V-Mann „Corelli“ und der NSU: Die lange Leitung des Amtes
Laut Verfassungsschutz wurde das aufgetauchte Handy von „Corelli“ erst nach 2012 genutzt. Eine taz-Recherche zeigt: Das ist falsch.
Fast zwanzig Jahre lang war „Corelli“, mit bürgerlichem Namen Thomas Richter, ein bundesweit vernetzter Neonazi und Top-Quelle des Bundesverfassungsschutzes. Bis heute ist unklar, wie nah er dem NSU stand. Richter selbst kann diese Frage nicht mehr aufklären: Er starb 2014 überraschend an einer unerkanntem Diabetes.
Im Juli vergangenen Jahres allerdings fand sich im Verfassungsschutz plötzlich ein Samsung-Handy Richters – bei der fünften Sichtung des Schranks seines früheren V-Mann-Führers. Bekannt wurde dies erst im Juni dieses Jahres. Kurz zuvor hatte der V-Mann-Führer auch die dazugehörige SIM-Karte nachgeliefert.
Der Verfassungsschutz wiegelte ab: Das Handy sei von Richter rein privat und nur von Mai bis September 2012 genutzt worden – nach Auffliegen des NSU-Trios. „Weder das Smartphone noch die dazugehörige SIM-Karte liefern Hinweise auf eine etwaige Beziehung Corellis zum NSU-Trio“, schrieb das Amt in einem vertraulichen Bericht an den NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags. Schon der Nutzungszeitraum sei „nicht geeignet, die Aufklärung der NSU-Morde zu befördern“.
Seit 1995 nutzte „Corelli“ die Nummer
Nun allerdings wird durch taz-Recherchen bekannt: Das ist so nicht zutreffend. Denn die Nummer der fraglichen SIM-Karte wurde wesentlich länger von Richter genutzt, als es der Verfassungsschutz bisher einräumt.
Noch vor seinem Tod wurde Richter vom BKA zu möglichen NSU-Kontakten befragt, im Juni 2012. Richter stritt ab, das Trio oder seine Taten gekannt zu haben. Die Ermittler hakten nicht viel weiter nach. Interessant aber: Als seinen Telefonkontakt nannte Richter eine Mobilnummer: 0171/2660517. Es ist genau die Nummer, die laut Verfassungsschutz zur zuletzt aufgefundenen SIM-Karte gehört. Mehr noch: Richter gab bei der Befragung auch an, diese Nummer seit Ende seiner Bundeswehrzeit zu besitzen, seit 1995. „Die hat sich seither nicht mehr geändert“, sagte er den Ermittlern.
Tatsächlich taucht die Mobilnummer über Jahre in Verfassungsschutzakten auf – weit vor 2012. Als 2001 ein Rechtsrockhändler in Ostfriesland durchsucht wird, steht sie in dessen Telefonverzeichnis. Der Vorgang wurde aufmerksam vom Niedersächsischen Verfassungsschutz protokolliert. 2007 taucht die Nummer bei einer BKA-Abhörmaßnahme gegen den Thüringer NPD-Kader Thorsten Heise auf. 2010 wiederum steht sie auf einer SMS-Verteilerliste der rechtsextremen „Aktionsgruppe Halle-Merseburg“ – auch dies eine Verfassungsschutz-Erkenntnis.
„Oberste Priorität“ für Aufklärung
Davon allerdings berichtete der Geheimdienst dem Parlament nichts – und legte mit dem Hinweis, die Nutzung sei angeblich erst 2012 erfolgt, stattdessen eine ganz andere Fährte. Kein NSU-Bezug? Auch das ist so klar offenbar nicht, wenn Richter seine Nummer mehr als 15 Jahre nutzte – über die gesamte Untergrundzeit des NSU hinweg. Zumindest sein Kontaktmann Thorsten Heise bewegte sich im NSU-Umfeld: Er hielt Briefkontakt zum heute in München als NSU-Helfer angeklagten Holger G. Von diesem soll er 1999 auch angesprochen worden sein, ob er helfen könne, das untergetauchte Trio „außer Landes zu bringen“.
Und: Richter selbst stand 1998 auf einer Kontaktliste des späteren NSU-Mitglieds Uwe Mundlos, traf diesen persönlich drei Jahre zuvor. Zudem übergab Richter bereits 2005 – Jahre vor dem Auffliegen des Trios – dem Verfassungsschutz eine CD mit dem Titel „NSU/NSDAP“.
Der Fall „Corelli“ wird damit einmal mehr zum Problem für Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen. Bereits zuletzt forderte die Opposition wegen der Personalie seinen Rücktritt, auch die SPD ging auf Abstand. Der Unmut dürfte nun nicht geringer werden.
Der Verfassungsschutz wollte sich zu dem Vorgang am Dienstag nicht äußern. Die Aufklärung der Vorgänge um Corelli habe „oberste Priorität“, sagte ein Sprecher. Vorerst aber warte man die Ergebnisse zweier Experten ab, die zuletzt zu Corelli eingesetzt wurden – einer durch den Bundestag, einer durch das Innenministerium. Diese haben nun noch ein paar offene Fragen mehr zu klären.
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