Urteil gegen Le Pen: Jetzt auch offiziell unwählbar
Die Rechtsextreme kann in Frankreich 2027 nicht als Präsidentschaftskandidatin antreten. Nur: Das könnte ihrer Partei auch Aufwind verschaffen.

Das hatte freilich bereits die Staatsanwaltschaft für die Rechtspopulistin und andere der insgesamt 25 Angeklagten am Ende des Gerichtsverfahrens beantragt, ergänzend zu den nur teilweise auf Bewährung ausgesetzten Haftstrafen. Das Gericht hat sich nun weitgehend an diese Anträge gehalten. Das Rassemblement National wird als Partei mit 1 Million Euro Busse bestraft.
Dass Politiker in Frankreich wegen einer Verurteilung für eine befristete Zeit ihre bürgerlichen Ehren und somit ihr passives Wahlrecht verlieren, kommt und kam immer wieder mal vor. Im Fall von Marine Le Pen aber geht um eine Politikerin, die als Präsidentin kandidieren wollte, die derzeit laut allen Umfragen mit rund 35 Prozent klar vor allen anderen liegt und bei ihrem vierten Versuch 2027 echte Chancen gehabt hätte, nach Emmanuel Macron Frankreichs Staatspräsidentin zu werden. Diese vierte Kandidatur wird nun durch den Gerichtsentscheid verhindert. Drei Mal war sie zuvor gescheitert, hatte aber bei jedem Mal mehr Stimmen erhalten.
Auch Le Pens Schwester betroffen
Marine Le Pen ist nun zu vier Jahren Haft, davon zwei Jahre auf Bewährung, und 100.000 Euro Geldbuße verurteilt worden. Vor allem aber trifft es sie, dass sie mit diesem Richterspruch ab sofort und für 5 Jahre ihr passives Wahlrecht verliert. Das dürfte sie auch im Fall, dass sie Berufung einlegt, daran hindern, 2027 erneut zu kandidieren. Auch andere, ebenfalls zu Haftstrafen und Bußen verurteilte Mitangeklagte verlieren laut Urteil für eine Frist zwischen 18 Monaten und drei Jahren ihre Wählbarkeit. Zu ihnen gehört auch Marine Le Pens politisch aktive Schwester Yann.
Einige müssen voraussichtlich ihre lokalen Ämter abgeben, so beispielsweise Marine Le Pens Ex-Lebenspartner Louis Aliot, der derzeit Bürgermeister der südfranzösischen Stadt Perpignan ist und der für drei Jahre seine bürgerlichen Ehren verliert. Die Abgeordneten der Nationalversammlung hingegen, unter ihnen Marine Le Pen, behalten ihr 2022 errungenes Mandat in der nationalen Parlamentskammer.
Oft heißt es ja im Volksmund aus Misstrauen: Die Großen lässt man laufen. Darauf entgegnete im Voraus Gerichtspräsidentin Bénédicte de Perthuis: „Die Volksvertreter genießen keine Privilegien, es gibt für sie keine Form von Straffreiheit.“ Offenbar erachtete sie es als sinnvoll, sich gegen die absehbaren Einwände aus politischen Kreisen zu rechtfertigen.
Für das Gericht ging es strikt dem Strafgesetz folgend um Veruntreuung öffentlicher Gelder und illegaler Parteifinanzierung im Wert von 4,6 Millionen Euro in 40 Fällen, Gegenstand waren Verträge für (angebliche) parlamentarische Mitarbeiter*innen von EU-Abgeordneten der rechtsextremen Partei in drei Amtsperioden von 2004 bis 2016.
Es standen nicht politische Meinungen, Strategien oder Ambitionen vor Gericht, sondern eine Parteiführung, die angesichts ihrer Finanznöte eine „systematischen“ Veruntreuung von EU-Geldern organisierte, die ausschließlich für die Bezahlung parlamentarischen Mitarbeiter*innen der EU-Abgeordneten bestimmt sind. 21.000 Euro pro Monat hat jedes Mitglied des Europaparlaments dazu zur Verfügung. Dafür müsste auch eine entsprechende Arbeit geleistet werden.
Die Strafuntersuchung hat indes ergeben, dass in den Jahren 2004 bis 2016 in den vorliegenden Fällen die als parlamentarische Mitarbeiter*innen Angestellten nie oder so gut wie nie für die belegbare Aktivitäten der RN-Abgeordneten in Straßburg eingesetzt wurden, sondern für die Parteiführung in der Hauptstadt tätig waren.
Ein Beispiel neben anderen war laut der Anklage die heutige RN-Abgeordnete Catherine Griset. Sie bezog dank der Subvention aus Brüssel ihren Lohn von 2010 bis 2016 vertragsgemäß als parlamentarische Assistentin von Marine Le Pen, war aber in Wirklichkeit deren Kabinettschefin in der Parteizentrale in Nanterre bei Paris.
In der Vergangenheit waren in Frankreich bereits zahlreiche Politiker wegen illegaler Finanzierung verurteilt und andere politische Parteien wegen solchen Veruntreuungspraktiken mit „fiktiven“ Arbeitsverträgen vor Gericht gestellt und verurteilt worden. Auch die Partei des gegenwärtigen Premierministers François Bayrou, der selber straflos davonkam. In keinem der bekannten Präzedenzfälle aber ging es um so viel Geld und so viele Beteiligte. Im Prozess wurden Dokumente vorgelegt, die keinen Zweifel daran ließen, dass die Parteispitze nicht nur Kenntnis dieser illegalen Finanzierung hatte, sondern diese auch von Beginn an organisierte.
Großer Andrang im Gerichtssaal
Die eventuelle Aussicht, dass mit dem Gerichtsurteil die chancenreichste Kandidatin der Präsidentenwahl 2027 im voraus aus dem Rennen eliminiert würde, hatte eine große Zahl Beobachter und Reporterteams auch aus dem Ausland in den modernen Justizpalast an der Porte de Clichy gelockt. Die Gerichtspräsidentin hatte die ungeduldigen Medien zu Beginn gewarnt, es werde mit dieser Urteilsverkündung für die insgesamt 25 Angeklagten vielleicht „ein bisschen lange dauern“.
Doch bald schon erfuhr man auch außerhalb des Gerichtssaals, dass 8 ehemalige oder derzeitige EU-Abgeordnete des Rassemblements National (vormals Front National), unter ihnen Marine Le Pen, der mehrfachen Veruntreuung von EU-Geldern für parlamentarische Mitarbeiter für schuldig erklärt würden. Dann platzte die „Bombe“ mit dem sofortigen Verlust des passiven Wahlrechts.
Pikanterweise waren es dieselben Parlamentarier, die heute nun zum Teil gegen die Macht und Einmischung der Justiz protestieren, welche diese Maßnahme einst als Gesetzgeber verabschiedet haben – um Politiker durch die Abschreckung der Zusatzstrafe moralischer zu machen.
Für das RN stellt sich nun die Frage, wer an Stelle von Le Pen für die extreme Rechte bei den Präsidentschaftswahlen antreten soll. Als Ersatzmann gilt selbstverständlich der von ihr selber als Thronfolger an die Parteispitze beförderte Jordan Bardella. Er ist zwar populär in rechten Kreisen, aber dennoch etwas unerfahren und wohl kaum so schlagfertig als Kandidat wie Le Pen. Mit der richterlichen Elimination hat er plötzlich freie Bahn.
Marine Le Pen ist für ihre Partei ein Opfer und eine Märtyrerin. Nachdem das RN sich unter Marine Le Pens Führung mit einer Verharmlosungsstratgie ständig bemüht hatte, ihr Extremismuslabel loszuwerden und „salonfähig“ zu erscheinen, könnten die Proteste der Sympathisanten gegen einen unfairen und als „undemokratisch“ empfundenen Entscheid eine weitere Radikalisierung bewirken.
Der französische Rechtsradikale Eric Zemmour stellt etwa die Autorität der Justiz in Frage: „Es ist nicht an der Justiz zu entscheiden, für wen das Volk stimmen soll.“ Der mit Marine Le Pen befreundete italienische Rechtsaußen Matteo Salvini fühlt sich wegen des Urteils in einen „schlechten Film“ versetzt. Der ungarische Premierminister Viktor Orbán lancierte auf X den solidarischen Slogan „Je suis Marine.“ In Moskau betrachtet der Kreml-Sprecher Dmitri Peskow die Verurteilung als „Verletzung demokratischer Normen“.
In den Reihen der politischen Linken gab man sich eher zurückhaltend. Zwar meinte die Fraktionschefin der Grünen in der Nationalversammlung, Cyrielle Chatelain, schadenfroh, es sei bloß „normal, wenn jemand, der den Franzosen Geld klaut, bestraft wird“, der Parteichef der Fraktion der France insoumise, Manuel Bompard, sagte jedoch, seine Linkspartei bekämpfe die extreme Rechte lieber via Wahlurne und auf der Straße.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Verurteilung von Marine Le Pen
Recht so?
Wehrpflicht-Debatte
Pflicht zu „Freiheitsdienst“
Sportpädagogin über Sportunterricht
„Jede Stunde Zombieball ist nicht das Richtige“
Urteil gegen Marine Le Pen
Schlechte Verlierer (vor allem für die Demokratie)
Stephan Weils Rücktritt
Zu farblos, zu konturenlos, zu geräuschlos
Neue Aufgabe für Autofabrik?
Osnabrück baut den Friedenspanzer