Vegane Ernährung und Fermentation: Käse ohne Kuh
Kimchi, Kombucha und auch Käse: Beschert uns die Fermentation wirklich eine neue Welt veganer Ersatzprodukte? Und wie klimafreundlich ist das Ganze?
Inhaltsverzeichnis
- Warum werden fermentierte Lebensmittel wie Kimchi und Kombucha so gehypt?
- Warum haben Food-Start-ups die Fermentation für sich entdeckt?
- Was ist der Unterschied zwischen Biomasse- und Präzisionsfermentation?
- Wird Fleisch aus dem Labor auch mit Fermentation erzeugt?
- Würden Verbraucher Milch und Fleisch aus dem Labor essen?
- Können diese Produkte die Originale irgendwann ersetzen?
Warum werden fermentierte Lebensmittel wie Kimchi und Kombucha so gehypt?
Die rund 9.000 Jahre alte Konservierungsmethode der Fermentation erhielt vor allem durch die Erforschung des Darmmikrobioms Aufwind – Digestive Health ist seither ein vielbeachtetes Gesundheitsthema. Denn Kimchi, Sauerkraut, Joghurt, Kefir oder Kombucha gelten als gesund und bekömmlich. Joghurt wird darum zum Beispiel besser vertragen als Milch, weil Laktose abgebaut wird. Durch die Gärung steigt auch die Bioverfügbarkeit bestimmter Nährstoffe, wie etwa B-Vitamine, Zink oder Kalium, Vitamin K wird sogar erst gebildet. Es entstehen gesunde Peptide, kurzkettige Fettsäuren, außerdem gelangen Milchsäurebakterien in den Darm und verbessern dort das Milieu. Langfristig könnten sich fermentierte Speisen darum positiv auf das Risiko für Diabetes, Herz-Kreislauf-Leiden, Allergien oder entzündliche Darmerkrankungen auswirken.
Zudem wird das Aroma von Lebensmitteln durch das mikrobielle Treiben verändert. Man kann eher langweiliges Gemüse in frische, säuerliche und komplexe Aromabomben verwandeln. Und in der Gärküche vereinen sich mehrere angesagte Themen wie Nachhaltigkeit, Regionalität, Saisonalität sowie Do-it-yourself.
Warum haben Food-Start-ups die Fermentation für sich entdeckt?
Fermentation kann bestehende vegane Ersatzprodukte geschmacklich verbessern und bedeutet weniger Verarbeitung. Bei der Schweizer Firma Planted, die Fleischersatzprodukte wie Braten, Steaks und Hähnchengeschnetzeltes aus Sonnenblumen, Soja und Erbsen herstellt, kommt die Methode deswegen auch zum Einsatz: „Fermentation ermöglicht uns die Herstellung von größeren, komplexeren, saftigeren und zarteren Stücken sowie das Hinzufügen von wichtigen Mikronährstoffen wie Vitamin B12“, liest man auf der Homepage. Gleichsam kann auf Zusatzstoffe wie Geschmacksverstärker oder künstliche Aromen verzichtet werden, die derzeit in der Ernährungsszene kritisch beäugt werden.
Mithilfe der so genannten Biomassefermentation entstehen sogar ganz neue und teils sehr gesunde Produkte. Hier wachsen in Kesseln, wie man sie aus Brauereien kennt, Pilze oder Mikroalgen. Mikrobenprotein weist eine hohe Aminosäurequalität auf, in Pilzzellen stecken zudem Ballaststoffe und in Mikroalgen gesunde Fettsäuren.
Beim Unternehmen Kynda kommen zum Beispiel Schlauchpilze zum Einsatz, die auf landwirtschaftlichen Reststoffen wachsen. Das Berliner Start-up Formo nutzt einzellige Pilzvarianten der Gattung Aspergillus, um Käsealternativen herzustellen. Diese als Koji bekannte Pilzkultur etwa ist für den würzigen Geschmack in Sojasaucen bekannt.
Was ist der Unterschied zwischen Biomasse- und Präzisionsfermentation?
Bei der Biomassefermentation werden die Mikrobenzellen geerntet und mit verzehrt. Hier kommen zudem Mikroben zum Einsatz, die in der Natur vorkommen. Bei der Präzisionsfermentation hingegen werden die Einzeller gentechnisch verändert, sodass sie etwa baugleiche Proteine wie in Milch oder Fleisch bilden. Dabei werden die Mikroorganismen selber aber nicht mitgegessen, sondern abgetrennt. Bei Formo wurde im Labor bereits erfolgreich Casein, das wichtigste Milchprotein, hergestellt. Entsprechende Produkte sind aber noch nicht auf dem deutschen Markt. Denn die europäische Lebensmittelbehörde EFSA müsste diese Produkte erst zulassen, weil sie unter die Novel-Food- und die Gentechnik-Verordnung fallen. Ein Antrag für die Casein-Herstellung liegt aber schon bei der EFSA.
Wird Fleisch aus dem Labor auch mit Fermentation erzeugt?
Nein, hier geht es um Wachstumsprozesse in Nährmedien, die aus der Muskelstammzelle, etwa von einem Rind, heraus ablaufen. Geht es nach den Ideen der In-vitro-Fleisch-Branche, würden in Zukunft nur noch einige wenige Hühner, Schweine und Rinder in einem Gemeinschaftsgarten gehalten. Sie würden nicht mehr geschlachtet, sondern wären lediglich Spender von Stammzellen. Aus diesen Zellen würde in großen Biotanks nahezu „echtes“ Fleisch entstehen.
Unter dem Begriff cellular agriculture werden fermentative sowie In-vitro-Produktionsmethoden zusammengefasst. Bei beiden Methoden würde nicht nur Tierleid erheblich verringert, auch das Klima könnte profitieren. Derzeit ist allerdings noch unklar, in welchem Maß, da für die Produktion, vor allem für die Herstellung der Nährmedien, teils viel Energie benötigt wird. Die Produktionsanlagen könnten also nur durch grünen Strom wirklich nachhaltiger sein. Für Wind- und Solaranlagen bräuchte man auch Seltene Erden in größeren Mengen. Wie eine Szenarienstudie unter Leitung von Hanna Tuomisto von der Universität Helsinki kürzlich zeigte, wäre vor allem Tellurium ein limitierender Faktor. Sicher ist aber, dass durch Fleisch und Käse aus dem Labor weniger Flächen sowie Pestizide und Dünger benötigt würden.
Würden Verbraucher Milch und Fleisch aus dem Labor essen?
Die Verbraucherakzeptanz ist bei Hightech-Food eher gering. Fleisch aus dem Labor wird zum Beispiel als eklig und höchst unnatürlich angesehen. Der Grund: Die Abscheu vor unbekanntem Essen, die Neophobie, schützte den Homo sapiens einst vor Vergiftung, da vor allem schleimige Konsistenzen auf krankmachende Keime hindeuten. Die Ekelempfindung selbst ist zwar angeboren, was genau wir dann aber ablehnen, hat viel mit Kultur und Erziehung zu tun.
Im Erwachsenenalter sind diese Prägungen schwierig zu ändern. Unmöglich ist es aber nicht. Die Aufklärung über die potenziellen Vorteile der neuen Produkte, wie Tierwohl oder Klimaschutz, erhöht zum Beispiel die Verbraucherakzeptanz, wie Sarah Kühl, Wissenschaftlerin für Agrarmarketing an der Universität Göttingen, kürzlich für Käse aus dem Labor belegte.
Letztlich können auch positive Geschmackserfahrungen den Ekel überwinden. Auch gibt es Verbrauchertypen, die leichter zu überzeugen wären. So sind Männer und junge Menschen allgemein toleranter gegenüber unbekannten Speisen aus dem Labor als Frauen und alte Menschen. Kommt Gentechnik zum Einsatz, sinkt die Verbraucherakzeptanz laut der Göttinger Studie jedoch nur gering. Nicht unerheblich ist auch der Preis. Die Imitate dürften nur wenig teurer sein als die Originale. Das könnte vor allem im Fall von Laborfleisch schwer werden. Zudem sind laut einer aktuellen finnischen Studie Verbraucher eher bereit, Laborfleisch zu essen, wenn es im Inland produziert wurde.
Können diese Produkte die Originale irgendwann ersetzen?
Das hängt von sehr vielen Faktoren ab. Wie bereits beschrieben, erst einmal vom Geschmack und der damit verbundenen Nachfrage. Bei den neuartigen alternativen Proteinen aus dem Fermenter, aber auch bei kultiviertem Fleisch, ist außerdem noch unklar, ob das Upscaling funktioniert, also ob diese Produkte in großem Stil hergestellt werden können. Dafür fehlt teilweise das Geld, aber auch technisch ist noch nicht alles geklärt. In-vitro-Fleisch kann zum Beispiel noch nicht gut in dreidimensionalen Strukturen erstellt werden. Darum gibt es Versuche mit dem 3-D-Druck. Fleisch besteht zudem neben Muskelzellen aus Fett und Bindegewebe, an einer entsprechenden Co-Kultur wird noch geforscht. Erst wenn das Upscaling gelingt, kann auch gezeigt werden, ob die Branche wirklich umweltfreundlicher arbeitet.
Zudem sind hier in Europa gesetzgeberische Hürden zu nennen. Derzeit sind entsprechende Novel-Food-Produkte in den USA und Asien auf dem Markt, während europäische Länder wie Italien oder Österreich den Import dieser Fleischerzeugnisse sogar verboten haben, um ihre heimische Fleisch- und Käseindustrie zu schützen. Derweil wird in einer niederländisch-deutschen Machbarkeitsstudie namens Respectfarms getestet, wie man kultiviertes Fleisch auf bestehenden Höfen produzieren kann, damit Landwirte von der möglichen Transformation profitieren können.
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