Untersuchung in Großbritannien: 800 Fälle sexueller Ausbeutung
„Groomings Gangs“ sind ein emotionales Streitthema in Großbritannien. Jetzt werden Vergewaltigungen durch pakistanischstämmige Gangs aufgearbeitet.

Mit „Grooming Gangs“ sind Gruppen von Männern gemeint, die verletzliche und gefährdete Mädchen zumeist im Alter von 10 bis 15 Jahren erst „befreundeten“, um sie später wiederholt sexuell zu missbrauchen und, mit Alkohol und Drogen abgefüllt, zur Vergewaltigung weiterzugeben.
Dieses Phänomen ist zumeist in nordenglischen Industriestädten aufgetaucht, die Opfer waren zumeist weiße englische Mädchen und die Gang-Mitglieder überdurchschnittlich oft Männer mit einem pakistanisch-muslimischen Migrationshintergrund. Deswegen wird das gerne von rechtsextremen Aktivisten wie Tommy Robinson aufgegriffen und das Thema ist über die Maßen politisiert.
Bei der neuen nationalen Untersuchung wird es nicht nur um die Tatumstände gehen, sondern auch um das Versagen einer Unzahl von Behörden: Sozialdienste, Polizei, Jugendämter, kommunale und staatliche Regierungsverantwortliche, religiöse und andere Einrichtungen zum Schutz von Kindern. Denn zahlreiche Opfer waren Kinder aus zerrütteten Familien in Pflege oder mit psychischen Problemen.
Aus Angst vor Rassismusvorwürfen untätig
Die meisten Gemeinden, in denen die Taten geschahen, sind Labour-Hochburgen. Casey wiederholte die bekannte Tatsache, dass behördliche Verantwortliche teils aus Angst vor der Anschuldigung, rassistisch zu wirken, nicht eingriffen. „Zu diesem kollektiven Versagen führte Blindheit, Ignoranz, Vorurteil, Abwehrverhalten, selbst gute aber fehlgeleitete Absichten“, schreibt Casey in ihrem Bericht.
Caseys Überprüfung folgt auf eine siebenjährige Untersuchung durch die Professorin Alexis Jay, die 2022 veröffentlicht wurde. „Child Grooming“ war eines der untersuchten Delikte. Die Aufgabe, ihre Empfehlungen umzusetzen, fiel letztendlich auf die 2024 gewählte Labour-Regierung. Zunächst hatte Premierminister Keir Starmer eine nationale Untersuchungskommission zum Thema, wie sie von britischen Rechten nach den Sommerunruhen 2024 gefordert worden war, abgelehnt. Stattdessen hatte er Casey mit einer Prüfung der behördlichen Sachlage beauftragt.
Casey hatte bereits vor über einem Jahrzehnt eine Untersuchung zu „Grooming Gangs“ im nordenglischen Rotherham geleitet, einer der ersten Orte, wo das Thema durch Medienenthüllungen Schlagzeilen machte. In ihrem jetzigen Bericht spricht sie von ihrer Frustration, wie wenig sich seitdem geändert hat, obwohl es mehrere Verurteilungen von Tätern gegeben hat.
Innenministerin Yvette Cooper akzeptierte jetzt alle zwölf Empfehlungen Caseys. So sind Studien über kulturelle und soziale Faktoren, die Sexualverbrechen und Frauenhass mitbeeinflussen, geplant. Alle Ermittlungen über aktuelle und vergangene Vorfälle sexueller Ausbeutung von Kindern sollen von der obersten Polizeibehörde National Crime Agency geleitet werden, nicht örtliche Polizeieinheiten.
Dokumentiert sind inzwischen an die 800 Fälle sexueller Ausbeutung durch „Grooming Gangs“. Casey gab an, dass bis zu eine halbe Million Kinder in Großbritannien jedes Jahr sexuell misshandelt werden, die meisten unerkannt. Binnen der letzten zwölf Monate wurden 100.000 Fälle des Kindermissbrauchs offiziell aufgenommen, dazu gehört auch die Ausnutzung Minderjähriger etwa zur Lieferung von Drogen.
Innenministerin Cooper hat angekündigt, auch das Asylrecht weiter zu ändern. Wer Sexualdelikte begangen hat, soll in Zukunft kein Bleiberecht mehr erhalten.
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