piwik no script img

Urteil im Prozess gegen FacebookVollpfosten sind Vollpfosten

Facebook hat zu Unrecht den Account einer schwäbischen Nutzerin gesperrt, nachdem diese Rechtsextreme als „Vollpfosten“ bezeichnete.

Noch mehr Vollpfosten Foto: dpa

Wenn Facebook einen Post sanktioniert, der von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, verletzt die Plattform ihre vertraglichen Pflichten. Das entschied jetzt das Amtsgericht Tübingen.

Ausgangspunkt des Streits war ein taz-Artikel über Rechtsextremisten der Identitären Bewegung. Diese hatten im letzten Sommer 2017 das Schiff C-Star gechartert, um NGOs im Mittelmeer bei der Flüchtlingsrettung zu stören. Der Artikel wurde bei Facebook heftig diskutiert. Der User Stefan F. verteidigte die Crew der C-Star gegen die Einstufung als rechtsextrem. Sie sei nur „einige hundert Meter hinter einem Schiff hergefahren, das Schlepper unterstützt“. Die Nutzerin Magda Jörger (Name geändert*) konterte: „Vollpfosten sind Vollpfosten und basta“.

Facebook löschte daraufhin nicht nur diesen Kommentar, sondern sperrte auch den Account von Jörger für 30 Tage. Jörger habe gegen die Gemeinschaftsstandards von Facebook verstoßen, denn sie habe den User Stefan F. gemobbt. Jörger argumentierte, dass sie zwar auf den Kommentar von F. antwortete, mit „Vollpfosten“ habe sie aber die rechtsextreme Schiffsbesatzung der C-Star gemeint.

Dieser Sichtweise schloss sich nun das Amtsgericht Tübingen an, bei dem Jörger gegen die Sperrung ihres Accounts geklagt hatte. Ein unbeteiligter Leser habe den Post von Jörger wohl auch so verstanden, argumentierte Richterin Anja Häcker. Dies zeige schon der Plural der Formulierung „Vollpfosten sind Vollpfosten“. Es gehe um mehrere Personen, also nicht nur um Stefan F.

Es handelt sich nicht um Hassrede

Mit der Sperrung des Accounts von Jörger habe Facebook seine Pflichten verletzt. Facebook habe sich vertraglich verpflichtet, eine Kommunikationsplattform bereitzustellen und Inhalte der Kunden zu veröffentlichen. Eine Sperrung sei nur möglich, wenn die Gemeinschaftsstandards verletzt wurden – was das Gericht im Fall von Jörger aber verneinte.

Die Bezeichnung Vollpfosten sei zwar herabwürdigend, sie bedeute nichts anderes als „Dummkopf“. Es handele sich aber nicht um Hassrede, sondern nur um einen „überspitzten, polemischen“ Kommentar. Dieser sei noch von der Meinungsfreiheit gedeckt, die mittelbar auch Facebook im Verhältnis zu den Kunden in Deutschland binde. Ein Mobbing liege, so Häcker, auch deshalb nicht vor, weil Facebook unter Mobbing nur die Herabwürdigung von „Privatpersonen“ versteht. Die C-Star-Crew habe aber nicht privat gehandelt, sondern gerade auf öffentliche Wahrnehmung abgezielt.

Mit einem zweiten Antrag scheiterte Jörger. Facebook wurde nicht verurteilt, die Aussage „Vollpfosten sind Vollpfosten“ nie wieder zum Anlass für eine Account-Sperrung zu nutzen. Dieser Antrag sei zu unbestimmt, so Richterin Häcker. Es komme immer auf den Kontext einer Äußerung an.

Facebook hatte die ganze Klage für unzulässig gehalten, da sie nicht in englischer Übersetzung eingereicht wurde. Am europäischen Firmensitz in Irland spreche man englisch, nicht deutsch. Dies ließ die Richterin aber nicht gelten, schließlich biete Facebook seinen Service auch in deutscher Sprache an, lasse Beschwerden in deutscher Sprache zu und prüfe auf deutsch formulierte Postings.

Facebook kann gegen das Tübinger Urteil noch Berufung einlegen.

Bisher kamen Klagen wegen zu Unrecht gelöschter Postings vor allem von Rechtsradikalen. Hier hatte wohl zum ersten Mal eine linke Aktivistin geklagt. Unterstützt wurde sie von der Würzburger Kanzlei Jun, die auf Facebook-Fälle spezialisiert ist.

* Die Aktivistin, die im Netz unter eigenem Namen auftritt, will medial bis zum Abschluss des Prozesses anonym bleiben, weil sie die Konfrontation mit Rechtsextremisten im Gerichtssaal befürchtet.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • sie hätte halt noch "heil Hitler" unter ihren Post schreiben sollen. Dann wäre er nicht als "Verstoß gegen die Gemeinschaftsregeln" gewertet worden.



    Also echt, wenn man so liest, wie willkürlich dieses sogenannte soziale Netzwerk etwas als Verstoß wertet, und wenn man dann liest, mit welchen fadenscheinigen Begründungen Facebook eine Klage verhindern will, wird man einmal mehr den Eindruck nicht los, dass der Konzern alle verarschen will.

  • Wo findet man denn die rechtlichen Konsequenzen (Geldstrafe?) dieses Urteils für facebook?



    Wenn das für facebook teuer wird, würde es sich ja direkt lohnen, gegen jede einzelne wegen zu enger Auslegung der Meinungsfreiheit verhängte Sperre zu klagen.

    • @Tatzelbrumm:

      Dies war kein Strafprozess, deshalb gab es keine Geldstrafe. Es war ein Zivilprozess. Jörger hätte Schadensersatz einklagen können, hat sie aber nicht. So muss Facebook nur 80 Prozent der Verfahrenskosten tragen.

      • @Christian Rath:

        80% der Verfahrenskosten klingt nach Geldstrafe für die Nutzerin: Um ihre Rechte zu bekommen, muss sie 20% der Verfahrenskosten zahlen.

    • @Tatzelbrumm:

      Geldstrafe?

      Wir sind hier im Zivilrecht.

  • 8G
    88181 (Profil gelöscht)

    Unfassbar, wenn man bedenkt, was für ein Dreck und welche Beleidigungen auf Facebook so gepostet werden. Dagegen ist "Vollpfosten" eine eher liebevolle Beschreibung.

  • Verstehe ich das richtig, dass es ein Recht auf die Nutzung von Facebook gibt?



    Ich dachte, Facebook hat das Recht, jeden auch anlasslos zu sperren. Ist schließlich deren Plattform.



    Klärt mich bitte auf.

    • 8G
      84985 (Profil gelöscht)
      @Lydia Stanke:

      Aufklärung: nein, Facebook hat nicht das Recht, jeden anlasslos zu sperren.

    • @Lydia Stanke:

      Es ist ja wohl offensichtlich, dass Facebook aus jedem seiner Nutzer Kapital schlägt (Stichwort Werbung). Daher schließt Facebook auch bei jeder Registrierung einen Vertrag ab. Dieser regelt aber nicht nur die Nutzung der Benutzerdaten (zB zur Anzeige von Werbung), sondern hat wie jeder Vertrag Rechte UND Pflichten. Und an den Vertrag müssen sich in der Folge beide Seiten halten.



      Nur ist es halt selten, dass man als (Gratis-)Nutzer den Anbieter klagt.



      Hier mMn vollkommen mal zurecht, das war wohl überfällig. Für jene, die Facebook auch als Werbeplattform (gegen Entgelt) in eigener Sache nutzen, könnte aus einer solchen unbegründeten Sperre nämlich ein nicht unbedeutender Schaden entstehen.

      • @Wiener Würstchen:

        Die Argumentation war mit der Meinungsfreiheit, nicht mit potenziellen Gewinnverlusten, entsprechend hat das mit Facebook als Werbeplattform zum Glück nichts zu tun.