piwik no script img

VS Berlin überwacht CoronaleugnerWeg mit den Samthandschuhen

Erik Peter
Kommentar von Erik Peter

Die Überwachung der Corona-Verschwörer ist richtig. Sie kann helfen, die demokratiefeindliche Bewegung nicht weiter zu unterschätzen.

An einen demokratischen Machtwechsel wird nicht mehr gedacht Foto: dpa

Z iemlich genau ein Jahr nach Beginn der Proteste der Co­ro­nal­eug­ne­r*in­nen hat der Berliner Verfassungsschutz Teile der Bewegung als Verdachtsfall eingestuft. Laut Innensenator Andreas Geisel (SPD) gehe es den nicht näher benannten Gruppierungen nicht um Kritik an den staatlichen Coronamaßnahmen, sondern um die Destabilisierung der demokratischen Verfasstheit des Staates. Lässt man Kritik an der langen Leitung der Ver­fas­sungs­schüt­ze­r*in­nen beiseite und ebenso die grundsätzlichen Bedenken gegen Legitimität und Wirksamkeit der Behörde, muss man konstatieren: Die Entscheidung ist unzweifelhaft richtig.

Von Beginn an sehen sich große Teile der Bewegung, die aus Verschwörungstheoretiker*in­nen, Eso­te­ri­ke­r*in­nen und Impf­geg­ne­r*in­nen ebenso besteht wie aus radikalen Rechten und fundamentalen Christ*innen, im Widerstand gegen das System. Sie unterstellen einen autoritären Umsturz von oben, für den Corona als Vorwand gebraucht wird – und setzen dagegen ihre als revolutionär verstandene Bewegung. Der Verachtung des Staates, seiner Institutionen und handelnden Po­li­ti­ke­r*in­nen sind dabei keine Grenzen gesetzt.

Noch am Dienstag heizte Protestpionier Anselm Lenz von der Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand in einem Rundschreiben die Proteste gegen die Beratungen des Bundeskabinetts über eine Coronanotbremse an: „Wir wollen die Inhaftierung der Regierung Merkel und vollständige die Machtübernahme durch die Demokratiebewegung!“

Von einem demokratischen Machtwechsel träumen die Fanatisierten schon lange nicht mehr. Die Folge dieses Glaubens und dieser Rhetorik sieht man seit Monaten auf den Straßen. Polizeiketten werden überrannt, Jour­na­lis­t*in­nen angegriffen, Impfzentren und Forschungseinrichtungen werden zu Angriffs­zielen.

Nazis neue Freunde

Rechtsextremisten erreichen in und mit der Bewegung ganz neue Zielgruppen, Reichsbürger finden für ihre Wahnvorstellungen von einem nichtsouveränen Staat ein neues Massenpublikum. Die Verbindung der extremen Rechten und der naiven Verschwörungsgläubigen ist toxisch. Der Verfassungsschutz liegt dennoch richtig, wenn er die Bewegung nicht einfach dem Bereich Rechtsextremismus zuschlägt, sondern als neue, eigene Kategorie führt – zu unterschiedlich sind die Akteur*innen, zu sehr ist die gemeinsame Basis gezielter Desinformationen in ihrer Dimension tatsächlich etwas Neues.

Nach Baden-Württemberg, Bayern und Hamburg hat Berlin die vierte Verfassungsschutzbehörde, die die Bewegung als Verdachtsfall einstuft. Erwarten muss man davon nichts. Statt nachrichtendienstlicher Mittel, die nun eingesetzt werden, reicht meistens der Blick in Telegram-Gruppen. Als Zeichen aber darf man die Entscheidung ernst nehmen und muss man sie verwenden. Spätestens wenn das nächste Mal die Polizei Querdenken-Aufmärsche nicht nur unterschätzt, sondern wieder mit Samthandschuhen anfasst.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Erik Peter
Politik | Berlin
Redakteur für parlamentarische und außerparlamentarische Politik in Berlin, für Krawall und Remmidemmi. Schreibt über soziale Bewegungen, Innenpolitik, Stadtentwicklung und alles, was sonst polarisiert. War zu hören im Podcast "Lokalrunde".
Mehr zum Thema

0 Kommentare