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Union will Pflege-Impfpflicht aussetzenDie Opposition erwacht

Die Union macht eine Kehrtwende und will die Impfpflicht für das Gesundheitswesen aussetzen. Kritik kommt von Gesundheitsminister Karl Lauterbach.

Keine Zeit zu träumen: Karl Lauterbach am Dienstag bei der Pressekonferenz zur aktuellen Coronalage Foto: Florian Gaertner/photothek/imago

Er sei überrascht von Söders Vorstoß gewesen, sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) am Dienstag bei der Bundespressekonferenz. Er wirkte ruhig, während er sprach, doch innerlich brodelte er bestimmt. Denn was Markus Söder (CSU) am Montag ankündigte, war kaum vorhersehbar.

Der Ministerpräsident will die Impfpflicht für Beschäftigte im Gesundheitswesen in Bayern aussetzen. Mit seiner Überraschung ist Lauterbach sicher nicht allein, denn bisher gab sich der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident als Verfechter einer harten Linie in Sachen Coronapolitik.

Anfang Dezember forderte er beispielsweise noch steigende Zwangsgelder für jene, die gegen eine potenzielle Impfpflicht verstoßen. Auch der einrichtungsbezogenen Impfpflicht für das Gesundheitswesen stimmte Söder für den Freistaat Bayern zu, in einer eigens dafür einberufenen Sondersitzung des Bundesrats.

Dadurch müssen alle, die in Kliniken, Arztpraxen oder Alten- und Pflegeheimen arbeiten, bis zum 15. März ihre Corona-Impfung nachweisen können. „Team Vorsicht“ nannte der CSU Generalsekretär Markus Blume damals die Linie von Söder.

Wenig Personal in der Pflege

Doch in dieser Woche änderte Söder seine Position: Bayern will die ab Mitte März vorgesehene einrichtungsbezogene Impfpflicht nicht umsetzen. Das begründete er mit der schwierigen Personalsituation in der Pflege.

Schon seit Jahren fehlt es dort an Mitarbeiter*innen. In der Pandemie nahm die Belastung der Pflegekräfte noch mehr zu. Viele Pfle­ge­r*in­nen kündigten. Die Impfpflicht würde das nur noch weiter verschärfen, argumentiert Söder. Und die CDU unterstützt seine Position.

So fordert nun auch der CDU-Parteivorsitzende Friedrich Merz, die einrichtungsbezogene Impfpflicht auszusetzen, weil die Bundesregierung Einrichtungen und Beschäftigte mit der Impfpflicht allein lasse. Auch das kam überraschend. Denn bisher schienen sich die demokratischen Parteien im Bundestag bei dem Thema relativ einig.

Das zeigt auch das Abstimmungsergebnis des im Dezember verabschiedeten Gesetzes: 569 Jastimmen, 79 Neinstimmen und 38 Enthaltungen. Doch offenbar kommt die CDU in ihrer Rolle als größter Oppositionspartei im Bundestag an und wettert gegen die Pläne der Ampelkoalition.

Impfpflicht lasse viele Fragen offen

Lauterbach gab sich sichtlich irritiert. Die einrichtungsbezogene Impfpflicht sei keine Schikane gegenüber Pfleger*innen, sondern weiterhin das richtige Mittel, um vulnerable Personen zu schützen. Ähnlich formulierte das der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Tino Sorge, vor einem Monat: „Ebenso gefährlich wie Personalmangel wäre es, Patienten durch ungeimpftes Personal betreuen zu lassen.“ An der Position habe sich auch heute nichts geändert, beteuert sein Pressesprecher auf Nachfrage. Trotzdem forderte Sorge diese Woche in der Bild, die Länder sollten die Impfpflicht vorläufig aussetzen.

Von Verbänden kamen gemischte Reaktionen. Natalie Sharifzadeh vom Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe kritisierte den Vorstoß der Union als verheerendes Signal. Abseits der Gefahr für Pa­ti­en­t*in­nen sorge es für politische Unsicherheit, auch gegenüber den Pflegekräften.

Das bedeutet für die allgemeine Impfpflicht zunächst gar nichts

Karl Lauterbach Gesundheitsminister

Die Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes und frühere CSU-Politikerin Gerda Hasselfeldt zeigte hingegen Verständnis für Söders Vorstoß. Sie sagte gegenüber dem RBB-Inforadio, dass die Impfpflicht noch viele Fragen offen lasse.

In der Gesundheitsministerkonferenz (GMK) im Januar war die einrichtungsbezogene Impfpflicht Thema. Die Bundesländer sprachen sich damals gemeinsam dafür aus. „Auch Bayern“, wie die Vorsitzende der GMK und Gesundheitsministerin aus Sachsen-Anhalt, Petra Grimm-Benne (SPD), an diesem Dienstag betont.

Gesundheitsämter ebenfalls überlastet

Unklarheiten diskutierten die Mi­nis­te­r*in­nen der Länder aber dennoch in der GMK, denn auch für sie war vieles noch uneindeutig. In ihrem Beschluss baten sie das Bundesministerium für Gesundheit etwa, näher zu definieren, was im Gesetz mit „vergleichbare Einrichtungen“ gemeint sei.

Es müsse auch noch einheitlich abgestimmt werden, welche Abwägungskriterien die Gesundheitsämter berücksichtigen sollen. Denn sie sollen die Impfpflicht letztlich durchsetzen und Tätigkeitsverbote aussprechen.Aber auch bei den Ämtern ist die Personalsituation derzeit angespannt. Darum sei auch wichtig, die Gesundheitsämter möglichst zu entlasten. Lauterbach bot in der Pressekonferenz am Dienstag an, bei Problemen die Länder und Gesundheitsämter zu unterstützen. Doch aus Bayern habe er noch keine Anfrage erhalten.

Unverständlich sei für Lauterbach auch, warum Markus Söder mehr Zeit fordere. Das Gesetz besagt zwar, dass ungeimpfte Beschäftigte im Gesundheitswesen nach dem 15. März von ihrer Leitung beim Gesundheitsamt gemeldet werden müssen – aber für weitere Konsequenzen gebe es keine Frist.

„Tatsächlich hätte man sich in Bayern meinetwegen einen Monat Zeit lassen können“, resümierte der Gesundheitsminister. Dass Bayern die Impfpflicht auf unbestimmte Zeit aussetzen will, sei in der Hoffnung begründet, „dass nach Omikron das alles vorbei ist“, glaubt Lauterbach.

Andere CDU-geführte Länder weiter dafür

Andere CDU-geführte Bundesländer wie Sachsen, Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt gaben gegenüber der taz an, auch weiterhin die einrichtungsbezogene Impfpflicht zu begrüßen und umzusetzen. Doch auch sie betonten: Es gibt noch offene Fragen und die müssen vor dem Start der Impfpflicht geklärt werden.

Fraglich bleibt aber, ob die von Markus Söder losgetretene Diskussion Folgen für die allgemeine Impfpflicht hat. Bisher hieß es aus dem Bundesgesundheitsministerium, „dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht nur der erste Schritt zur Einführung einer allgemeinen Impfpflicht ist“.

Doch wenn eine Impfpflicht für alle kommen sollte, dann gäbe es noch viel mehr zu klären. Karl Lauterbach zeigte sich mit Blick auf die Forderungen der Union gelassen: „Das bedeutet zunächst für die allgemeine Impfpflicht gar nichts.“ Im Laufe der Woche erwarte er konkrete Gesetzentwürfe aus dem Bundestag. Vielleicht ist Lauterbach da ein Stück zu entspannt.

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