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Urteil nach SUV-Unfall in BerlinBewährungsstrafe für Fahrer

Der Mann, der 2019 nach einem epileptischen Anfall vier Menschen überfahren hatte, muss nicht in Haft. Er war einen Monat nach einer Hirn-OP ins Auto gestiegen.

Gedenken am Unfallort, Ecke Invalidenstraße/Ackerstraße Foto: Kitty Kleist-Heinrich/TSP/imago

Berlin taz/dpa | Nach einem Unfall mit vier Toten in der Berliner Innenstadt ist der angeklagte Autofahrer zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden. Das Landgericht Berlin sprach den SUV-Fahrer am Donnerstag der fahrlässigen Tötung und Gefährdung des Straßenverkehrs schuldig. Das Gericht ging damit über den Antrag der Staatsanwaltschaft hinaus. Der heute 45 Jahre alte Mann war trotz einer Epilepsie-Erkrankung und einer Gehirnoperation einen Monat vor dem Unfall Auto gefahren.

Der schwere Wagen des Mannes war am 6. September 2019 über die Gegenfahrbahn hinweg von der Invalidenstraße abgekommen. Der SUV (SUV, Abkürzung für: Sport Utility Vehicle) überschlug sich und tötete vier Menschen auf dem Gehweg – einen Dreijährigen und seine Großmutter im Alter von 64 Jahren sowie zwei 28 und 29 Jahre alte Männer.

Das Gericht entzog dem 45-Jährigen die Fahrerlaubnis und verhängte eine zweijährige Führerscheinsperre – zudem 15.000 Euro als Auflage. „Er hätte erkennen können und müssen, dass er sich nicht hinter das Steuer setzen durfte“, so das Gericht.

Nach einem ähnlichen Fall mit einer toten Fußgängerin in Würzburg war ein Fahrer zu drei Jahren Haft und lebenslangem Fahrverbot verurteilt worden.

Der Fall hatte bundesweit für Entsetzen gesorgt – und schnell eine Diskussion um die Gefahren im Straßenverkehr ausgelöst. Anfangs stand dabei die Frage im Zentrum, ob SUV-Fahrzeuge besonders gefährlich sind. Im Prozess war jedoch die Frage nach der Fahrtauglichkeit des Angeklagten zentral, und ob ein epileptischer Krampfanfall für ihn vorhersehbar war. Vermutlich wäre es auch bei einem Kleinwagen zu einem schrecklichen Unfall gekommen, hieß es im Prozess.

Aus Sicht der Staatsanwaltschaft hätte der Unternehmer wegen einer strukturellen Epilepsie und einer Gehirnoperation nur einen Monat vor dem Unfall nicht am Steuer sitzen dürfen. Sie hatte eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten auf Bewährung beantragt. Nach Auffassung der Anwälte, die Hinterbliebene als Nebenkläger vertraten, hat der 45-Jährige bewusst gegen ärztliche Auflagen verstoßen.

Der deutsche Angeklagte hatte zu Prozessbeginn Ende vergangenen Oktober erklärt, er sei zutiefst verzweifelt über das Leid, das sein Unfall verursacht habe. Er habe im Mai 2019 erstmals einen epileptischen Anfall gehabt. Mit einer Tumor-Operation und mit einer Medikation habe er danach alles getan, um einen zweiten Anfall auszuschließen.

Auf der Straße am Unfallort wurde mittlerweile ein geschützter Fahrradstreifen angelegt. Zudem gilt dort Tempo 30. Es gibt zudem Planungen, an der Stelle einen Gedenkort einzurichten.

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4 Kommentare

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  • "Vermutlich wäre es auch bei einem Kleinwagen zu einem schrecklichen Unfall gekommen, hieß es im Prozess."



    Hieß es? Dann muss es ein bisher unbekanntes physikalisches Gesetz geben, das unterschiedlich auf "Kleinwagen" und "SUV" wirkt. Vermutlich die nobelpreisverdächtige "Querlenker-Physik", die speziell für SUV entdeckt wurde.



    Unfälle sind immer schrecklich. Je mehr Energie und Masse dabei wirken, desto schrecklicher sind sie.

  • Zwei Jahre auf Bewährung sind durchaus akzeptabel.



    Eine härtere Strafe machte auch niemanden mehr lebendig.

    Bedauerlich ist die Führerscheinsperre von nur zwei Jahren.



    Eine deutlich längere, mindestens fünf Jahre, wäre angemessen gewesen.

    • @Yvvvonnne:

      Jedes Urteil wäre unbefriedigend, aber im Sinne der Generalprävention hätte ich mir mehr Abschreckung gewünscht. Das Gericht ist zwar über die reuchlich laue Forderung der Staatsanwaltschaft hinaus gegangen, hat aber doch genau gerade dort gestoppt, wo noch eine Bewährung möglich ist. Der Entzug der Fahrerlaubnis für nur zwei Jahre ist hingegen nicht nur ein bisschen zu wenig, sondern überhaupt nicht nachvollziehbar. So lange dieser Mann nicht als vollständig geheilt gilt, darf er selbstverständlich überhaupt kein Fahrzeug mehr führen.

      • @Benedikt Bräutigam:

        Das ist auch so. Den Führerschein kann der Täter wieder erlangen, aber ohne MPU und weitere Prüfungen wird das nicht abgehen. Frühestens aber in (leider nur) zwei Jahren.