Urteil des Obersten US-Gerichts: Trump will Urteil gleich ausnutzen
Ex-Präsident will nach dem für ihn günstigen Urteil des Supreme Courts weiteren juristischen Sieg erringen. Biden hält Gerichtsentscheidung für fatal.
Demnach sollen die Anwälte den Richter auch gebeten haben, die für den 11. Juli angesetzte Strafmaßverkündung zu verschieben. Trumps Team beruft sich dabei auf die jüngste Entscheidung des Obersten US-Gerichts, wonach US-Präsidenten weitgehenden Schutz vor Strafverfolgung für offizielle Handlungen im Amt genießen – ein „gefährlicher Präzedenzfall“, wie US-Präsident Joe Biden nach dem Richterspruch warnte.
Der Schritt von Trumps Anwälten war erwartbar und dürfte wohl aussichtslos sein, könnte wegen der folgenden juristischen Schritte aber zumindest die Verkündung des Strafmaßes hinauszögern.
Trump hatte am Montag einen bedeutsamen Erfolg vor dem höchsten US-Gericht verbucht: Der Supreme Court urteilte, dass er zwar keine vollständige Immunität für die Handlungen während seiner Zeit als Präsident genießt, aber der Schutz vor Strafverfolgung sehr weitgehend ist.
Jetziges Urteil verzögert Wahlbetrugsprozess gegen Trump
Mit ihrer Entscheidung verzögern die Richterinnen und Richter den Beginn des Wahlbetrugsprozesses gegen den 78-Jährigen in der US-Hauptstadt Washington weiter. Nun muss eine untere Instanz herausfinden, für welche Handlungen Trumps Immunität gilt. Es gilt als sehr unwahrscheinlich, dass der Prozess in Washington noch vor der Präsidentenwahl im November beginnen wird.
In einem anderen Strafverfahren in New York wurde Trump vor wenigen Wochen verurteilt. In dem Prozess um die Verschleierung von Schweigegeld-Zahlungen an eine Pornodarstellerin wurde er von den Geschworenen in allen 34 Anklagepunkten für schuldig befunden. Es war das erste Mal in der Geschichte der USA, dass ein Ex-Präsident wegen einer Straftat verurteilt wurde. Trump könnte im ärgsten Fall eine mehrjährige Haftstrafe drohen.
Der New Yorker Fall ist anders gelagert als etwa das Wahlbetrugsverfahren in Washington, bei dem es um Trumps Versuche geht, das Ergebnis der Präsidentenwahl 2020 zu kippen. Damals hatte Trump gegen den Demokraten Biden verloren, wollte seine Niederlage aber nicht akzeptieren. Diese Anklage betrifft seine Zeit als Präsident im Amt.
Das Verfahren in New York drehte sich in erster Linie um Trumps Handlungen als Präsidentschaftskandidat vor der Wahl 2016. Trump war mit der Argumentation, dass der Fall seine Präsidentschaft betreffe, bereits in der Vergangenheit gescheitert.
Allerdings könnten Trumps Anwälte argumentieren, dass die Anklage sich in dem Fall auch auf Beweise gestützt hat, die aus Trumps Zeit im Weißen Haus stammen. Denn der Supreme Court hat nun entschieden, dass Amtshandlungen von US-Präsidenten nicht nur vor Strafverfolgung geschützt sind. Sie dürfen auch nicht als Beweise in Strafverfahren angeführt werden.
Biden zu Immunitätsurteil: „Gefährlicher Präzedenzfall“
Spätestens in einem Berufungsverfahren dürfte das Thema werden. Trump hatte bereits angekündigt, nach der Strafmaßverkündung gegen das Urteil vorzugehen.
US-Präsident Biden kritisierte das Immunitätsurteil des Supreme Court und warnte vor schwerwiegenden Folgen. „Die heutige Entscheidung bedeutet mit ziemlicher Sicherheit, dass es praktisch keine Grenzen für das Handeln eines Präsidenten gibt“, sagte der Demokrat bei einer kurzfristig anberaumten Ansprache im Weißen Haus. Jeder Präsident, einschließlich Trump, werde nun die Freiheit haben, das Gesetz zu ignorieren, warnte der 81-Jährige. Er will bei der Präsidentenwahl im November gegen Trump antreten.
Der Supreme Court habe mit seiner Entscheidung ein „grundlegend neues Prinzip“ geschaffen: Die Macht des Präsidentenamtes werde künftig nicht mehr durch Gesetze eingeschränkt, auch nicht durch das Oberste Gericht, warnte Biden. „Die einzigen Grenzen werden vom Präsidenten selbst gesetzt.“
Liberale Richterinnen äußern fundamentale Bedenken
Die Menschen in den USA hätten ein Recht darauf, vor den nahenden Präsidentenwahlen im November eine Antwort der Gerichte zur Rolle Trumps beim Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 zu erhalten. Diese Antwort werde es nach dem Urteil wohl aber nicht mehr geben.
Biden, der sich nach einem desaströsen Auftritt bei der TV-Debatte in der vergangenen Woche in einer kritischen Phase seines Wahlkampfs befindet, nutzte die Gelegenheit und rief die Menschen zum Wählen auf. Fragen zu seiner Kandidatur beantwortete er nicht.
Das Urteil des Supreme Courts war mit sechs zu drei Stimmen ausgefallen. Die drei als liberal geltenden Richterinnen hatten sich nicht der rechtskonservativen Mehrheit des Supreme Courts angeschlossen, die Trump durch Personalentscheidungen während seiner Zeit als Präsident zementiert hatte. In der von Richterin Sonia Sotomayor verfassten abweichenden Meinung äußerten die Juristinnen ihre „Angst um unsere Demokratie“.
Sotomayor skizzierte denkbare Situationen, in denen der Schutz des Präsidenten vor Strafverfolgung künftig Anwendung finden könnte – als Beispiel nannte sie einen von ihm in Auftrag gegeben Mordanschlag auf einen Rivalen, einen Militärputsch des abgewählten Präsidenten oder den Nachweis von Bestechlichkeit.
„Selbst, wenn diese Albtraumszenarien nie eintreten sollten, und ich bete, dass sie es nie tun, ist der Schaden bereits angerichtet“, schrieb Sotomayor. „Bei jeder Ausübung seiner Amtsgewalt ist der Präsident jetzt ein König, der über dem Gesetz steht.“ Die langfristigen Folgen der Entscheidung seien erheblich. Das Gericht schaffe damit „effektiv eine rechtsfreie Zone um den Präsidenten und rüttelt am Status quo, der seit der Gründung der Nation existiert“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin