Urteil im Bamf-Prozess: Es gab keinen „Asylbetrug“

Mit Freisprüchen in allen ausländerrechtlichen Anklagepunkten endet der Landgerichts-Prozess um den Bremer „Bamf-Skandal“.

POrtrait der Richterin Maike Wilkens im Mundschutz während deiner Gerichtsverhandlung

Richterin Maike Wilkens im improvisierten Gerichtssaal im Konzerthaus „Die Glocke“ in Bremen Foto: Michael Bahlo/dpa

BREMEN taz | In Hildesheim auf der Straße wird Rechtsanwalt Irfan Ç. manchmal beschimpft, seit es im Frühjahr 2018 so richtig losgegangen war mit dem vermeintlichen Bamf-Skandal. Angesichts dessen wirken die Sicherheitsvorkehrungen fast ein wenig lax: Die paar Journalist*innen, die zum Abschluss in das Bremer Konzerthaus Glocke gekommen sind, werden am Donnerstag einfach durchgewunken. Kein Detektor, kein Ausweis, hoch in den Kammermusiksaal.

Dort hat das Landgericht am Donnerstag das Urteil im Prozess um vermeintliche Missstände an der Bremer Außenstelle des Bundesamtes für ­Migration und Flüchtlinge (Bamf) verkündet. Zusammengefasst lautet es: Es hat sie nicht gegeben.

In allen aufs Asylrecht bezogenen Anklagepunkten gegen ihn – nur sieben von 78 hatte das Gericht als halbwegs begründet überhaupt zur Verhandlung zugelassen – ist Irfan Ç. freigesprochen worden. In keinem dieser Fälle war es der Staatsanwaltschaft gelungen, auch nur annähernd einen Beweis für ihre Unterstellungen zu erbringen.

Und nach der Beweisaufnahme scheint klar: Eine reguläre Ermittlungsarbeit hätte den Verdacht auch ausräumen können. Mittlerweile wird gegen die Ermittler selbst ermittelt. Nur als er der Bremer Bamf-Leiterin Ulrike B. irgendwann im Jahr 2015 angeboten hatte, die Kosten für ihre zwei Hotelübernachtungen à 65 Euro in Hildesheim zu übernehmen, hat es Irfan Ç. mit der Kontaktpflege im Engagement für seine Man­da­t*in­nen etwas übertrieben. Das Verfahren gegen die 61-Jährige war am 20. April gegen eine empfindliche Geldbuße eingestellt worden.

Henning Sonnenberg, Verteidiger des Hildesheimer Anwalts Irfan Ç.

„Eine pieselige Vorteilsnahme ist alles, was übrig geblieben ist – das ist doch nichts!“

Von einer „Grauzone“ hatte auch Irfan Ç.s Anwalt im Bezug auf die teils privaten, teils beruflichen Kontakte der beiden gesprochen. Die Kammer habe in der Gesamtschau eine Unrechtsvereinbarung erkannt, erläuterte die Vorsitzende Richterin Maike Wilkens. Warum man den 42-jährigen Juristen zu einer Gesamtstrafe von 60 Tagessätzen à 100 Euro verurteilt: Für eine wohlwollende Behandlung seiner Anträge gebe es ja Indizien. Vorteilsannahme und -gewährung heißen die Delikte.

Tatsächlich hatte sich der Hildesheimer selbst belastet, indem er Ulrike B. als seine Mentorin in Asylrechtsfragen bezeichnete. „Ich habe viel von ihr gelernt“, hatte er noch in seinem Schlusswort als Angeklagter betont. Wilkens sah darin den Ausdruck „einer unguten Vermischung von privater und beruflicher Beziehung“. Die Verurteilung bleibe aber im untersten Bereich des Strafrahmens.

Irfan Ç.s Anwalt Henning Sonnenberg wertete das als großen Erfolg. „Eine pieselige Vorteilsnahme ist alles, was übrig geblieben ist – das ist doch nichts!“, erläuterte er der Presse nach dem Prozess. Nachvollziehbar: Die Staatsanwaltschaft hatte schließlich ursprünglich geplant, seinen Mandanten mit Freiheitsstrafe und lebenslangem Berufsverbot zu belegen.

Nein, Revision einzulegen plane er nicht, so Sonnenberg folgerichtig. Mit dem letzten Satz seines Plädoyers hatte er bereits beantragt, festzustellen, dass „das Land Bremen grundsätzlich zum Schadenersatz gegenüber meinem Mandanten verpflichtet wird“.

Ob die Staatsanwaltschaft Revision einlegen will, ist zwar ungewiss. „Aber ich wüsste nicht, wo sie einen Angriffspunkt finden will“, so Sonnenberg. Das Gericht habe „alles extrem sorgfältig gegen Rechtsfehler abgedichtet“.

Neben der peniblen Prozessführung spricht aber auch dagegen, dass sich die Staatsanwaltschaft mit der Dauer des Verfahrens mehr und mehr selbst in den Fokus gerückt hat. Von einem „Staatsanwaltschaftsskandal“ und einem „vorverurteilenden Ermittlungsexzess“ hatte Süddeutsche-Kommentator Heribert Prantl Anfang Mai gesprochen. Die taz hatte zuvor über die Ermittlungen gegen die Anklagebehörde berichtet.

