VW-Chef Matthias Müller in der Kritik: Die einsame Spitze
Der VW-Chef sieht die Fehler im Diesel-Skandal nicht beim Konzern, sondern bei den KäuferInnen. Der Rest der Welt kann das weniger nachvollziehen.
Um den Vorstandsvorsitzenden der Volkswagen AG, Matthias Müller, wird es einsam. In Niedersachsens Landtag in Hannover kritisierten am Dienstag VertreterInnen aller vier Fraktionen den Chef des Autobauers aus Wolfsburg heftig: „Überhaupt kein Verständnis“ habe sie für Müllers Beschimpfung von VW-KundInnen in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, ärgerte sich die SPD-Fraktionsvorsitzende Johanne Modder. „Eine Frechheit“ habe sich der 63-Jährige am Wochenende geleistet, empörte sich die grüne Fraktionschefin Anja Piel.
Grund für die Wut ist ein längliches Interview, dass Müller dem Frankfurter Blatt gegeben hat. Schuld an der tiefen Krise, in der Deutschlands größter Autobauer nach mehr als einem Jahr Diesel-Skandal steckt, sei nicht etwa das Management, das auf Betrugssoftware gesetzt hat, sondern die Auto-KäuferInnen, argumentiert der Diplom-Informatiker darin.
Von einer „schlimmen Entgleisung“ sprach auch der Vormann der Christdemokraten, Björn Thümler. Und Niedersachsens Ex-Wirtschaftsminister Jörg Bode (FDP), der wegen des 20-Prozent-Anteils, den das Land an Volkswagen hält, selbst einmal VW-Aufsichtsrat war, befand schlicht: „Kundenbeschimpfung war noch nie eine gute Idee“ – und eigentlich ein Anlass, nicht „Mitarbeiter, sondern den Vorstand zu feuern“.
Europas lasche Regeln
Wer sich in Europa einen Diesel von VW, Audi & Co. gekauft habe, erklärte Müller in dem Interview weiter, der solle nicht meckern, dass Volkswagen Entschädigungen von mehreren tausend Dollar nur in den USA zahlen will. „Man kann das nicht über einen Kamm scheren“, sagt der Top-Manager ernsthaft – schließlich verletzten die manipulierten Diesel nur die strengen US-Abgasgrenzwerte, die laschen europäischen aber nicht.
Auch will Müller, dessen Vater bereits in der DDR leitender Mitarbeiter eines einstigen Werks des Audi-Vorgängers Auto-Union war, angeblich nicht verstehen, warum KundInnen seiner Firma nicht plötzlich die wenigen angebotenen Elektromobile aus den Händen reißen: „Am Angebot mangelt es nicht, sondern an der Nachfrage: Auf der einen Seite denken und handeln viele Deutsche im Alltag grün, wenn es aber um E-Mobilität geht, haben wir als Verbraucher spitze Finger“, jammerte er.
Matthias Müller, VW-Chef
Der Vorstandsvorsitzende, dessen Familie 1956 in bayerische Ingolstadt übersiedelte, zeigt damit, dass er nicht mehr weiß, wie teuer ein „Volkswagen“ sein darf: Das billigste Elektroauto aus Wolfsburg, der Kleinwagen „e-up!“, kostet satte 26.000 Euro, kommt aber unter „praxisnahen Bedingungen“ gerade einmal 120 Kilometer weit. Zum Vergleich: Mit Benzinmotor gibt es den Wagen ab 9.975 Euro.
Schlankheitskur durch Jobabbau
Als Konsequenz aus „Diesel-Gate“ und nicht konkurrenzfähigert Elektromobilität muss der Konzern allein in Deutschland 23.000 Stellen abbauen, 17.500 davon in Niedersachsen. Gerade die Kernmarke VW habe eben „Fett angesetzt“, sagte Müller dazu – und unterstrich damit, dass er zumindest mit einer Selbsteinschätzung richtig gelegen haben könnte: „Ich bin zu alt für den Job“, hatte er einst immer wieder betont, wenn er als Vorsitzender des Gesamtvorstands ins Spiel gebracht wurde.
Müller, der seine Karriere einst mit einer Lehre bei Audi begonnen hatte, steuerte bis 2010 das Produktmanagement sämtlicher Konzernmarken und amtierte bis 2015 als Porsche-Chef. Im September 2015 landete er dann doch auf dem Spitzenposten, nachdem sein Vorgänger und Förderer, Martin Winterkorn, wegen des Diesel-Betrugs gehen musste.
Zu Müller dagegen scheinen die Hauptaktionäre, also die Familien Porsche und Piech und das Land Niedersachsen halten zu wollen – noch. SPD-Landesregierungschef Stephan Weil jedenfalls erwähnte den asketisch wirkenden Mann in seiner Regierungserklärung zum Thema VW am Dienstag mit keinem Wort und überließ die Kritik anderen. Für den Autobauer selbst gelobte VW-Markenchef Herbert Diess Besserung. „Zugänglicher und sympathischer“ wolle VW werden: „Arroganz gehört der Vergangenheit an.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind