Kommentar von Christian Rath zum EuGH-Urteil gegen die Vorratsdatenspeicherung
: Einfrieren statt speichern

Stellen Sie sich vor, dass die Post auf staatliche Anweisung speichert, wem Sie Briefe schreiben und von wem Sie Briefe erhalten. Oder falls Sie jünger sind und keine Briefe mehr schreiben: Stellen Sie sich vor, dass die Internetfirmen auf staatliche Anordnung speichern, welche Streamingdienste Sie abonniert haben, wann Sie einschalten und wann Sie sich wieder ausloggen.

Vielleicht denken Sie: Ich habe zwar nichts zu verbergen, aber deshalb muss ich noch lange nicht mein Privatleben erfassen lassen. Doch genau das ist seit 2015 eigentlich Pflicht für die Telekom-Verbindungsdaten. Die gesetzliche Ansage war: Telefonfirmen müssen speichern, wen Sie wann, wie lange angerufen haben. Und Internetfirmen müssen festhalten, wann Sie im Netz mit welcher IP-Adresse unterwegs waren. Betroffen wäre die gesamte Bevölkerung – rund um die Uhr. Das nennt sich Vorratsdatenspeicherung: die Erfassung der Daten aller Bür­ge­r:in­nen für den Fall, dass die Polizei doch mal einzelne Daten brauchen kann.

Das Gesetz war so offensichtlich unverhältnismäßig, dass es schon vor der ersten Anwendung von deutschen Gerichten ausgesetzt wurde. Nun hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) – völlig absehbar – entschieden, dass das deutsche Gesetz gegen EU-Recht verstößt.

Damit könnte die Debatte über die Vorrratsdatenspeicherung eigentlich enden. Das Gegenteil ist richtig. Sie wird nun neu beginnen. Denn der EuGH hat die Vorratsspeicherung nicht generell verboten. Er hat vielmehr zahlreiche begrenzte Formen der Vorratsdatenspeicherung zugelassen.

Strenger ist da der Koalitionsvertrag der Ampel­regierung. Während der EuGH die anlasslose Speicherung der IP-Adressen zulässt, schließt dies der Koalitionsvertrag aus. Darauf kann sich Justizminister Marco Buschmann (FDP) berufen. Deshalb hat Innenministerin Nancy Faeser (SPD) nun zwei Möglichkeiten: Entweder sie streitet mit Buschmann bis zum Ende der Wahlperiode über die Auslegung von EuGH-Urteil und Koalitionsvertrag und nichts passiert. Oder sie akzeptiert das Angebot von Buschmann, der bereit ist, eine Quick-Freeze-Regelung einzuführen, die die Polizei auch bei Ermittlungen zum Beispiel gegen Missbrauchsdarstellungen von Kindern nutzen kann. Bei Quick Freeze würden Daten nicht auf Vorrat gespeichert, sondern eingefroren, damit sie nicht vorschnell gelöscht werden.

Die Innenministerin kann nun entscheiden, ob sie sofort mit Buschmann reale Verbesserungen für die Polizei einführt. Oder ob sie lieber auf die nächste Koalition mit der CDU wartet, um eine anlasslose Speicherung aller IP-Adressen zu beschließen.