Auch deren Leiter Janhenning Kuhn wird als Beschuldigter geführt. Er hatte sich aktiv in das mediale Kesseltreiben gegen die ehemalige Amtsleiterin Ulrike B. und Irfan Ç. eingebracht. Unter anderem hatte sein Sprecher mit seiner Erlaubnis vor den Fernsehkameras von Radio Bremen eine ehrenrührige Lovestory als vermeintliches Motiv für die vorgeworfenen, aber nie begangenen ausländerrechtlichen Delikte ausgebreitet. Illegal, wie das Verwaltungsgericht später festgestellt hat.

Die Beweisaufnahme hatte die Arbeit der Anklagebehörde in ein besorgniserregendes Licht gehüllt: Hinweise darauf, dass den befragten Man­dan­t*in­nen oft nicht klar gewesen war, ob sie mit Kanzleiangestellten oder ihrem Anwalt gesprochen hatten, wurden von den Ermittlern konsequent ignoriert. Es wurde einfach alles Irfan Ç. zugeordnet – und gegen ihn verwendet.

Während seine Man­dan­t*in­nen fast ausschließlich jesidische ­Kur­d*in­nen waren, manche sogar einsprachig, fungierten als ­Dol­met­sche­r*in­nen Arabisch-Fachkräfte, die des Kurmanci nicht mächtig sind. Kurdisch und Arabisch sind linguistisch betrachtet so weit voneinander entfernt wie Estnisch und Deutsch.

Nicht einmal der Versuch, die Art und Umstände der Kontaktaufnahme zur Kanzlei von Irfan Ç. zu klären, sei bei den Befragungen unternommen worden, rügte Richterin Wilkens. „Die notwendigen Fragen haben wir hier im Gericht gestellt.“ Das Ergebnis: „Keiner der als Zeugen gehörten damaligen Asylbewerber hat die Vorwürfe der Anklage bestätigt“, so Wilkens.

Eine hatte sogar ausdrücklich eine im Polizeiprotokoll ihr zugeschriebene Bezichtigung, nachdem sie ihr in ihre Muttersprache übersetzt worden war, als ganz falsch bezeichnet. Nicht zuletzt die Diversität der gehörten Aussagen schließe aber ein abgestimmtes und gesteuertes Verhalten nahezu aus, so die Vorsitzende: „Das Aussageverhalten war so unterschiedlich wie die Zeugen selbst.“

Eine sinnvolle Spur

Es bestehe daher kein Anlass, am Wahrheitsgehalt ihrer gerichtlichen Aussagen zu zweifeln. Die Gründe für die Abweichungen von den Vernehmungsprotokollen müssten „an anderer Stelle gesucht werden“. Sie hatte kulturelle und gesellschaftliche Differenzen als Erklärmodelle ins Spiel gebracht.

Das scheint eine sinnvolle Spur: Irfan Ç. lebt seit 36 Jahren in Deutschland, hier ist er zur Schule gegangen, hier hat er studiert. „Ich habe hier erst Türkisch gelernt, obwohl ich in der Türkei geboren bin“, sagt er im Schlusswort.

Er stammt aus der Region Mardin an der Grenze zu Syrien, ist Kurde und Angehöriger der in der gesamten islamischen Welt diskriminierten jesidischen Minderheit. Die machte auch den Großteil seiner Mandantschaft aus in jener Zeit von 2014 bis 2016. Denn sie flüchteten vor einem Völkermord. Der IS war auf dem Vormarsch in den jesidischen Siedlungsgebieten im Irak.

Amtlicher Rufmord

„Die Mädchen wurden verschleppt, versklavt und regelmäßig vergewaltigt“, erinnerte Irfan Ç. an die Gräuel. „Die jungen Männer wurden erschossen oder enthauptet.“ Bei Alten und Kranken sei den Schergen „die Munition zu wertvoll gewesen“, die habe man lebendig verscharrt. „Das war, was viele meiner Man­dan­t*in­nen erlebt hatten“, sagt er.

Es ist möglich, dass solche Traumata die Empfänglichkeit für Einschüchterung durch Polizei und Staatsanwälte fördern, ebenso wie eine allzu zielgerichtete Art der Befragung: Teilweise hatten die Ladungen zur Vernehmung bei den Betroffenen geradezu Panik ausgelöst, immer Verunsicherung.

In den Schreiben habe nur gestanden, dass sie auf der Wache zu erscheinen hätten, „wegen einer wichtigen Angelegenheit“, erinnert Verteidiger Sonnenberg. Einige von Irfan Ç.s Mandanten seien „mit gepacktem Koffer bei diesem Termin erschienen“. Eine Belehrung sei ausgefallen. Immer hätten die Beamten dazu beigetragen, den Ruf von Irfan Ç. zu beschädigen und das Vertrauen seiner Man­dan­t*in­nen zu zerstören.

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