Unterbringung von Geflüchteten: Ankunftszentrum überlaufen

Geflüchtete warten wochenlang auf ihre Registrierung, weil das Landesamt nicht hinterherkommt. Der Flüchtlingsrat kritisiert Versorgungsmangel.

Geflüchtete warten vor dem Ankunftszentrum in Berlin-Reinickendorf.

Langes Warten: 2022 war im Ankunftszentrum Reinickendorf besonders viel los Foto: IMAGO/Jens Schicke

BERLIN taz | Die Zustände im Ankunftszentrum für neu einreisende Flüchtlinge in Reinickendorf erinnern an die im Flüchtlingssommer 2015. Damals warteten tausende Geflüchtete, vor allem aus Syrien, vor dem Landesamt für Gesundheit (Lageso) in der Moabiter Turmstraße über Tage, Nächte und Wochen, um sich registrieren zu können und untergebracht zu werden. Heute gibt es nur einen kleinen Unterschied: Neu ankommende Flüchtlinge sind nicht obdachlos wie seinerzeit und sie erhalten regelmäßige Mahlzeiten. Viel mehr aber auch nicht.

Der Flüchtlingsrat nennt die Zustände „unhaltbar“. Flüchtlingsratssprecher Georg Classen spricht von einem „Registrierungsstau“ über Wochen.

Daten 46.000 Menschen haben in Berlin letztes Jahr einen Aufenthaltstitel erhalten. Weitere 85.000 beantragten einen solchen beim Landesamt für Einwanderung. Bei den Jobcentern seien 20.000 Geflüchtete gemeldet, weitere 5.500 bei den Sozialämtern, so die Berliner Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke).

Verteilung Die Linken-Politikerin wünscht sich eine Anpassung des Königssteiner Schlüssels, um Berlin zu entlasten. Mit dem Schlüssel wird festgelegt, wie viele Asylbewerber*innen ein Bundesland aufnehmen muss. Außerdem fordert sie, einen Umzug der Geflüchteten mit Aufenthaltstitel von einem angespannten Wohnungsmarkt wie Berlin in eine Gegend mit Leerstand zu vereinfachen.

Frühwarnsystem Kipping wünscht sich ein Frühwarnsystem des Bundes. Das soll die Länder rechtzeitig informieren, wenn wieder mehr Geflüchtete nach Deutschland kommen. So könne schneller auf einen plötzlichen Anstieg reagiert werden. (dpa)

Während dieser Zeit hätten die neu Eingereisten keinen Zugang zum Asylverfahren, zu Sozialleistungen und medizinischer Versorgung. Sie erhielten lediglich eine Übernachtungsmöglichkeit auf einem Feldbett, einen minimalen Hygienebedarf und Mahlzeiten. Ein DRK-Stützpunkt sei zwar auf dem Gelände, so Classen.

Dort erfolge aber keine medizinische Behandlung, es werde lediglich im Notfall ein Rettungswagen gerufen. Mangels Bargeld könnten die Asylbegehrenden sich auch keine Medikamente kaufen. Sie hätten zudem keinen Zugang zu Sozialarbeitern und Asylverfahrensberatern.

Wochenlanges Warten

Das Ankunftszentrum wurde 2019 vom Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) auf dem Gelände der früheren Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik gegründet, um neu einreisende Flüchtlinge zu registrieren, gesundheitlich zu untersuchen und ihnen die Möglichkeit zu geben, Asyl zu beantragen, bevor sie auf andere Unterkünfte oder in andere Bundesländer verteilt werden.

Ursprünglich ging die damalige Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) von einer Verweildauer der Neuankömmlinge von drei Tagen aus, oder, wenn ein Wochenende oder Feiertage dazwischen liegen, von fünf Tagen.

Während der Pandemie erhöhte sich die Verweildauer wegen der aufwändigeren medizinischen Untersuchungen und Impfungen. Inzwischen beträgt die Aufenthaltszeit für neu ankommende Geflüchtete laut Flüchtlingsrat „Wochen“, weil das LAF mit der Registrierung nicht hinterherkomme.

LAF-Sprecher Sascha Langenbach bestätigt der taz, dass derzeit 800 Flüchtlinge in den sogenannten Sternhäusern notuntergebracht seien. Das sind Häuser, in denen Flüchtlinge schlafen, während sie auf die Registrierung warten. Zu diesen 800 Wartenden kommen weitere 600, die auf dem Gelände in anderen Häusern regulär wohnen, während die Registrierung und gesundheitliche Untersuchungen laufen und sich Sozialarbeiter um sie kümmern.

Keine Auskunft über Rechte

Laut LAF arbeiten in den Sternhäusern keine festen Sozialarbeiter, lediglich bei Krisensituationen werden welche von anderen Einrichtungen temporär angefordert. Sonst sind dort nur Wachschutzmitarbeiter tätig – nicht eben diejenigen, an die sich neu angekommene Asylsuchende mit ihren Fragen wenden können. Das führt laut Flüchtlingsrat zu einem „riesigen Informationsdefizit der Geflüchteten über das Asylverfahren und über ihre Rechte“.

Der Flüchtlingsrat hatte bereits im Oktober beobachtet, dass Flüchtlinge vor ihrer Registrierung in den Sternhäusern „geparkt“ werden, damals waren es rund zehn Tage. Georg Classen kritisiert, dass die Menschen nicht über das Recht informiert werden, statt der Wohnunterkunft im Ankunftszentrum eine private Wohnmöglichkeit zu nutzen.

Das Registrierungszentrum in Reinickendorf sei, so Classen, schon räumlich viel zu klein. Das Problem bestehe seit Anfang 2022, als das wesentlich größere Gebäude zur Registrierung von Asylbewerbern in der Bundesallee geschlossen wurde.

Der Flüchtlingsrat berichtet auch von personellen Problemen im Registrierungszentrum aufgrund von Krankheit. Zudem kommen derzeit wieder mehr Asylbewerber: Bis Ende Oktober 2022 wurden laut LAF 10.783 Asylbewerber nach Berlin verteilt, so viele wie im ganzen Jahr 2021.

Kipping fordert mehr Kontrolle

Der Tagesspiegel hatte im Dezember von Übergriffen und Erpressungen durch Wachschutzmitarbeiter auf dem Gelände des Ankunftszentrums berichtet. Geflüchtete sollen, so der Tagesspiegel, nur gegen Geld oder Schmuck Schlafmöglichkeiten erhalten haben.

Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) und das LAF erklärten daraufhin, man nehme diese Vorwürfe sehr ernst. Nach eigenen Angaben haben sie davon erst aus dem Tagesspiegel erfahren, behördeninterne Recherchen laufen.

Ziel sei es, zu analysieren, welche Instrumente neu eingeführt und welche gestärkt werden müssen, „um zu verhindern, dass die Notsituation von Schutzsuchenden ausgenutzt wird“, so Kipping. Die behördeninternen Recherchen hätten bisher die Behauptungen aber nicht bestätigt.

Der Tagesspiegel beruft sich auf Hinweise aus Ermittlerkreisen, wohl von der Polizei. Polizeisprecherin Anja Dierschke wies das allerdings zurück. Zwar läge dem Landeskriminalamt eine entsprechende Strafanzeige vor. Kontrollmaßnahmen der Polizei sowie Befragungen von Bewohnerinnen und Bewohnern hätten die Vorwürfe aber nicht bestätigt.

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