Urteil gegen Bonner Kofferbomber: Lebenslange Haft für Marco G.
Im Prozess um die Bombe, die 2012 am Bonner Hauptbahnhof deponiert wurde, erhalten die Angeklagten eine lange Haftstrafe.
Für die Mitangeklagten verhängte das Gericht Freiheitsstrafen zwischen neuneinhalb und zwölf Jahren. Es sieht es als erwiesen an, dass Marco G. im Dezember 2012 eine Bombe am Bonner Hauptbahnhof deponierte. Und dass die vier Männer eine terroristische Vereinigung bildeten und planten, den Vorsitzenden der rechtsextremen Splitterpartei „Pro NRW“ zu ermorden.
Die Bonner Bombe ist nicht explodiert. Ob sie dazu überhaupt in der Lage war, war der große Streitpunkt in dem Prozess. Unstrittig war, dass Marco G. am 10. Dezember 2012 gegen 13 Uhr eine blaue Reisetasche mit einer selbst gebauten Rohrbombe darin unter einer Bank auf Gleis 1 des Bonner Hauptbahnhofs abstellte. Der Zündwecker war auf 13 Uhr 30 gestellt.
Jugendliche wurden auf die Tasche aufmerksam, sahen den Wecker und die Drähte darin und verständigten die Polizei. Der Bahnhof wurde geräumt, wenige Minuten vor halb zwei zielte ein Beamter mit einem Wassergewehr auf die Bombe und zerstörte sie so.
Anschließend stellten die Ermittler die zerfetzten Überreste sicher: Drähte, Teile des Weckers, Nägel, Batterien und ein mit Ammoniumnitrat gefülltes Metallrohr. Einen Zünder und Initialsprengstoff, der für das Auslösen der Bombe wohl nötig gewesen wäre, fanden sie nicht.
Ein Relikt aus einer anderen Zeit
Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass die Bombe explodieren sollte. Marco G. habe beabsichtigt, „eine möglichst große Anzahl von Menschen zu töten“, sagte Bundesanwältin Duscha Gmel in ihrem Plädoyer. Die Bombe sei nur wegen eines Konstruktionsfehlers nicht explodiert. Nur durch „ein Quäntchen Glück“ habe es keinen Toten und Verletzten gegeben. Gmel forderte für Marco G. eine lebenslange Haft und beantragte zudem die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld.
Die Verteidiger dagegen behaupten, die Bombe sei eine Attrappe gewesen, ihr Mandant habe gar keinen Anschlag begehen wollen. „Dass kein Zünder gefunden wurde, ist eine Tatsache, die für die Verteidigung streitet“, sagte Rechtsanwalt Peter Krieger.
Außerdem sei die Rohrbombe nicht einmal zu einem Drittel mit lediglich 115 Gramm Sprengstoff gefüllt gewesen, obwohl bei dem Angeklagten zu Hause noch 600 Gramm gefunden worden seien. Das mache keinen Sinn, wenn G. einen echten Anschlag begehen wollte. Es habe sich entweder um eine Warnung gehandelt oder um eine gescheiterte Übergabe der Utensilien – jedenfalls nicht um ein gescheitertes Bombenattentat. Krieger beantragte Freispruch für seinen Mandanten.
Der Prozess wirkt heute wie ein Relikt aus einer anderen Zeit. Als die vier Männer im März 2013 verhaftet wurden, hatte es zuvor nur einen islamistisch motivierten Anschlag in Deutschland gegeben: Arid U. hatte 2011 am Frankfurter Flughafen zwei US-amerikanische Soldaten erschossen und zwei weitere schwer verletzt.
Ermittlungsverfahren wegen islamistischen Terrorismus gab es kaum, Prozesse nur wenige. Dann nahmen die Ausreisen zum „Islamischen Staat“ in Syrien und in den Irak drastisch zu, IS-Kämpfer kehrten zurück, es gab die Anschläge am Hannoveraner Hauptbahnhof und auf den Essener Sikh-Tempel, in Würzburg und Ansbach, zuletzt das Attentat auf dem Berliner Breitscheidplatz mit zwölf Toten.
Über Propaganda im Internet radikalisiert
Laut BKA gibt es derzeit fast 800 Ermittlungsverfahren mit mehr als 1.000 Beschuldigten im Bereich des islamistischen Terrorismus, die Bundesanwaltschaft ist komplett überlastet, das Düsseldorfer Oberlandesgericht hat wegen der vielen Prozesse eine neue Staatsschutzkammer eingesetzt und kommt dennoch nicht hinterher.
Marco G. hat während des gesamten Prozesses geschwiegen. Seit in seiner Zelle Rasierklingen, ein selbst gebasteltes Stichwerkzeug aus Kugelschreibern und Skizzen von den An- und Abfahrtswegen des Sonderkommandos, das ihn bewacht, gefunden wurden, wird er stets gefesselt und mit Augenbinde in das Oberlandesgericht gebracht. Seine Post wird gesichtet, Besucher werden gefilzt.
Marco G. ist in Oldenburg geboren, sein Lebenslauf weist viele typische Merkmale von gewaltbereiten Islamisten auf. G. wuchs bei der alleinerziehenden Mutter auf, in der Schule hatte er Probleme – und früh auch mit der Polizei: Drogendelikte, Körperverletzung, dann raubte er einen Supermarkt aus und bekam zweieinhalb Jahre Jugendarrest.
Im Gefängnis kam soll G. mit dem Islam in Kontakt gekommen sein, nach der Entlassung konvertierte er. Ab 2010 soll er sich radikalisiert haben, vor allem über Propaganda im Internet. Obwohl er den Staat ablehnte, habe er weitgehend von staatlichen Sozialleistungen gelebt, berichtete der Gutachter.
Aus der Untersuchungshaft schrieb G., der Anschlag auf die Sairezeitschrift Charlie Hebdo 2015 in Paris sei ein „gesegneter Angriff“ gewesen.
Schon länger im Blick der Ermittler
2011 zog G. mit seiner Frau und seinem kleinen Sohn in den Bonner Stadtteil Tannenbusch. Im Mai 2012 provozierte „Pro NRW“ unter dem Slogan „Freiheit statt Islam“, bei Kundgebungen zeigte sie Mohammed-Karikaturen vor Moscheen. Marco G. beschloss, etwas dagegen zu tun. Erst legte er die Bombe ab, wenige Wochen später traf er sich mit den drei Mitangeklagten. Laut Ermittlungen beschlossen sie, den Vorsitzenden der Partei auszuspähen, sich Waffen zu besorgen und ihn zu töten.
Die Ermittler hatten die vier schon länger im Blick, wussten aber nicht, was diese vorhatten. Marco G.s Auto wurde verwanzt. Im März 2013 hörten die Beamten mit, wie Marco G. und ein zweiter Mann das Haus des „Pro NRW“-Chefs in einem Vorort von Leverkusen ausspähten. Möglicherweise wollten sie schon am frühen Morgen zuschlagen. Die Polizei nahm die zwei noch in Leverkusen fest, die beiden anderen in Essen und Bonn.
Bei Hausdurchsuchungen fand die Polizei eine Liste mit 28 Namen darauf, neun waren markiert. Einer davon: „Pro NRW“-Chef Markus Beisicht. In G.s Wohnung fanden die Beamten eine Pistole der Marke Ceska , Schalldämpfer und Ammoniumnitrat. Eine Beretta, die in einem Staubsauger versteckt war, und Sprengstoff, der im Kühlschrank lagerte, übersah die Polizei zunächst. G. aber machte sich in der Untersuchungshaft Sorgen um seine schwangere Frau und den kleinen Sohn und erzählte, was sich in seinem Kühlschrank befand.
Erst bei der Festnahme stellten die Beamten einen Bezug zwischen Marco G. und der Bombe am Hauptbahnhof her. Das bei G. sicher gestellte Ammoniumnitrat ähnelte der Mischung, die bei der Bombe verwendet wurde. Auf einem Metallrohr der Bombe stellten die Ermittler DNA fest, die der von Marco G. sehr ähnlich ist: Die seines Sohnes, der anscheinend mit dem Material gespielt hatte. Auf dem Wecker fanden sie die DNA von G.s Frau. Die Ermittler gehen aber davon aus, dass G. die Bombe allein gebaut hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands