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Unzureichende Fortbildungen der JustizKampfbegriff der Väterrechtler

An vielen Familiengerichten finden Gewaltopfer unzureichend Gehör. Kann das auch an Missständen bei der Ausbildung von Richtern liegen?

Fortbildungen von Richtern: Wenn es nach Justitia geht, ist da noch Luft nach oben Foto: David-Wolfgang Ebener/dpa

Seit längerem werden die Zustände an vielen Familiengerichten in Deutschland kritisiert. Im November berichtete die taz über eine Studie, laut der Kinder und Mütter kein oder nur unzureichend Gehör bei Jugendämtern und Familiengerichten finden, wenn sie Opfer von Gewalt werden. Auch die Essener Rechtsanwältin Jennifer Nadolny schreibt in ihrem vor wenigen Tagen erschienenen Buch „Tatort Familiengericht“ über Verfahren, „die oftmals mit Rechtsstaatlichkeit nichts mehr zu tun haben und die am Kindeswohl vorbeigehen“. Es gebe einen „unglaublichen Missstand“ an den Familiengerichten, in manch einem Fall sogar „staatliche Kindeswohlgefährdung“.

Umso erstaunlicher ist es, dass seit Jahren bei den staatlichen Fortbildungen der Justiz eine Akteurin mitwirkt, die in ihren Veröffentlichungen immer wieder mit Argumenten der Väterrechtsbewegung operiert.

Sachsen, zuständig für die Organisation der jährlichen Tagung „Praktische Fragen des Familienrechts“ an der Deutschen Richterakademie, hat erstmals 2015 Katharina Behrend aus Lemgo als Vortragende verpflichtet. Und nun entschieden, Behrend auch für die nächste Tagung im April im brandenburgischen Wustrau zu buchen.

Behrend spricht bei diesen Tagungen beispielsweise zum Thema „Missbrauchsverdacht als Trumpfkarte?!“ Und es fallen bei den Vorträgen Stichworte wie „Kind als Waffe im Trennungskrieg“ und „Entfremdung“.

Behrend entspreche den Anforderungen des Weiterbildungszentrums, heißt es aus Dresden. „Eine hervorragende Referentin“, schwärmt der Tagungsleiter, der Grimmaer Familienrichter Mathias Zschiebsch.

Zweifel angebracht

Fragen sind angebracht: Denn die Lektüre der Aufsätze von Behrend fördert viele positive Positionierungen zum sogenannten Parental Alienation Syndrom (PAS) zutage – zu Deutsch: Eltern-Kind-Entfremdung. Es ist ein Kampfbegriff der Väterrechtsbewegung. Er geht auf die These des US-Kinderpsychologen Richard Gardner zurück, der meinte, Elternteile – meist die Mutter – würden ihr Kind bewusst oder unbewusst beeinflussen, um sich Vorteile in Sorge- bzw. Umgangsrechtsverfahren zu erstreiten.

Behrend will laut eigener Aussage ein „Erklärungsmodell“ zu den Voraussetzungen erarbeiten, „unter denen dieses Syndrom entsteht“. Sie befürchtet, dass der Anteil von PAS-Kindern „zukünftig kräftig anwachsen wird“. 2000 schrieb sie gemeinsam mit ihrem früheren Professor Uwe Jopt, Gardners Wunsch nach Aufnahme in den US-amerikanischen Leitfaden psychischer Störungen, kurz DSM, möge rasch in Erfüllung gehen, das Syndrom würde damit weltweit anerkannt als behandlungsbedürftige Persönlichkeitsstörung.

Jopt war früher Behrends Professor in Bielefeld, mit ihm gemeinsam hat sie in Lemgo ein Beratungsinstitut aufgebaut. Er wird in der Correctiv-Recherche „Väterrechtler auf dem Vormarsch“ aus dem Jahr 2023 zu den wichtigen Akteuren der Szene gerechnet.

Behrend nimmt auf ihre alten Veröffentlichungen nach wie vor Bezug. Sie behauptet allerdings neuerdings, sie kritisiere das PAS-Konzept „seit jeher als unpsychologisch“. Sie behauptet auch, der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 2023, laut dem PAS „keine hinreichend tragfähige Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung“ biete, entspreche ihrer Auffassung „exakt“. Diesen Widerspruch zwischen ihren eigenen Aussagen löst sie nicht auf.

Der Direktor der Deutschen Richterakademie, Oliver Servas, verteidigt die Fortbildungen in Wustrau als „geschützten Raum zum kollegialen länderübergreifenden Austausch“. Für die Auswahl der Tagungsleitung und der Referenten im konkreten Fall zeichne das sächsische Justizministerium verantwortlich, sagte Servas auf Anfrage der taz: „Die Akademie stellt insoweit lediglich die Tagungsstätte zur Verfügung.“

Als das Deutsche Institut für Menschenrechte im Dezember in seinem Monitor „Gewalt gegen Frauen“ die systematische und verpflichtende Fortbildung der Justiz zum Thema anmahnte, dürfte es sich das nicht so vorgestellt haben, wie es bei den Vorträgen an der Deutschen Richterakademie mit Behrend abläuft.

Der Familienrechtler Ludwig Salgo aus Frankfurt am Main sagte der taz, eine lautstark agierende Lobby „erfindet ständig neue Namen, um das Konzept ‚PAS‘ zu retten“. Bei Behrend fehle jede Selbstkritik dazu. Verantwortliche für die Richterfortbildungen „dürfen bei der Auswahl von Referenten solche Umstände nicht unbeachtet lassen“.

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5 Kommentare

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  • > beispielsweise zum Thema „Missbrauchsverdacht als Trumpfkarte?!“ Und es fallen bei den Vorträgen Stichworte wie „Kind als Waffe im Trennungskrieg“ und „Entfremdung“.



    Diese Begriffe fallen -- mit Grund. Inzwischen sind Familienrichter vorsichtiger geworden, aber noch vor gar nicht langer Zeit war genau das nicht eben selten weil hochwirksam. Ein Jahr Trennung und Umgangsverbot reichen (und welcher Prozeß wäre wohl so bald beendet?) und es gilt, was die Taz gerade selbst in der Wochenendausgaber schrieb:



    "da zwischenzeitlich die Kinder ihren tatsächlichen Lebensbereich bereits gewechselt haben und sie sich in eine neue Umgebung einzuleben hatten. Da in dem Gutachten der Wechsel des sozialen Umfelds als Belastung bezeichnet worden sei, könne ein erneuter, durch Gerichtsbeschluss erzwungener Wechsel ebenfalls nicht zum Wohle der Kinder sein"



    Der widerrechtlich erzwungene status quo wird zur Norm für die Kinder erklärt, die beibehalten werden muß. Und auch wenn der Mißbrauchsvorwurf sich als nachweislich falsch herausstellt -- einen Unschuldsbeweis sieht das Recht aus gutem Grund sonst nicht vor -- passiert der verleumdenden Mutter in der Regel gar nichts.

  • Insbesondere die Familiengerichte sind fest in der Hand von Richterinnen, von den Jugendämtern ganz zu schweigen.

    Vor 15 Jahren habe ich in Frankfurt als RA in Sorgerechtverfahren eine Frau vertreten, gegen die ihr Macho-Mann handgreiflich geworden war und sie zum Fenster aus dem Obergeschoss gehängt hat mit der "Aussicht" sie fallen zu lassen.



    Nach Trennung hat er sie auf Teufel komm raus gestalkt und verfolgt.



    Die Richterin - aufgestiegen zur Frankfurter OLG-Vizepräsidentin -



    hielt das eher für Liebesbeweise und hatte vom Phänomen Stalking noch keine Ahnung.

  • Das ist sooo erzkatholisch! Wer nicht in der Lage ist, ein Phänomen im Einzelfall „wasserdicht“ zu beweisen, verteufelt es oft gleich als solches.

    Jeder, der schon mal erlebt (oder auch nur davon gelesen) hat, wie eine Scheidung die beteiligten Erwachsene überfordern kann und mit welchen Mitteln verzweifelte Menschen mitunter um ihr vermeintlich „gutes Recht“ und ihren, nun ja, Besitz kämpfen, zweifelt keine Sekunde dran, dass es Fälle von PAS tatsächlich gibt. Genau so wenig allerdings zweifelt er daran, dass dieses Konzept allein Gerichten ihre Entscheidung erleichtert.

    Dieses Konzept hilft insofern nicht, als in jedem Einzelfall geprüft werden müsste, ob es wirklich „greift“ und wer genau wen mit welchen Mitteln manipuliert. „Den Müttern“ oder aber „den Vätern“ pauschal zu unterstellen, er oder sie sei per se ein Manipulator, kann das Kindeswohl tatsächlich extrem gefährden. Leider sind „Beweise“ in diesem Zusammenhang selbst für ausgebildete Psychologen beinahe unmöglich.

    Wenn in der taz so getan wird, als wäre das problematische Konzept selbst ein Problem geht PAS leider nicht weg. Es besteht bloß die Gefahr, dass es als Möglichkeit „vom Schirm rutscht“ - mit Folgen.

  • Wie wäre es grundsätzlich bei Trennung eine 50:50 Lösung als Wechselmodell in den Vordergrund zu stellen und dies nur bei Verzicht oder einseitiger körperlicher und psychischer Gewaltanwendung in Frage zu stellen?

  • Nirgends wird mehr gelogen als vor Gericht. Es ist unglaublich schwer zu beurteilen, wer in einem konkreten Fall Opfer und wer Täter/in ist. Aber genau diese Beurteilung ist Aufgabe der Gerichte. Das kann man den Familiengerichten auch nicht abnehmen oder durch irgendwelche pauschalen Vorgaben leichter machen. Der Richter wird immer vor der Frage stehen, ob eine Behauptung nun wahr oder falsch ist. Da hilft nur genaues Hinschauen, kritisches Nachfragen und die Würdigung aller Umstände und der belegbaren Fakten. Ein bloßer Verdacht darf keine Trumpfkarte sein. Das widerspräche allen Prinzipien unseres Rechtsstaats.