Upcycling von alten Basssaiten: Scheiße isses, besser wird’s nicht

Schreien, Wut, Weltschmerz – klar. Aber Punk ist eben auch, wenn man aus alten Basssaiten eine Magnettafel in Do-it-yourself-Optik baut.

Eine selbsgebastelte Magnettafel, an ihr hängen ein Sternburg-Kronkorken, eine Konzertkarte und eine Akkordfolge

Ist das Punk oder kann das weg? Foto: Christina Spitzmüller

Punk’s not dead. Oder so. Mein neues Lebensgefühl jedenfalls. Dabei höre ich überhaupt gar keinen Punk, nur einen einzigen Song, nämlich „Deceptacon“ von Le Tigre. Aber immer, wenn er läuft, habe ich den dringenden Wunsch, eine feministische Frauen*-Punkband zu gründen und mir Wut und Weltschmerz von der Seele zu schreien. Braucht man ja nicht viel. Gitarre, Schlagzeug, drei Akkorde, bisschen Rumgebrülle, vielleicht noch ein bisschen bunte Haare – fertig ist die Band. Dachte ich jedenfalls.

Ich wurde eines Besseren belehrt. Seit dem Sommer spiele ich in einer Punkband. Nicht selbst gegründet und inhaltlich nicht primär feministisch, aber immerhin mackerfrei und emanzipiert. Die Songs bestehen allerdings aus weit mehr als drei Akkorden und als Bassistin reicht es auch nicht, wenn ich die Grundtöne halbwegs gerade spiele. Bunte Haare hat hier auch niemand. Immerhin trägt die Hälfte der Band nur Schwarz und drei Viertel der Band trinken Bier beim Proben. Ich wurde also nicht völlig enttäuscht.

Kennengelernt haben wir uns – wie man das heute so macht – im Internet. „Wir spielen einfach Punk mit deutschen Texten“, hieß es in der Gruppe auf Telegram. Ich schrieb, die Band antwortete, es war Liebe auf das erste Bier.

Am Anfang verriet ich nicht, dass ich keinen Punk höre. Bei Gesprächen über Lieblingsbands und tolle Deutschpunksongs nickte ich nur wissend mit dem Kopf und nippte an meinem Bier. Abstürzende Brieftauben? Nie gehört. Von den Goldenen Zitronen hatte ich immerhin schonmal auf einem T-Shirt gelesen. Irgendwann lüftete ich mein Geheimnis. Es war okay, ich durfte bleiben. Und wurde beraten, wie ich eine Punkkarriere am besten in wenigen Wochen nachholen kann: Die Bands, die hauptsächlich über Bier singen, kann ich mir sparen.

Probenraum statt Elternabend

Mein Selbstverständnis ist ein völlig neues, seit ich einmal die Woche meinen Bass schultere, in einen stundenweise angemieteten Proberaum fahre und mir die Ohren wegballern lasse. „Ich hab heut keine Zeit, ich probe da, ich treff noch meine Band“ klingt doch viel besser als nicht zu können, weil man noch zum Elternabend/zur Hundeschule/arbeiten muss. Und wenigstens die Illusion dieses Lebens gibt mir meine Punkband.

Ich mag auch das Trostlose und Resignierte des Ganzen. Scheiße isses, besser wird’s nicht, leben muss man, hat noch wer ein Bier? Ich mag das Ungeschmückte, das Rohe und dadurch Fokussierte. Die Gitarre ist laut, weil das Schlagzeug noch lauter ist. Wer schreit, muss die Stimme nicht ölen. Und wenn nach sechzig Sekunden alles gesagt ist, ist das Lied eben vorbei. Und ich mag das Belanglose und Alltagsnahe, dass vielen Texten innewohnt. Betrachtungen über das eigene Leben und Leiden, der Kick der Selbstzerstörung sind die ursprünglichen Themen der Punkbewegung, lehrt mich Wikipedia.

Unsere Texte begleiten mich nun durch meine Tage. „Schon wieder ’nen Pickel in der Nase / Schon wieder drückt meine volle Blase“ ist eine meiner Lieblingszeilen. Ist das wichtig? Nicht mehr als der Liebeskummer aus der Welt des Pop. Aber drei Stunden wach und unbequem im Bett zu liegen, statt einfach auf Toilette zu gehen, ist mindestens genauso quälend, wie eine toxische Beziehung nicht zu beenden. Jedenfalls auf Dauer.

