Urteil im Prozess in Ruanda erwartet: Vom Filmhelden zum Terroristen
Paul Rusesabagina droht wegen Mordes und Terrorfinanzierung lebenslange Haft. Einst inspirierte er Hollywood zum Film „Hotel Ruanda“.
Später wurde Rusesabagina ein führender Exiloppositioneller gegen Ruandas Tutsi-Präsident Paul Kagame. Rusesabagina wurde im August 2020 nach Ruanda verschleppt und verhaftet und steht seit Februar dieses Jahres zusammen mit 18 weiteren Angeklagten in Kigali vor Gericht.
Sie alle sind angeklagt der Zugehörigkeit zur Gruppe FLN (Front de libération national), bewaffneter Arm der von Rusesabagina gegründeten Oppositionskoalition MRCD (Mouvement rwandais pour le changement démocratique). Die FLN hat bei Angriffen in Ruanda in den Jahren 2018 und 2019 neun Menschen getötet.
Rusesabagina muss mit lebenslanger Haft in 13 Anklagepunkten im Zusammenhang mit „Terrorismus“ rechnen, darunter Mord und Terrorfinanzierung. Er hat vor Gericht zugegeben, die FLN und MRCD gegründet zu haben, aber seine Rolle minimiert: „Wir haben die FLN als bewaffneten Arm gegründet, nicht als Terrorgruppe“, sagte er. „Ich bestreite nicht, dass die FLN Verbrechen begangen hat, aber meine Rolle in der Bewegung war die Diplomatie.“
Zusammenarbeit zwischen Ruanda und Belgien
Die Beweismittel sprechen eine andere Sprache. In einem Video von Dezember 2019 verteidigt Rusesabagina den bewaffneten Kampf. Laut Anklage hat er auch in seiner Vernehmung zugegeben, der FLN über 20.000 Euro geschickt zu haben.
Vor Gericht wurden Whatsapp-Nachrichten vorgelegt, wonach Rusesabagina in Belgien in Echtzeit über militärische Aktivitäten der FLN informiert war und im engen Austausch mit General Wilson Irategeka stand – ein ehemaliger leitender Kommandeur der im Kongo kämpfenden ruandischen Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas). Rusesabagina, Irategeka und ein weiterer ruandischer Exilpolitiker, Callixte Nsabimana, hatten die MCRD 2017 gemeinsam aus der Taufe gehoben.
Laut der ruandischen Anklage gegen Rusesabagina, die der taz vorliegt, diente die Gründung Rusesabagina dazu, „eine Armee zu haben“ – nämlich den Teil der FDLR, den Irategeka mitnahm, als er 2016 mit der Miliz brach. Ab 2018 hieß diese Armee FLN, als bewaffneter Flügel der MCRD, mit Basen im Kongo und später in Burundi, so die Anklageschrift: „Die FLN erhielt Ausrüstung und rekrutierte Kämpfer in ruandischen Flüchtlingslagern unter anderen in Kongo, Burundi und Uganda.“
Mehrere ehemalige FLN-Kämpfer sagten im Prozess aus. Wichtige Beweismittel gegen Rusesabagna basieren allerdings auf Zusammenarbeit zwischen den Justizbehörden Ruandas und Belgiens, dessen Staatsbürgerschaft Rusesabagina hält und wo er lange lebte.
Belgische Ermittler übermittelten Beweise für Rusesabaginas Finanzierung der bewaffneten Aktivitäten der FNL nach Ruanda. Ein belgisches Polizeidokument von September 2019 an den zuständigen belgischen Ermittlungsrichter unterstreicht, dass gegen Personen ermittelt werde, die wissentlich an Aktivitäten einer terroristischen Organisation beteiligt waren. Ruandas Behörden hatten Terrorangriffe der FLN in Ruanda im November 2018 in einem Schreiben an die belgischen Behörden aufgelistet. Die belgischen Ermittler befragten daraufhin Rusesabagina, durchsuchten sein Haus und stellten ihre Erkenntnisse Ruanda zur Verfügung.
Aufklärung terroristischer Taten
Dank der belgischen Rechtshilfe verfügt Ruandas Justiz nun über zahlreiche Belege, wonach Angehörige von Rusesabaginas Organisation sich als Mitglieder einer bewaffneten Gruppe bezeichneten und Geld von Belgien aus überwiesen. Es gab Überweisungen per Western Union im Jahr 2018 unter anderem an MRCD-Schatzmeister Eric Munyemana. Der leitete Geld weiter an General Irageteka. Weitere Überweisungen gingen von einem Christian Baloka an einen anderen ehemaligen FDLR-Kader, Jean de Dieu Sikubwabo in Burundi.
Diese Personen tauchen auch in den ruandischen Polizeiverhören des prominentesten Kronzeugen gegen Rusesabagina auf: Callixte Nsabimana alias Sankara, ehemals zweiter Vizepräsident der MRCD, Sprecher der FLN und Leiter ihrer Untergruppe MRR (Mouvement récolutionnaire rwandais), der im April 2019 in Ruanda verhaftet wurde und jetzt gegen Rusesabagina ausgesagt hat.
Quellen aus Ruandas Präsidentschaft betonen, dass es sich beim Prozess gegen Rusesabagina nicht um die persönliche Verfolgung eines politischen Oppositionellen handele, wie es dessen Familie glauben machen wolle. Es gehe um die Aufklärung der Taten einer terroristischen bewaffneten Gruppe, wobei Ermittler aus Ruanda, Belgien und den USA zusammenarbeiteten. Rusesabagina, so die Ankläger, „gab der FLN persönlich Geld, warb für sie und organisierte ihre Finanzierung“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen