Unpassende Ratschläge: Entspann dich doch selber mal
Wenn etwas nicht klappt, dann nicht weil es dem Universum nicht passte: sondern, weil irgendwo eine Frau nicht entspannt genug war.
E s gibt Leute, die glauben an Gott, und Leute, die glauben an Entspannung. Und wiederum andere glauben an keines von beidem. Ich gehöre zu Letzteren. Also – ich liebe Entspannung. So sehr. Ich würde am liebsten tagelang in einem Ruheraum liegen, auf Watte gebettet, ohne Menschen, nur mit ein paar Delfinen, die wie auf Mushrooms singen.
Ich wäre glücklicher als je zuvor. Der Mensch braucht Entspannung. Ich glaube aber nicht, dass Entspannung die Erklärung für alles ist. Oder uns auf magische Weise zu allem verhilft, was wir wollen. Ich glaube sogar, dass Entspannung manchmal ein klein wenig frauenfeindlich ist. Klingt schräg, ich weiß. Aber warten Sie ab.
Mein zweites Baby verhält sich anders als mein erstes. Beide sind ganz wunderbar und sich vom Charakter her ähnlich. Nur hat das erste mich nach der Geburt kaum schlafen lassen. In den ersten drei Monaten hat es gebrüllt, sobald ich nur versucht habe, es abzulegen. Einschlafen klappte ausschließlich mit viel Bewegung, singen und Körperkontakt. Das zweite Baby hat sofort wunderbar geschlafen. So wunderbar, dass ich es wecken musste, damit es trinkt. Wenn es müde war, hat es den Kopf zur Seite gedreht und ist eingeschlafen. Ich war total baff.
Es ist eben wie in der Lotterie. Doch sobald ich das erzähle, diagnostiziert immer jemand: „Du warst sicher entspannter in der zweiten Schwangerschaft“. Hm. Mal sehen: In der ersten Schwangerschaft hatten wir ein paar Geldsorgen. Die zweite Schwangerschaft hingegen hat damit begonnen, dass ein gewisser Herr Seehofer wegen einer Kolumne in dem Ressort, das ich leite, Anzeige erstatten wollte. Ich habe Beschimpfungen und Drohungen erhalten. Dann war da noch Corona, Lockdown und ein Kleinkind zu betreuen. Also vielleicht hat das Wesen des Babys doch nichts mit meinem Entspannungsgrad zu tun?
Der natürliche Zustand einer Frau
„Entspannte Mutter, entspanntes Kind“ ist einfach ein Spruch zum Abgewöhnen. Denn er impliziert, es ist (allein) Verdienst der Mutter, wenn das Kind entspannt ist. Was im Umkehrschluss bedeutet, es ist (allein) die Schuld der Mutter, wenn es das nicht ist.
„Du musst dich entspannen, dann klappt das schon“, hört man auch, wenn man versucht, schwanger zu werden. Der Spruch hat mich so wütend gemacht. Denn es kann komplex sein, schwanger zu werden. Und da hilft es nicht gerade, wenn einem jemand sagt, man sei quasi selber schuld.
„Entspannt euch mal“ ist auch eine Antwort, die kommt, wenn man auf strukturelle Ungerechtigkeiten in der Familienarbeit aufmerksam macht. Denn wer ist schuld? Genau! Die Frau, die zu „perfektionistisch“ ist und sich immer aufregt. Augenrollen.
Nicht so schlimm? Ansichtssache. Denn jedes „Entspann dich mal“ impliziert, dass der natürliche Zustand einer Frau kein entspannter ist. Dass die Frau ein „hysterisches“ Wesen ist, das es zu beruhigen gilt. Ein frauenfeindliches Bild aus dem 19. Jahrhundert, das wir offenbar noch immer nicht losgeworden sind.
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