Mit „Meine Zähne fliegen aus meinem Maul / Zum Zähneputzen bin ich zu faul“ raffe ich mich dann allabendlich doch noch zum Gang ins Bad auf. Dazwischen passt „Ein Müllhaufen neben dem Mülleimer / der Abwasch, der wird auch nicht kleiner“ und in Erinnerung an die vergangene Sommerhitze: „Eine Kugel Pistazieneis / oder eine Kugel durch den Kopf?“

Alles ist unverschörkelt und ein wenig zu laut

Unsere Texte sind also Punk in seiner Ursprünglichkeit. Musikalisch klingt es manchmal etwas nach Ska, manchmal etwas nach Rock, manchmal mischt sich ein klein wenig Elektronisches rein. Aber die Lieder sind kurz, die Worte geschrien, der Sound ist unverschnörkelt und alles klingt etwas zu laut und auch ein wenig zu hässlich. Wir sind Punk.

Das ist ein Text aus der taz am Wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.

Ganz ernst nehmen kann ich das nicht immer. Muss ich auch nicht, passt schon. Auch Punk darf widersprüchlich sein, auch Menschen mit Punkhaltung dürfen widersprüchlich sein, wie alles auf der Welt. In der Band ist alles vertreten: Es gibt einen mit maßgefertigtem Gehörschutz, wen mit Papiertaschentüchern in den Ohren und diejenige, die nach jeder Probe mit leichtem Piepen in den Ohren nach Hause geht. Von erwachsen bis fahrlässig alles dabei. Die Proben richten sich nach meinem Schichtplan, ohne dass ich mich für meine bürgerliche 40-Stunden-Woche rechtfertigen muss. Ich bin okay, du bist okay, alle sind okay.

Wenn ich schon nicht mit endlos verfügbarer Probenzeit überzeugen kann, will ich wenigstens mit dem Sound punkten. Mein Bass brauchte dringend neue Saiten. Das Wechseln ist leicht – und danach bleiben vier störrische, mehr oder weniger dicke Metallsaiten übrig. Magnete haften an ihnen, habe ich irgendwann mal festgestellt. Also bastle ich eine Magnettafel draus. Falls wir mal irgendwann einen eigenen Proberaum haben (schwieriger als Wohnung finden!), kommt sie dort an die Wand. Für Strichlisten, wer wem wie viel Bier schuldet.

Anleitung

1 Für eine kleine Magnetwand reichen vier Basssaiten (Gitarrensaiten aus Stahl gehen auch) und ein Bilderrahmen. Außerdem werden etwas Draht, ein Handtacker und eine Zange benötigt. Gegebenenfalls die Saiten zunächst mit Wasser und Spülmittel waschen und gut abtrocknen.

2. Die Saiten zu einer langen Schnur verknoten – dazu eignen sich die kleinen Ringe am Ende jeder Saite gut, hier kann das jeweils andere Ende einer weiteren Saite verknotet werden.

3. Diese sehr lange Saite dann an die Längsseite des Bilderrahmens anlegen. Am Ende des Rahmens die Saite mit der Zange umbiegen, so dass sie die Richtung wechselt und wieder zum anderen Ende des Rahmens läuft. Dort wieder umbiegen usw., bis die ganze Saitenlänge aufgebraucht ist.

4. Das so entstandene Gebilde auseinanderziehen wie eine Ziehharmonika, so dass es in etwa die Höhe des Bilderrahmens hat. Die durch die Richtungswechsel beim Biegen entstandenen Schlaufen auf beiden Seiten jeweils mit einem Stück Draht verknoten, sie sollten untereinander angeordnet sein.

Ein Holzrahmen, an den eine mehrfach geknickte Bassaite an mehreren Stellen festgetackert ist

Foto: Christina Spitzmüller

5. Den Draht von hinten an den Bilderrahmen tackern. Gegebenenfalls zur Verstärkung auch einige der Saitenschlaufen festtackern.

6. Statt der Schritte 3 bis 5 können die Saiten auch kreuz und quer verbogen und von hinten an den Bilderrahmen getackert werden. Das ist dann noch mehr Punk!

7. Wenn gewünscht, hinter das Saiten­gebilde ein passendes Stück Karton oder Holz kleben. Das auch mit Stoff oder Geschenkpapier bezogen oder bemalt werden kann – genau wie der Rahmen.

8. Aufstellen oder an die Wand hängen und Notizen, ­Fotos, Akkordfolgen oder Bierschuldenlisten mit Mag­neten anpinnen.

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