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Untersuchungen nach der Flut im AhrtalWer verantwortet 130 Menschenleben?

In Rheinland-Pfalz startet ein Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal. Im Fokus steht das Handeln der Landesregierung in Mainz.

Ein Haus am Ufer der Ahr, völlig zerstört Foto: dpa/Boris Roessler

Im Mainzer Landtag nimmt in dieser Woche ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der Flutkatastrophe vom 14. Juli 2021 seine Arbeit auf. Allein im Ahrtal im Norden von Rheinland-Pfalz hatten in dieser Nacht mehr als 130 Menschen ihr Leben verloren, bei den übrigen Schäden geht es um Milliardensummen.

Der von der CDU initiierte Untersuchungsausschuss will nun klären: Hätten Menschenleben gerettet werden können? Haben Fehler und Versäumnisse der Verantwortlichen die kata­s­trophale Lage verschärft? Mit der Einsetzung des Ausschusses zielt die Opposition auch auf Mitglieder der Landesregierung aus SPD, Grünen und FDP.

Die erste Plenarsitzung nach sechs Jahren Bauzeit im neuen, grundsanierten Mainzer Landtagsgebäude hatte sich Hausherr Hendrik Hering (SPD) sicher anders – eher feierlich – vorgestellt. Doch nicht nur die Flutkatastrophe auch ein zweites tragisches Ereignis im Land bestimmte am Mittwoch die Tagesordnung: Der Mord an einem 20-jährigen Tankstellenmitarbeiter, der kaltblütig erschossen wurde, offenbar weil er lediglich auf die Maskenpflicht hingewiesen hatte.

Die Mordtat in Idar-Oberstein wertete Landtagspräsident Hering als Zeichen dafür, „dass die Gefahr durch gewaltbereite Verschwörungsideologen, Corona-Leugner und ‚Querdenker‘ unterschätzt wurde“. Hering betonte auch, ohne die AfD direkt anzusprechen: „Auch die, die Beifall klatschen, diese Taten bejubeln und rechtfertigen, müssen mit der vollen Härte des Rechtsstaates zur Rechenschaft gezogen werden.“

Untersuchungsausschuss zur Flut

Dann widmete sich der Landtag der Flutkatastrophe. Mit den Stimmen der drei Oppositionsparteien CDU, AfD und Freie Wähler – bei Enthaltung der Regierungsfraktionen – setzte das Parlament den ersten Untersuchungsausschuss dieser Legislaturperiode ein. Er soll aufklären, wie es zu den verheerenden Überschwemmungen in Ahrtal kommen konnte.

„Zeigt sich in den Geschehnissen möglicherweise ein grundsätzliches Systemversagen?“, fragte der Trierer CDU-Abgeordnete Gordon Schnieder. Auch im Trierer Ortsteil Ehrang und in der Eifel hatte die Flut gewütet. Schnieder sprach die persönliche Verantwortung Einzelner an und fragte: „Hatten die Einsatzkräfte vor Ort, die Krisenstäbe und technischen Einsatzleitungen ein echtes Lagebild oder sind sie möglicherweise blind durch die Lage gestolpert?“

Die CDU zielt damit indirekt auf Innenminister Roger Lewentz (SPD) und Umweltministerin Anne Spiegel (Grüne). Beide Mitglieder der Landesregierung hätten die Alarmzeichen der drohenden Flut früher in ihrer Tragweite erkennen und die Verantwortung an sich ziehen müssen, so die Unterstellung der Landtagsopposition.

Schwerer Fehler wird eingeräumt

Die CDU nimmt dabei in Kauf, dass damit auch die kata­s­trophalen Fehler eines Parteifreunds Gegenstand der parlamentarischen Untersuchung werden. Das von Jürgen Pföhler geführte Landratsamt Ahrweiler hatte – trotz vieler Warnungen – erst spät in der Nacht Katastrophenalarm ausgelöst. Der Landrat selbst hatte die Verantwortung an seinen ehrenamtlichen Feuerwehrkommandanten abgetreten – ein schwerer Fehler, wie längst auch Parteifreunde wie die örtliche CDU-Bundestagsabgeordnete Mechthild Heil einräumen. Gegen den Landrat und seinen Einsatzleiter ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen.

Die Regierungsparteien sicherten ihre konstruktive Mitarbeit bei der Aufklärung im Ausschuss zu. Der Einsetzungsantrag der CDU sei jedoch „unpräzise und ausufernd“, begründeten SPD, Grüne und FDP ihre Stimmenthaltung. SPD-Fraktionschefin Sabine Bätzing-Lichtenthäler versprach aber: „Wir werden Tempo machen. Die Menschen verdienen rasche und fokussierte Ergebnisse.“

Wieso schlug Umweltministerin Spiegel nicht Alarm, wenn doch das ihr unterstellte Landesamt für Umwelt am 14. Juli ab 17.17 Uhr mit ‚lila‘ die höchste Warnstufe ausgerufen hatte?

Stephan Wefelscheid, Freie Wähler

Für die Freien Wähler stellte Stephan Wefelscheid die entscheidenden Fragen: „Wurde den Menschen am Abend der Flutnacht wirklich geraten in den Häusern zu bleiben? Warum wurde erst um 23.09 Uhr Katas­trophenalarm ausgerufen, wenn doch zu diesem Zeitpunkt schon fast seit drei Stunden die Häuser unter Wasser standen und schon um 16.20 Uhr die Bürgermeisterin der Verbandsgemeinde Altenahr angesichts der prognostizierten Pegelstände darum gebeten hatte?“

14. Juli, 17.17 Uhr: Warnstufe ‚lila‘ ausgerufen

Auch an die Adresse der Landesregierung richtete Wefel­scheid, der für die Freien Wähler als Obmann im Ausschuss sitzen wird, Fragen: „Wieso schlug Umweltministerin Spiegel nicht Alarm, wenn doch das ihr unterstellte Landesamt für Umwelt am 14. Juli ab 17.17 Uhr mit ‚lila‘ die höchste Warnstufe ausgerufen hatte?“ Und Innenminister Lewentz müsse erklären, warum er in der Nacht nicht den Krisenstab des Landes aktiviert habe. Vor allem stelle sich die Frage, ob nicht wenigstens die BewohnerInnen von Sinzig an der unteren Ahr rechtzeitig gewarnt und damit gerettet hätten werden können, argumentierte Wefelscheid, der seine langjährigen Erfahrungen als Rechtsanwalt in den Ausschuss einzubringen versprach.

Tatsächlich erreichte die Flutwelle die Stadt Sinzig im Mündungsgebiet der Ahr in den Rhein erst nach Mitternacht. Eine plausible Erklärung dafür könnte sein, dass die massive Straßenbrücke über die Ahr zwischen Ahrweiler und Sinzig die tonnenschwere Masse von entwurzelten Bäumen, im Wasser treibenden Autos und Teilen eingestürzter und mitgerissener Häuser für Stunden aufgehalten hat. Die aus dem Oberlauf der Ahr nachfließenden Wassermassen hatten dadurch einen gewaltigen Stausee gebildet.

Für diese These spricht auch, dass flussaufwärts in Ahrweiler auch Ortsteile überschwemmt wurden, die mehr als 500 Meter vom Fluss entfernt liegen und niemals zuvor von einer Flutwelle erfasst worden waren. Das von der oberen Ahr nachfließende Wasser konnte einfach nicht abfließen. Brücke und Geröll hatten sich demnach zu einer gigantischen Staumauer aufgetürmt. Gegen Mitternacht, als das massive Brückenbauwerk dem Druck wohl nicht mehr Stand halten konnte, ist dann die Brücke geborsten und in die Luft geflogen.

Richtung Rhein ein Knall

Ohrenzeugen berichten von einem ohrenbetäubenden Knall gegen Mitternacht. Wie nach dem Brechen einer Staumauer eines künstlichen Stausees muss die tödliche Flutwelle anschließend zu Tal geschossen sein, Richtung Rheinmündung. Allein in Sinzig sind in dieser Nacht mehr als 30 Menschen zu Tode gekommen. Viele von ihnen lebten in einer Wohneinrichtung der Lebenshilfe für Menschen mit Behinderung. Wäre der örtliche Katastrophenschutz früher und präziser informiert worden, wäre viele Stunden Zeit gewesen, die Menschen aus dem überschwemmungsgefährdeten Gebiet an der Ahr zu evakuieren.

Nicht zuletzt deshalb ermittelt die Staatsanwaltschaft Koblenz wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung. Nach Auskunft von Landesjustizminister Herbert Mertin (FDP) sind mit den strafrechtlichen Ermittlungen 70 bis 90 LKA-Beamte und drei Staatsanwälte befasst.

Der Untersuchungsausschuss wird auf deren Arbeit Rücksicht nehmen müssen. Ob das Gremium trotzdem schon bald präzise und klare Antworten auf die bohrenden Fragen der Betroffenen geben kann, bleibt abzuwarten. Die erste Sitzung soll jedenfalls nach taz-Informationen noch in dieser Woche und damit vor den Herbstferien stattfinden.

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