Urteil zur Verdachtsberichterstattung: Mafia wohl wieder teurer
Der BGH urteilt: TV-Sender müssen grundsätzlich Anwaltskosten erstatten, wenn ein rechtswidriger Bericht in Online-Netzwerken verbreitet wird.
Wenn Fernsehsender die Persönlichkeitsrechte von Betroffenen verletzen, müssen sie auch für Abmahnkosten gegen Dritte aufkommen, die den rechtswidrigen Bericht im Internet weiterverbreitet haben. Das entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in einem jetzt veröffentlichten Urteil aus dem April.
Im konkreten Fall ging es um die MDR-Sendung „Provinz der Bosse – Mafia in Mitteldeutschland“, die Ende 2015 ausgestrahlt wurde. MDR-Journalisten stellten dort unter anderem dar, dass Erfurt eine wichtige Rolle in den Geldgeschäften der kalabrischen ´Ndrangheta spiele. Erwähnt wurde dabei auch ein Erfurter Gastronom, der zwar nicht namentlich genannt wurde, aber für bestimmte Kreise erkennbar war.
Der Gastwirt erreichte zunächst ein Unterlassungsurteil gegen den MDR. Eine Verdachtsberichterstattung sei nicht zulässig gewesen, weil sich die Journalisten nur auf einen bereits jahrealten BKA-Bericht gestützt hätten und keine neueren Indizien gegen den Mann vorlägen. Auf dieser Grundlage dürfe der Mann auch nicht verdachtweise in Verbindung mit der Mafia gebracht werden.
Zusätzlich verlangte der Gastronom als Schadensersatz noch die Anwaltskosten für die Abmahnung von Dritten, die die MDR-Dokumentation über soziale Netzwerke weiterverbreitet hatten. Der MDR wollte hierfür aber nicht zahlen, schließlich habe er mit diesen Personen ja nichts zu tun. Er sei hier sogar selbst Opfer, weil die unautorisierte Weiterverbreitung das Urheberrecht der MDR-Journalisten verletze.
„Einschnürungseffekt“
Beim Oberlandesgericht (OLG) Jena hatte der MDR zunächst Erfolg. Eine Haftung für Abmahnkosten gegen Dritte sei „nicht angemessen“, so das OLG, da sie zu einer Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit führen könnte.
Der BGH hob dieses medienfreundliche Urteil nun aber auf. Auch die unerlaubt bei sozialen Netzwerken hochgeladenen Versionen des MDR-Berichts seien dem MDR zuzurechnen. Die „Vervielfältigung“ eines Fernsehbeitrags in sozialen Netzwerken sei eine „internettypische“ Gefahr, heißt es im Urteil des sechsten BGH-Zivilsenats.
Der BGH erkennt zwar, dass es zu einem „Einschnürungseffekt“ führen kann, wenn das Äußern kritischer Meinungen mit einem finanziellen Risiko belastet wird. Ein „existenzbedrohender Einschüchterungseffekt“ sei hier aber nicht zu befürchten. Tatsächlich ging es nur um zwei Abmahnungen, für die der Gastwirt knapp 4000 Euro Anwaltskosten verlangte.
Der BGH betonte, dass er schon seit 2013 die haftungsrechtliche Zurechnung der Weiterverbreitung von TV-Beiträgen durch Dritte vertrete. Dies habe – entgegen der Befürchtungen von Kritikern – keine dramatischen Folgen für die Pressefreiheit ausgelöst.
Und wieder zurück nach Jena
Gegen das Urteil kann der MDR keine Rechtsmittel mehr einlegen, weil der BGH hier die letzte Fach-Instanz ist. Auch eine Verfassungsbeschwerde ist noch nicht möglich, denn der BGH hat die Sache wieder an das OLG Jena zurückverwiesen. Dort muss noch entschieden werden, ob es für den Erfurter Gastronom „erforderlich“ war, mit einem eigenen Anwalt gegen die Weiterverbreitung der MDR-Dokumentation vorzugehen.
Eigentlich kann ein Betroffener in einer derartigen Situation frei wählen, so der BGH, ob er selbst Anwälte mit der Abmahnung der Uploader beauftragt oder ob er das Medium auffordert, sich um die Abmahnung zu kümmern. Wenn aber das Medium eindeutig bessere Möglichkeiten habe, gegen illegale uploads vorzugehen (zum Beispiel, weil es über eine eigene Rechtsabteilung verfügt), dann könne der Betroffene gehalten sein, zunächst das Medium zum Handeln aufzufordern, argumentierten die Richter. So könnten Kosten vermieden werden, was auch den befürchteten Einschnürungseffekt für die Presse verhindere.
MDR-Justiziar Dirk Kremser hält diesen BGH-Hinweis aber für wenig überzeugend. „Wenn die Kapazitäten der MDR-Rechtsabteilung durch solche Abmahnungen gebunden werden, ist das auch eine Belastung“, so Kremser. Auch dann müsse man vor der Ausstrahlung die möglichen materiellen Folgen für den MDR mitbedenken.
(Az.: VI ZR 89/18) Disclaimer: Der Gastronom führt auch einen Rechtstreit gegen die taz, weil sie in einem Bericht über obigen Prozess seinen vollen Namen erwähnte. Das OLG Jena verurteilte die taz im April 2018 zur Unterlassung. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
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