Vegane Lebensweise: Lieber 90 Prozent als 0 Prozent

Vegan leben wollen, aber Ausnahmen machen? Unsere Kolumnistin sieht das locker. Besser, als es aus falschem Perfektionismus gar nicht zu versuchen.

Ein Leberknödel in einer Suppe

Besser vegan essen mit Ausnahmen als es gar nicht versuchen: Omas Leberknödelsuppe als Ausrutscher Foto: Bernd Jürgens/imago

Sie fände „vegane Ernährung klasse“ und könne sich „das auch gut vorstellen“, aber: „Ich kann einfach nicht auf die Leberknödel meiner Oma verzichten“, sagte kürzlich eine Freundin zu mir. Vor zehn Jahren hätte ich ihr wahrscheinlich eine lange Rede gehalten über das Tierleid, das die Produktion dieser Knödel verursacht. Heute reagiere ich anders.

Natürlich erzähle ich ihr von pflanzlichen Alternativen, die sie ihrer Oma bei Gelegenheit mitbringen kann. Aber ich weiß auch, dass das monatliche Essen ein wichtiges Ereignis für die beiden ist, und die Wahrscheinlichkeit, dass die Oma mit 95 Jahren ihre Lieblingsmahlzeit ersetzt, eher gering. Und dass meine Freundin, sollte sie sich von mir deswegen verurteilt fühlen, sicher keine Veränderungen in ihrer Lebensweise vornehmen wird. Deshalb meine Antwort: „Das ist doch super, dann iss halt einmal im Monat die Knödel mit deiner Oma und ernähre dich ansonsten pflanzlich. Versuch’s einfach AVAP (As Vegan As Possible).“

Denn nach meiner Erfahrung bekommt man mit einer Alles-oder-nichts-Haltung meistens: nichts. Ich bin nicht Puristin, sondern Pragmatikerin. Sollte meine Freundin wirklich 29 Tage im Monat vegan leben, dann reduziert sie viel Tierleid. Und das ist großartig.

Donald Watson, der Gründer der Vegan Society, definierte Veganismus folgendermaßen: „Eine Philosophie und eine Lebensweise, die versucht – so weit wie möglich und praktisch durchführbar –, alle Formen der Ausbeutung und Grausamkeiten an Tieren zu vermeiden.“ Was aber für den einen möglich und praktisch ist, ist es nicht unbedingt zu jeder Zeit und in jeder Situation für jede andere ebenso. So wie für eine andere Freundin von mir. Die ist als Kriegs- und Krisenreporterin oft in Gegenden unterwegs, in denen sie sich, wenn überhaupt, nur vegetarisch ernähren kann – und wo sie auf Gastgeber trifft, die es als Beleidigung empfinden würden, wenn sie eine Fleischmahlzeit ablehnt.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Wer sich zu 90 Prozent pflanzlich ernährt, trägt viel mehr zu Tier- und Umweltschutz bei als jemand, der aus Angst vor Versagen an die Ansprüche eines puristischen Veganismus erst gar nicht damit anfängt. Und die Art, in der wir das Thema kommunizieren, sowie die Haltung, die wir gegenüber anderen haben, sind maßgeblich für den Erfolg. Besonders dann, wenn es um Menschen geht, die sich gerade erst einem pflanzlichen Lebensstil annähern wollen.

Wer weiß, in Zukunft kommt meine Freundin vielleicht zu dem Schluss, dass sie mit ihrer Oma etwas Neues kochen könnte. Vielleicht gibt es irgendwann auch leckere, gesunde und erschwingliche Leberknödel aus dem Labor, bis ins kleinste Molekül identisch mit denen, die aus Tier bestehen, für die aber kein Tier hat leiden müssen. Und, auch da bin ich Pragmatikerin – in die beiße ich dann sicher auch.

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