Union Berlin in der Champions League: Eiserne Gewinner mit Bodenhaftung
Bei Union gibt es nichts zu meckern: Die Köpenicker machen einfach all das richtig, was bei der Hertha in den vergangenen Jahren falsch gelaufen ist.
N iedrigstapeln hat bei Union Tradition. Während die Konkurrenz von Hertha BSC innerhalb weniger Jahre 400 Millionen Euro Investorengeld versenkt hat und man sich nach dem bitteren Abstieg mitleidig fragt, wo all das Geld eigentlich versickert ist und ob das nicht gar an Wirtschaftskriminalität grenzt, haben die Köpenicker mit einem beschaulichen Budget Unfassbares erreicht: Der 1. FC Union Berlin ist in die Champions League eingezogen.
Der Klub spielt nächste Saison Königsklasse, den höchsten Wettbewerb, den es im Vereinsfußball gibt. Nächstes Jahr müssen eventuell Real Madrid oder Barcelona im Stadion an der Alten Försterei bestehen – und deren Fans mit der S47 Richtung Spindlersfeld fahren. Wenn es schlecht läuft und die Zulassung für das Heimstadion fehlt, gehts vielleicht auch ins Olympiastadion, wo dann aber immerhin mehr Fans ein Ticket bekommen. Also sei’s drum.
Zu verdanken hat der Verein diesen Erfolg kontinuierlicher Aufbauarbeit, einer vorausschauenden Transferpolitik und einer außerordentlich klug zusammengestellten Mannschaft. Der Kader ist mehr als die Summe seiner Teile, weil er Formschwankungen einzelner Spieler ohne Qualitätsverlust kompensieren kann. Und der Verein vergisst dabei niemals, die Bodenhaftung zu behalten.
„Da kannste echt nich' meckern“
Die Ultras der Waldseite der Alten Försterei haben am letzten Spieltag mit einem Riesenbanner sowohl Saisonverlauf als auch Unions Understatement auf den Punkt gebracht: „Wat ‚ne Saison, da kannste echt nich‘ meckern“, stand in großen Lettern quer über der Tribüne. Und das Gute: Alle im Verein wissen, dass die vergangene Saison angesichts des vergleichsweise günstigen Kaders eine unfassbare Leistung und absolute sportliche Ausnahme war.
Niemand wird nun abheben und demnächst großspurig Big-City-Club-Ambitionen formulieren. Der internationale Wettbewerb wird nicht zur Vorgabe für die nächste Saison, die Champions-League-Millionen werden erwartungsgemäß klug und nachhaltig investiert. Die Vereinsführung und die sportliche Leitung werden sich weiter bemühen, kontinuierlich am Aufbau der Strukturen zu arbeiten – und bis dahin einfach Auswärtsfahrten durch Europa und den Höhenflug genießen.
Sportlich vergleichbar ist Unions Champions-League-Qualifikation unter Trainer Urs Fischer nur mit kuriosen Ausnahmeerfolgen, wie sie im Fußball alle Jubeljahre mal geschehen: In den Sinn kommt etwa der Durchmarsch von Leicester City, der direkt nach dem Aufstieg 2016 englischer Meister wurde. Oder vielleicht noch der doppelte Otto Rehhagel, der als Trainer von Griechenlands Nationalteam 2004 als absoluter Außenseiter Europameister wurde und mit Aufsteiger Kaiserslautern 1998 Deutscher Meister.
Zwischen Oligarchen und Scheichs
Unions Qualifikation für den Wettbewerb der Scheich-Klubs, Oligarchen-Vereine und sonstigen unsympathischen Abo-Meistern ist eine ähnliche Sensation: Denn in der Bundesliga von heute ist eine Überraschungsmeisterschaft wie in den 90er Jahren nicht mehr denkbar angesichts der dauerhaft ungerecht aufgeteilten TV-Summen und Prämien für europäische Wettbewerbe zugunsten der Liga-Spitze.
In der heutigen Liga kann niemand ernsthaft mit Bayern, Dortmund oder dem Marketingkonstrukt für Dosenbrause aus Fuschl am See mithalten – wo ganz andere Kräfte und Investments wirken. Umso beeindruckender ist es, was Union erreicht hat. Zu Recht haben Mannschaft, Verein und Fans die Champions League-Qualifikation fast wie eine Meisterschaft gefeiert.
Nach der überschwänglichen Feier war der Verein aber sogleich bemüht, die Bodenhaftung zu wahren. Tags darauf gab die Vereinsführung, vermutlich wohlübernächtigt, bei einer Pressekonferenz das Saisonziel für die nächste Spielzeit vor: „Wir werden mit dem Ziel starten, die Klasse zu halten.“
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