortung Wer war Schuld an den G20-Krawallen? Viele zeigen jetzt auf die Rote Flora. Doch was für Mechanismen sind hier eigentlich im Spiel?▶Schwerpunkt SEITE 43–45: Sündenbock gesucht
VON Lena Kaiser und Katharina Schipkowski (Text)und Imke Staats (Illustration)
In Hamburg hat nach dem G20-Gipfel die Suche nach einem Schuldigen begonnen. Ein paar Tage lang haben sich verschiedene Akteur*innen gegenseitig zum Sündenbock erklärt: de Maizìere alle Linken, die Hamburger CDU Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), die SPD die Rote Flora, manche Linken die ausländischen Autonomen, andere Linke Olaf Scholz und Angela Merkel, weil sie den Gipfel nach Hamburg geholt haben.
Heute, zwei Wochen nach dem Gipfel, hat sich der Fokus verengt. Olaf Scholz und seine SPD versuchen durch unbeirrbare Wiederholung und nach dem Prinzip „Wer am lautesten schreit“ die Rote Flora für die aus dem Ruder gelaufenen Ausschreitungen verantwortlich zu machen. Dabei ist der Vorwurf, dass die Rote Flora irgend etwas mit den Randalierer*innen zu tun hat, durch nichts belegt.
Einen Sündenbock zu suchen, dem man die Schuld zuschieben kann, ist ein Phänomen, das die Entwicklungsgeschichte der Menschheit seit jeher begleitet. Interessant ist, dass es dabei nie um den wirklich Schuldigen geht. „Man verortet die Schuld in einem anderen, um sie dort aufs Schärfste zu bekämpfen“, erklärt die Psychoanalytikerin Diana Pflichthofer. Die Schärfe, mit der dann vorgegangen werde, sei häufig ein Ausdruck davon, wie stark man die eigene – aber eben abgewehrte und damit nicht bewusste Schuld – einschätze.
Übertragen auf das Hamburger Szenario heißt das, der angekündigte harte Kurs der SPD gegen Deutschlands am längsten besetztes Kulturzentrum gleicht einem Schuldeingeständnis. Aber einem unbewussten: Scholz und Grote könnten demnach ihre eigene Schuld ahnen, sie aber abwehren und in der Roten Flora verorten. Das ist praktisch. Da können sie sie bekämpfen. Sie ist für Hamburgs Politik greifbar. Deshalb soll deren Kopf rollen, damit Olaf Scholz seinen behalten kann.
Das Verhalten der SPD ist billig und durchschaubar, aber es erfüllt seinen Zweck für die Psychohygiene. Die Saubermänner von der SPD wollen aufräumen. Ein großes Aufräumbedürfnis verweist häufig auf ein großes inneres Chaos.
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