Unterricht in der Coronakrise: Schule als Feldversuch
Noch vor den Ferien den Vollunterricht erproben? An die Lehrer:innen über 60 denkt dabei niemand.
W elche Corona-Ansteckungsgefahr von Kindern ausgeht, darüber streiten derzeit Virolog:innen. Dennoch haben die Bundesländer erstaunlich wenig Bedenken, auch ohne wissenschaftliche Gewissheit die Schulen für ein großes Experiment zu öffnen: Führt die Rückkehr zum normalen Unterricht dazu, dass sich das Corona-Virus wieder stärker ausbreitet? Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein haben sich schon bereit erklärt, diese Wette einzugehen. Auch Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) forderte am Wochenende, nach den Sommerferien zum „vollen Unterricht“ zurückzukehren.
Man kann Verständnis für diesen Schritt aufbringen, schließlich ist der Leidensdruck in den Familien und bei den Schüler:innen hoch. Und die Infektionszahlen, da sind sich die Virolog:innen einig, geben das Wagnis auch her. Der Kieler Infektionsmediziner Helmut Fickenscher plädiert sogar für eine schnelle „Erprobungsphase“ noch vor den Ferien. Und legitimiert damit die Ankündigung der Schleswig-Holsteiner Regierung, die Grundschulen schon ab kommender Woche komplett zu öffnen. „Das ist besser, als nach den Ferien ohne eine solche Erprobungsphase ins neue Schuljahr zu starten“, sagte Fickenscher der dpa.
Klingt plausibel. Doch leider wird in dem großen Feldversuch eine Gruppe gar nicht berücksichtigt: die der Lehrer:innen. Wie wenig ernst die Politik deren Sorgen nimmt, hat man zuletzt in Nordrhein-Westfalen gesehen. Dort verpflichtete FDP-Schulministerin Gebauer auch Lehrer:innen über 60, mündliche Abiturprüfungen abzunehmen. Das sorgt für Irritation – und führt unter Umständen dazu, dass sich Lehrkräfte aus Selbstschutz krankmelden.
In Zeiten überalteter Kollegien keine rosige Aussicht. Statt ihr Personal zu verprellen, könnten sich die Ministerien ja um zeitweisen Ersatz bemühen. Etwa bei gesunden Lehramtsstudierenden, die statt im digitalen Frust-Semester ihre Zeit lieber an einer Schule verbringen würden. Man müsste sie halt anständig bezahlen. Aber am Geld kann es in Zeiten von Corona-Staatshilfen in Milliardenhöhe ja nicht liegen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart