Unwort „Sachpolitik“: Framen für Fortgeschrittene

Politiker wie Friedrich Merz framen sich als „Sachpolitiker“ – im Gegensatz zu Ideologen. Das ist Unsinn, wird medial aber trotzdem reproduziert.

Friedrich Merz zeigt eventuell den Stinkefinger

Schlimmer Finger: “Sachpolitiker“ Friedrich Merz am politischen Aschermittwoch in Thüringen Foto: Martin Schutt/dpa

BERLIN taz | Ein besonders schmieriger Euphemismus unserer Zeit ist das Wort „Sachpolitik“. Ein hehrer Anwender der Vokabel ist Friedrich Merz. Aber das Wort wird von vielen Politikschaffenden gebraucht. Und immer wieder schleusen sie das Wort in Medienüberschriften und -formate ein.

Wer fragt, was Sachpolitik ist, merkt, dass es das, was dieses Wort meinen soll, überhaupt nicht gibt. Geht es nicht bei jeder Politik immer auch um die Sache, um Inhalte? Trotz seiner erstaunlichen Leere ist das Wort ziemlich wirksam. Denn es vermag den Benutzer in ein gutes Licht zu stellen. Es bleibt der Eindruck, jener, der Sachpolitik „fordert“, zu ihr „zurückkehren“ möchte, sei besonders an der Sache interessiert und nicht an den üblichen politischen Streits. Das Wort ist ein astreines politisches Framing, erstklassige Rhetorik. Ich nenne es den „Sachlichkeitstopos“. Wer Sachpolitik fordert, sagt zuerst über alle anderen aus, dass es diesen nicht um die Sache ginge. Er selbst steht da als jemand, der den Betrug aufgedeckt hat.

Kritiker werden einwenden, wie denn bitte ohne ein Wort wie „Sachpolitik“ zu unterscheiden sei zwischen dem üblichen Parteigedöns und inhaltlicher Politik. Aber diese Unterscheidung ist kaum möglich. Das zeigen die anderen Begriffe, die in diesem Feld rummäandern.

Da gibt es das Wort „Parteipolitik“. Auch diese Unterscheidung verschwimmt. Ist nicht jegliche Politik Parteipolitik, eben weil die Parteien die Politik machen? So landet auch dieser Begriff in der Framing-Kiste. Parteipolitik ist in der Regel ein Argument gegen den politischen Gegner (egal ob dieser von anderen Parteien kommt oder aus der eigenen). „Symbolpolitik“ hat ein ähnliches Problem. Jedes verabschiedete Gesetz ist schließlich pure Symbolik für die eigenen Zielgruppen, denken wir einmal an die „Ausländermaut“, an die „Respekt-Rente“, den „Mindestlohn“ usw. Politik ist zutiefst symbolisch und ordnet sich gerade nicht zwingend irgendeiner göttlichen Effizienz unter.

Alle diese Begriffe sind letztlich nicht mehr als rhetorische Kniffe. Das ist auch daran zu erkennen, dass die meisten „Sachpolitiker“ wie Friedrich Merz erstaunlich wenig zu irgendeiner Sache beitragen.

Ein radikalneutraler Lösungsweg wäre, Vorsilben wie Sach- oder Symbol- in der Berichterstattung wegzulassen. Dann würde zumindest sichtbar, dass es bei all diesen Dingen um nichts anderes geht als um: Politik.

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Kommt von Rügen. Als Wortgucker erzürnt er sich im Netz und auf Podien regelmäßig über Sprache und Framing in der Politik und Medien. Er ist promovierter Sprachwissenschaftler und Sprachkritiker für taz2/medien. Hauptberuflich: Kampagnen-Berater und Demokratie-Kommunikator.

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