Urteile zu Anschlägen von Madrid: "Es wird weitere Freisprüche geben"
Osman al-Sayed war als Anstifter der Attentate vom 11. März 2004 angeklagt - und wurde freigesprochen. Es habe keine Beweise gegeben, sagt sein Verteidiger Endika Zulueta.
taz: Herr Zulueta, was sagt es, dass Ihr Mandant Rabei Osman al-Sayed und sechs weitere Angeklagte freigesprochen wurden, über die Ermittlungen?
Endika Zulueta: Wir, die Strafverteidiger, haben von Anfang an Beschwerden eingereicht. Die Untersuchung dauerte viel zu lange, wir hatten nur schwer Zugang zu Übersetzern und wir waren von vielen Beweisaufnahmen ausgeschlossen. In der Hauptverhandlung wurde das besser. Die Richter respektierten die Rechte der Angeklagten und ihrer Verteidiger.
Wie kann jemand, gegen den 38.000 Jahre Haft gefordert wurden, freigesprochen werden?
ENDIKA ZULUETA, 43, ist Anwalt des freigesprochenen Rabei Osman al-Sayed. Er verteidigt immer wieder Hausbesetzer, Globalisierungsgegner und auch Jugendliche aus dem Umfeld der baskischen ETA.
Die Ermittlungsrichter, die Polizei und die Staatsanwaltschaft brachten nicht die nötigen Beweise zusammen, um diese Anklage aufrechtzuerhalten. Sie redeten die ganze Zeit über die Persönlichkeit von Rabei Osman al-Sayed. Er habe die Persönlichkeitsstruktur eines Terroristen und eines fanatischen und gefährlichen Gläubigen, ohne ihn nur im Geringsten mit der Tat in Verbindung zu bringen. Aber im spanischen und im europäischen Recht wird man wegen begangenen Taten verurteilt und nicht wegen der Persönlichkeitsstruktur.
Fast alle sind Pflichtverteidiger. Das ist sehr ungewöhnlich in einer Untersuchung und einem Verfahren, die fast vier Jahre dauerten.
Es fehlte an allen Ecken und Enden. Die Arbeit wurde kaum bezahlt. Es mangelte am Nötigsten. So hatten wir erst ab vergangenen November, drei Monate vor dem Beginn der Hauptverhandlung, überhaupt Dolmetscher. Viele der Angeklagten, darunter mein Mandant, sind Araber und können überhaupt kein Spanisch oder nur mangelhaft.
Was bedeutet dieses Urteil für künftige Verfahren?
Die Ermittler werden mehr Beweise erbringen müssen, wenn jemand verurteilt werden soll. Vor Gericht geht es um Tatsachen und nicht um die Persönlichkeit. Das war in der Diktatur hier in Spanien so. Damals konnte jemand wegen einer abnormen, unbequemen Persönlichkeit eingesperrt werden. Heute reicht es zum Glück nicht mehr aus.
Wird das Urteil der Debatte um die Verantwortlichen neuen Aufschwung geben?
Ich bin Strafverteidiger. Ich beschränke mich darauf, meine Mandanten zu verteidigen. Für meine Kollegen geht das Verfahren jetzt in die Berufung vor dem Obersten Gerichtshof. Dort wird es, da bin ich mir sicher, zu weiteren Freisprüchen kommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!