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Unruhen im Osten der Ukraine„Wir wollen mit Russland leben“

Vor der besetzten Polizeistation in Slawjansk werden Barrikaden errichtet. In der Station lagern auch Waffen. Spezialkräfte sollen sich auf die Stürmung vorbereiten.

Barrikaden aus Reifen in Slawjansk. Bild: reuters

DONEZK ap | Mehrere Dutzend Bewaffnete haben eine Polizeistelle in einer Kleinstadt im Osten der Ukraine eingenommen. Die Männer stürmten am Samstagmorgen in Tarnkleidung das Polizeirevier in Slawjansk etwa 90 Kilometer von Donezk entfernt, wo prorussische Demonstranten seit rund einer Woche ein Regierungsgebäude besetzt halten, wie das Innenministerium mitteilte.

Die Besatzer hissten auf dem Gebäude die russische Flagge. Innenminister Arsen Awakow kündigte eine „sehr harte Reaktion“ an. Örtliche Medien berichteten, Spezialkräfte seien in die Gegend entsandt worden. Die Stadt hat 120.000 Einwohner.

Rund 20 schwer bewaffnete Männer mit Sturmhauben bewachten den Eingang der Polizeistation. Rund 20 weitere wurden im Inneren des Gebäudes vermutet. Die Besatzer trugen das Sankt-Georgs-Band, ein Symbol des Sieges der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg, das inzwischen zu einem Symbol prorussischer Demonstranten im Osten der Ukraine geworden ist. In einem Video vom Schauplatz waren Schüsse zu hören, nachdem ein Bewaffneter einen Kameramann aufgefordert hatte, die Aufnahme einzustellen. Berichte über Verletzte oder Tote gab es zunächst nicht.

Das Innenministerium teilte mit, Ziel der Angreifer sei gewesen, die Waffen auf der Polizeiwache an sich zu reißen. Es seien dort rund 40 Schnellfeuergewehre und 400 Pistolen samt Munition gelagert.

Tarnanzüge und Schnellfeuergewehre

Ein vermummter Wächter sagte, sie hätten „nur eine Forderung: ein Referendum und den Beitritt zu Russland“. Sie hätten das Gebäude besetzt, weil sie es vor radikalen Nationalisten aus der westlichen Ukraine und vor „der Junta, die die Macht in Kiew übernahm“, schützen wollten. Man wolle nicht Sklave der USA und des Westens sein. „Wir wollen mit Russland leben.“

Sympathisanten der Besetzer brachten Reifen zu der Polizeistation, um Barrikaden zu errichten. AP-Mitarbeiter sahen am Samstagnachmittag rund zehn Männer in Tarnanzügen in die Stadt kommen, die Schnellfeuergewehre bei sich hatten und Barrikaden aus Reifen aufbauten.

Zuletzt nahmen die Spannungen in den russischsprachigen Regionen der Ukraine zu. Der Osten gilt als eine Bastion der Unterstützer des im Februar abgesetzten Präsidenten Viktor Janukowitsch. Die Demonstranten, die seit Sonntag das Verwaltungsgebäude in Donezk besetzt halten, forderten ursprünglich ein Referendum über eine Abspaltung der Gegend. Später reduzierten sie ihre Forderung auf eine Abstimmung über Autonomie und die Möglichkeit eines späteren Votums über einen Beitritt zu Russland.

Nationalisten und Faschisten

Im Osten der Ukraine leben viele russischsprachige Menschen. Die Demonstranten behaupten, Kiew sei von Nationalisten und „Faschisten“ übernommen worden, deren Ziel es sei, die ethnischen Russen in der Ukraine zu unterdrücken.

Die Regierungen in Kiew und Washington hatten Russland vorgeworfen, die Unruhen im Osten der Ukraine anzufachen und sie als Vorwand für ein militärisches Eingreifen nutzen zu wollen. Russland hat große Truppenverbände in der Nähe der ukrainischen Grenze stationiert.

Die Bürgermeisterin von Slawjansk, Nelja Schtepa, sagte der AP allerdings, bei den Besetzern handele es sich um Einheimische und keine Russen. Sie wollten gehört werden und einen Dialog mit Kiew.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow hatte die Ukraine am Freitag gewarnt, gegen die Protestler Gewalt einzusetzen. Solch eine Aktion würde die für nächste Woche geplanten Gespräche zwischen den USA, der Ukraine, der Europäischen Union und Russland über die Krise genauso wie alle anderen Bemühungen behindern.

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5 Kommentare

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  • Lawrow warnt vor dem, was jeder Staat in dieser Situation zu tun pflegt, vorallem Russland, ungeachtet dessen, wer da in Kiew gerade anordnet. Sehr bedenkenswürdig, auch wenn Gewalt nie eine rationale Lösung sein kann.

     

    "Man wolle nicht Sklave von den USA und dem Westen sein."

     

    ...."der USA und des Westens sein", klingt weniger provinziell.

  • Wieso liegen in einer Polizeiwache in einer "Kleinstadt" 40 Schnellfeuergewehre und 400 Pistolen samt Munition?

     

    Ist das üblich bei allen Polizeiwachen in Kleinstädten in der Ukraine?

    • @Åge Krüger:

      Die Waffen liegen da vermutlich, weil die Polizei in der Ukraine - wie auch in Deutschland - im Rahmen des staatlichen Gewaltmonopols unter bestimmten Umständen Waffen einsetzen darf und soll.

       

      Selbstverständlich ist es üblich, dass in Kleinstädten in der Ukraine die Polizei Waffen hat. Das gilt übrigens auch für Kleinstädte in Deutschland und überhaupt für Kleinstädte in der ganzen Welt. Was genau wundert Sie denn bitte? Wollen Sie auf etwas hinaus?

  • 1G
    1338 (Profil gelöscht)

    Der Westen putscht eine demokratisch gewählte Regierung in Kiew von der Macht und wundert sich nun, daß Teile der ukrainischen Bevölkerung dies nicht akzeptieren wollen. Die westliche Propaganda läuft zur Hochform auf, um den Widerstand gegen die Putschisten zu kriminalisieren. Gleichzeitig nimmt man dies zum Anlass, die Russen

    mit der Androhung von Wirtschaftssanktionen zu erpressen. Ich kann nur hoffen, daß sich die Russen diesem Druck nicht beugen. Putin sollte als Antwort zukünftig keine Öl-und Gasverträge mehr auf Dollarbasis abschließen, dies würde den Machthabern in Washington wohl kaum gefallen.

     

    Das Ziel des vom Westen inszinierten Putsches in der Ukreine dürfte wohl eine weitere Einkreisung Russlands gewesen sein. Putin hat den Amis und ihren Vasallen in Europa endlich die rote Karte gezeigt.

  • Danke, endlich einmal ein Artikel, der ohne pauschale Schuldzuweisungen auskommt.