: Unruhe im Herzen bestraft
Journalistin wegen „Störung der Religionsfreiheit“ verurteilt. Sie hatte bei Aktion für türkische Häftlinge während des Weihnachts-Gottesdienstes im Michel mitgemacht
Hamburgs evangelische Bischöfin Maria Jepsen war nach eigenen Angaben noch nie vor einem Gericht – zumindest vor keinem ordentlichen weltlichen Landgericht. Und eigentlich gab es ihrer Meinung nach auch gestern keinen triftigen Grund, sie aus einer wichtigen Sitzung der derzeit laufenden Synode zu reißen, um als Zeugin eine Aussage machen zu müssen. Denn der Vorfall war für sie – „wenn auch anfangs ärgerlich“ – „längst erledigt“. „Es war eine Störung, die ich verstehen konnte,“ sagte Jepsen zu dem Vorfall, der gestern vor Gericht verhandelt wurde. Trotzdem wurde die Soziologin und Journalistin Birgit Gärtner (42) gestern zu 70 Tagessätzen Geldstrafe „wegen grober Störung der Religionsfreiheit“ verurteilt. Sie hatte an Heiligabend 2000 an einer Solidaritätsaktion für die politischen Gefangenen in der Türkei während der Weihnachtsmesse im Michel teilgenommen.
Wenige Tage vor dem Weihnachtsfest hatte das türkische Militär mehrere Gefängnisse blutig gestürmt, um einen Aufstand und Hungerstreik in den Haftanstalten niederzuschlagen. Dabei kamen Dutzende Inhaftierter ums Leben. „Ich habe daher mit einer Störung schon gerechnet“, erinnert sich Jepsen noch an den Heiligabend. Erst wenige Tage zuvor hatte es bereits eine spektakuläre Besetzungsaktion in der Justizbehörde gegeben.
„Ich konnte verstehen, dass ihr Anliegen in die Öffentlichkeit gebracht werden muss“, bekräftigt Jepsen, wenngleich es ihr lieber gewesen wäre, „sie hätten ihr Anliegen mir vortragen, damit ich es ins Gebet mit aufnehme“. So fühlten sich nun viele der 2500 GottesdienstbesucherInnen im Michel gestört. „Es gab aber auch welche, die es gut verstehen konnten, dass das Anliegen in ein Gotteshaus gehört“, führt Jepsen weiter aus. Sie habe deshalb das Thema, nach dem die Gruppen wieder abgezogen sei, auch in ihre Weihnachtspredigt aufgenommen. Daher sei sie sehr verwundert, weshalb es zu diesem Verfahren gegen Birgit Gärtner gekommen ist. „Die Kirche hat staatliches Eingreifen nicht gewollt – und schon gar kein polizeiliches.“
Die Anklagebehörde blieb trotz eines Freispruchs vor dem Amtsgericht in erster Instanz hart. „Der Gesetzgeber hat nun mal die Störung der Religionsausübung als ein Offizialdelikt einstuft, ob einem das passt oder nicht“, begründet Richter Helmut Haller das Urteil, das er offenkundig nur schwer gegen seine ehrenamtlichen Beisitzer durchsetzen konnte. „Viele Besucher haben sich aufgeregt und konnte so den Gottesdienst nicht in der gewollten religösen Ruhe begehen.“ Jepsen vertritt darin eine andere Meinung. „Eine gewisse Unruhe im Herzen ist nicht verkehrt.“
Gärtners Verteidiger Jürgen Schneider wird Revision beim Oberlandesgericht einlegen.
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